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Rückzug auf Stammesstrukturen

„Hanije ist nicht gut. Abbas ist schlecht!“ Walid, ein Straßenhändler am zentralen Al-Manara-Platz in Ramallah, hält seinen Frust nicht zurück. An der schmierigen Wand neben seinem Tisch mit Kitsch und billiger Unterwäsche klebt ein Plakat (siehe Bild), das die Einheit des palästinensischen Volkes fordert. Das Gespenst der inneren Zerfleischung ist allgegenwärtig. Aber wer ist dann gut für die Zukunft der Palästinenser? Walid hat eine Antwort ohne langes Zögern parat: „Saddam Hussein, Jasser Arafat, Gamal Abdel Nasser oder Adolf Hitler!“

Am Abend explodiert die Spannung im Gazastreifen mit einer Bombe, die ein Hamas-Mitglied tötet. Die Lage eskaliert in offenen Straßenschlachten zwischen Anhängern der radikal-islamischen Hamas-Bewegung von Premierminister Ismail Hanije und der eher säkular orientierten Fatah-Bewegung von Präsident Mahmud Abbas. Die Gewalt schwappt ins Westjordanland über. Dutzende von Anhängern beider Fraktionen werden entführt, auf führende Vertreter beider Seiten werden Bomben- und Mordanschläge verübt. Bilanz des letzten Wochenendes im Januar 2007: 30 Tote und mehr als 100 Verletzte.

Ob es sich bei diesen innerpalästinensischen Auseinandersetzungen um gewaltsame Rivalitäten oder tatsächlich einen Bürgerkrieg handelt, ist für die betroffene Bevölkerung eine akademische Diskussion. „Gaza ist eine Geisterstadt“, berichten Augenzeugen. Die Menschen haben Angst, zwischen die Fronten zu geraten. Das Gefühl ist, dass die bisherigen Geplänkel lediglich eine Vorbereitung auf die eigentliche Schlacht ist. Propagandistisch werden bereits schwere Geschütze aufgefahren. Die Hamas verkündet, die Fatah habe „Allah und dem Islam den Krieg erklärt“. In den Krankenhäusern werden die Leichen von Kämpfern eingeliefert, die nicht eindeutig einer der beiden rivalisierenden Gruppen zugeordnet werden können. Ein palästinensischer Journalist aus der Westbank erklärte einem Kollegen aus Ost-Jerusalem: „Du bist wenigstens sicher. Du darfst unter der Besatzung leben.“

Die Ägypter machen Syrien und den Iran für das Chaos verantwortlich und behaupten, diese beiden Staaten arbeiteten daran, in den Palästinensergebieten einen Bürgerkrieg zu entfachen. Gegenüber der in London erscheinenden arabischen Tageszeitung „Al-Hajjat“ meinte ein hoher ägyptischer Vertreter: „Der Schlüssel für den Nahen Osten ist in den Händen der Iraner.“ Hamas-Führer haben eine näher liegende Erklärung: Der starke Fatah-Mann im Gazastreifen, Mohammed Dahlan, ist verantwortlich. Für den sprichwörtlichen kleinen Mann auf der Straße ist damit klar: Hinter dem Bürgerkrieg stehen der amerikanische Geheimdienst CIA und Israel. Dahlan ist seit langem ob seiner guten Verbindungen zum Westen suspekt, ein Werkzeug der amerikanisch-zionistischen Verschwörung zu sein. Am Sonntag explodierte vor dem Haus von Dahlans Sicherheitschef, Salim Scheich Chalil, eine Bombe – wodurch niemand verletzt wurde, weil Chalil in Ägypten war.

Im israelischen Radio will ein israelischer Beobachter sehen, dass die Hamas auf dem Rückzug ist, weil erstmals mehr Tote auf ihrer Seite gemeldet werden. Dabei sollte dem Israeli eigentlich klar sein, dass bei einem Krieg im Nahen Osten nicht immer der der Sieger ist, der weniger Tote zu verzeichnen hat. Letztendlich bleibt von der israelischen Analyse nur bestehen, dass weder das Chaos noch ein Sieg der radikalen Islamisten in der so nahe gelegenen Palästinensischen Autonomie im Interesse des jüdischen Staates liegen können. Aber was tun? Ein erneuter Einmarsch in den Gazastreifen wird in Israel mittlerweile offen diskutiert. Die Angst vor einer Libanonisierung und vor allem der grenzenlos erscheinenden Aufrüstung der Nachbarn ist groß.

Die Bemühungen des palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas um eine Einheitsregierung in der palästinensischen Autonomie haben die Lage nicht verbessert. Sie konnten das eindeutige Wählervotum von vor einem Jahr nicht ungeschehen machen – und sich auch nicht dem Verdacht entziehen, dass es letztlich nur um den Machtanspruch der abgesetzten Fatah geht. Weder politisch noch wirtschaftlich oder im Blick auf die Sicherheitslage kann „Abu Masen“ Hoffnung bieten.

Die Großfamilie Dweikat in Nablus hat deshalb die Initiative ergriffen. Hunderte von Dweikat-Vertretern, die zu ganz unterschiedlichen politischen Richtungen gehören, haben ein Manifest in den Moscheen, Läden und an den Wänden der Flüchtlingslager in der Stadt veröffentlicht, in dem verkündet wird: „Die Dweikat-Sippe wird sich nicht an den internen Kämpfen beteiligen. Wir werden keinen Angriff auf die Mitglieder unseres Stammes dulden, ganz unabhängig davon, welcher politischen Richtung es angehört. Jeder Angriff wird als Angriff auf die gesamte Familie gewertet.“ Damit wird offiziell dokumentiert, was vielen Insidern längst klar ist: Das Vertrauen in jeden politischen Prozess und jede staatliche Macht ist dahin. Der Rückzug auf die traditionellen Stammesstrukturen und die damit verbundenen Sicherheiten ist offensichtlich.

Hischam Jussef, Direktor des Büros des Generalsekretärs der Arabischen Liga, meint, die Palästinenser sollten sich um die Befreiung ihres Landes kümmern, anstatt sich gegenseitig zu bekämpfen. Und die Saudis haben die kämpfenden Parteien in das heilige Mekka eingeladen, zum nationalen Dialog. Hamas wie auch Fatah haben positiv auf das Angebot von König Abdallah Ibn Abdul Assis reagiert. Doch ob sich der orientalisch überschwängliche Wortschwall in einen ergiebigen Friedensprozess ergießt, oder wieder nur eine Luftblase ist, muss die nahe Zukunft zeigen.

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