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„Romeo und Julia“ in der Geburtsstadt Jesu – Schlaglicht auf die Lage der palästinensischen Christen

Das Liebespaar ist nicht Romeo und Julia, sondern Fadi und Adriana. Die verfeindeten Familien heißen nicht Montague und Capulet, sondern Omar und Sabat. Schauplatz ist nicht das mittelalterliche Verona, sondern das Bethlehem des 21. Jahrhunderts. Aber es ist eine Liebesgeschichte, die von der Gesellschaft nicht akzeptiert wird und zu gewaltsamen Ausschreitungen führt.

Anfang Mai entlud sich der christliche Volkszorn in der Geburtsstadt Jesu gegen muslimische Bürger der Stadt. Palästinenser bewarfen palästinensische Autos mit Steinen. Augenzeugen berichten, dass nicht nur leichte Handfeuerwaffen, sondern auch schwere Maschinengewehre zum Einsatz kamen. Erste Medienberichte sprachen von 35 Verletzten. Bei näherem Hinsehen schrumpft die Zahl, wie so oft, auf weniger als ein Dutzend.

Fadi Omar (Bild) lehnt sich lässig in den Chefsessel im Büro seines Vaters zurück. Der 21-Jährige erzählt, wie ihm acht Monate zuvor die hübsche Adriana auf der Straße aufgefallen ist. Er besorgt sich ihre Telefonnummer. In der Folge entwickelt sich eine fernmündliche Romanze. Das Problem ist, dass Fadi Omar einer muslimischen, die 16-jährige Adriana Sabat aber einer christlichen Familie entstammt.

Als Fadi dann zu seinem Vater geht und ihm von der Sache erzählt, zeigt sich Fajes Omar skeptisch: „Wir haben doch genug Mädchen. Warum willst du ausgerechnet eine Christin heiraten?“ – „Weil ich sie liebe, weil ich sie brauche!“ Fadi wird nicht müde, diese Aussage zu wiederholen. Fajes Omar, der 28 Jahre lang für das israelische Fernsehen gearbeitet hat und heute zu den reichsten Unternehmern in Bethlehem gehört, gibt dem Drängen seines jüngsten Sohnes nach.

Die traditionelle Brautwerbung durch Fadis älteren Bruder Rami wird – nicht ganz unerwartet – vom Vater der Braut, Bassem Sabat, abgewiesen. Doch dem Christenmädchen scheint die Werbung des jungen Moslems zuzusagen. Adriana Sabat lässt sich weder von den Eltern, noch von Vertretern der Kirche davon abbringen, die Zuneigung Fadi Omars zu erwidern.

Als die beiden keine Möglichkeit mehr sehen, gegen den Willen der Familien anzukommen, beschließen sie, zu fliehen. „Hätte ich gewusst, dass das rechtliche Folgen hat, weil Adriana minderjährig ist, dann hätte ich noch zwei Jahre gewartet“, sinniert Fadi. „Aber der Scheich, den ich gefragt habe, hat mir erklärt, dass es okay ist, eine 16-Jährige zu heiraten.“

Am Abend des Tages, an dem Fadi und Adriana Bethlehem verlassen haben, bekommt der Franziskaner Ibrahim Faltas, Priester der katholischen Gemeinde in der Jerusalemer Altstadt, einen Telefonanruf aus Bethlehem. Der gebürtige Ägypter war drei Jahre lang Direktor der katholischen Schule beim Casa Nova Hotel neben der Geburtskirche und hat sich das Vertrauen der christlichen Bevölkerung in Bethlehem erworben.

„Adriana wurde entführt. Christliche Jugendliche wollen das Haus und das Geschäft der Omars anzünden. Die Polizei ist im Einsatz. Es fliegen Steine und es wird geschossen“, erklärt Pater Amdschad aus Bethlehem aufgeregt am Telefon. Pater Faltas fährt nach Bethlehem. Sein erster Gang ist zur Polizei, wo er vier christliche Jugendliche aus dem Gefängnis befreien kann.

Nach langwierigen Erkundigungen macht sich Pater Faltas um ein Uhr nachts gemeinsam mit seinem Bethlehemer Amtsbruder, dem Vater und einem Onkel Adrianas sowie einem ortskundigen Führer aus der Thaldschia-Familie auf die Suche nach dem Mädchen. In Hebron finden sie Adriana im Hause des Muchtars Awiwi, nach islamischer Sitte tief verschleiert. Weil stundenlange Überredungsversuche fruchtlos bleiben, ziehen die christlichen Unterhändler in den frühen Morgenstunden wieder ab. Adriana bleibt dabei: „Ich liebe Fadi. Ich will zum Islam konvertieren und Fadi heiraten.“

Am nächsten Vormittag erscheinen Fadi Omar und Adriana Sabat wie verabredet beim Gouverneur von Hebron, Arif Dschabari, um die notwendigen Papiere für die Eheschließung abzuholen. Zu ihrem Erstaunen treffen sie dort aber wieder auf Pater Ibrahim Faltas, diesmal in Begleitung palästinensischer Sicherheitskräfte und des amerikanischen Konsuls aus Jerusalem. Auf Anordnung von Palästinenserführer Mahmud Abbas wird der Familie Sabat erlaubt, die Notbremse zu ziehen. Immerhin besteht ein Erlass aus der Ära Arafat, der die Verheiratung christlicher Mädchen mit Muslimen verbietet. In weniger als 24 Stunden sitzt Adriana, die auch US-Bürgerin ist, neben ihrer Mutter im Flugzeug nach Nordamerika.

Irgendwie gelingt es dem Mädchen in den darauf folgenden Tagen von Michigan aus, telefonisch Kontakt mit ihrem Geliebten aufzunehmen. Fadi ist verzweifelt. Er vermutet, dass Adriana unter Druck gesetzt wird, die Beziehung mit ihm zu beenden. Auf alle Fälle will er auf sie warten.

Viel interessanter als die Frage, wie die Geschichte von Fadi und Adriana ausgehen wird, ist die Frage, warum diese Romanze die Emotionen in Bethlehem und Beit Dschalla so zum Kochen brachte, dass dafür Menschenleben aufs Spiel gesetzt wurden. Viele palästinensische Christen geben sich zugeknöpft. „Was geht das dich an“, fragt mich ein Theologe, den ich seit Jahren kenne. Dr. Victor Batarseh, der neu gewählte Bürgermeister in Bethlehem, weicht aus: „Das Ganze war eine interne Affäre, die auf zivile Weise gelöst wurde. Ein paar Leute haben versucht, daraus eine große Sache zu machen und das nicht geschafft.“

Fajes Omar, der Vater von Fadi, vermutet einen Zusammenhang mit den Kommunalwahlen. Erstmals haben die radikal-islamischen Gruppen Hamas und Islamischer Dschihad fünf von 15 Sitzen im Bethlehemer Stadtrat errungen. Omar versteht nicht, warum die Christen sich bedroht fühlen sollten: „Die meisten meiner Freunde und Geschäftspartner sind Christen.“ Aber der Zusammenhang klingt auch in anderen Gesprächen an.

Ein junger Familienvater aus Beit Dschalla, der bei den Ausschreitungen selbst Gebrauch von seiner Schusswaffe gemacht hat, packt dann schließlich aus. Eine Woche zuvor ist die Tochter des Bankdirektors Suher Musallam mit einem Muslim aus dem Dorf Ta’amra durchgebrannt. Wie gespannt die Lage ist, zeigt ein Vorfall in derselben Woche in Ramallah. Dort wird die 20-jährige Faten Habasch von ihrem Vater wegen der Liebesaffäre mit einem Moslem zu Tode geprügelt. Bislang waren Ehrenmorde in christlichen Kreisen unbekannt. Die Affäre Omar-Sabat hat das Fass einfach zum Überlaufen gebracht. Die Christen werfen ihren muslimischen Mitbürgern eine Strategie vor. „Erst haben sie uns unsere Häuser genommen, dann unsere Autos, und jetzt unsere Frauen“, schnaubt ein Taxifahrer.

Hinzu kommt, dass die Verbindungen zwischen Muslimen und Christinnen zu 99 Prozent innerhalb kürzester Zeit wieder auseinander gehen. Zu groß ist der Unterschied zwischen dem, was Muslime und Christen unter Ehe verstehen. Als Beispiel wird mir die Geschichte von Munira Ruskalla erzählt, einer Lehrerin der deutsch-lutherischen Schule Talitha Kumi. „Sie hat sich mit einem Dr. Farradsch eingelassen. Nach zwei Jahren, als sie kein Geld mehr hatte, hat ihr Mann sie hinausgeworfen. Heute lebt sie in einem kleinen Haus, kaum drei mal vier Meter groß, wie ein Tier. Niemand spricht mehr mit ihr.“

Ein Bethlehemer Christ, der nicht namentlich genannt werden will, meint, dass die beiden älteren Brüder Fadis, Rami und Schadi Omar, für den palästinensischen Geheimdienst arbeiten. „Sie sind sehr stark, haben viel Geld und gute Beziehungen. Deshalb stehen sie über dem Gesetz.“ Auf der Straße wird gemunkelt, Rami Omar habe eine Datenbank über alle christlichen Mädchen, mit Bildern, Telefonnummern und anderen Informationen. „Sie suchen nach Schwachpunkten bei den Frauen und machen sie sich dann gefügig.“ Aber Beweise hat er dafür nicht. Auf alle Fälle sei Adriana nicht das erste Christenmädchen, das vom Omar-Clan verführt wurde.

Aus christlicher Sicht ist die Lage verzweifelt. Viele der Einwohner der einst christlichen Städte Bethlehem, Beit Sahur und Beit Dschalla sind in den vergangenen Jahrzehnten ausgewandert, vor allem die Männer. „Heute kommen hier auf jeden christlichen Mann sieben christliche Frauen.“ Die Muslime, die in den vergangenen Jahrzehnten zugewandert sind, nicht zuletzt durch den israelisch-arabischen Konflikt in die Flüchtlingslager Deheische, El-Asa und El-Aida, stellen mittlerweile die Bevölkerungsmehrheit und werden als Bedrohung empfunden. Auch die Familie Omar stammt ursprünglich aus Hebron. Die Christen haben Angst, zu einer verschwindenden Minderheit im Geburtsort Jesu zu werden.

Immer wieder kommen meine christlichen Gesprächspartner darauf zu sprechen, dass der Grund für die Misere nicht nur bei der muslimischen Zuwanderung und Dominanz liegt. Die Christen in der Palästinensischen Autonomie erleben eine tiefgehende Identitätskrise. „Mit 16 Jahren ist es zu spät, sie wegzuschließen“, meint der Mitarbeiter einer christlichen Organisation. „Die Frage ist, was die Eltern ihren Kindern vermitteln.“

Anthony Habasch, der Sekretär von Pater Ibrahim Faltas, stimmt dem zu: „Adriana war Mitglied der St. Josefs-Pfadfinder und ging in die St. Josefs-Schule. Sie gehörte zur St. Francis-Jugend und spielte im Catholic Action Club Basketball. Alle diese Institutionen stehen unter kirchlicher Aufsicht. Dort hat sie die meiste Zeit verbracht. Trotzdem war sie sich offensichtlich ihrer christlichen Identität nicht bewusst. – Was die Christen stark macht, ist ihr Glaube. Alle Mädchen, die sich mit Muslimen eingelassen haben, waren unter 18 Jahre alt. Kirche und Familie sollten den inneren Kontakt zu ihren Kindern nicht verlieren, sondern ihre christliche Identität stärken.“

Der junge Familienvater aus Beit Dschalla stammt aus alter marxistischer Tradition, was aus seiner Sicht kein Widerspruch zu seinem christlichen Glauben ist. Er wünscht sich ebenfalls „starke Priester“, die ihren Glauben überzeugend vertreten, wird dann aber sehr schnell praktisch politisch-materiell: „Wir brauchen Gewehre. Wir Christen müssen in die Armee und Polizei gehen. Wir brauchen Geld, um Land zu kaufen und für die Christen zu bauen. – Nur für Christen!“ Auch wenn viele in Bethlehem betonen, dass der Streit zwischen den Familien Sabat und Omar beigelegt ist, meint der „marxistische Christ“: „Wenn hier das Benzin ist und dort das Feuer, kann das auf Dauer nicht gut gehen.“

(Bild: Johannes Gerloff)

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