Rav Abraham Kook: Gegensätze vereinen

Für den ersten aschkenasischen Oberrabbiner Abraham Kook waren Tora-Studium und Militärdienst keine Gegensätze. Das wirkt sich bis heute auf die von ihm gegründete Jeschiva aus.
Von Israelnetz

Rav Abraham Isaak HaCohen Kook war der erste aschkenasische Oberrabbiner im heutigen Israel. Vor 90 Jahren starb er in Jerusalem.

Als Abraham Kook am 7. September 1865 in Griva geboren wurde, gehörte das Städtchen zum Russischen Reich. Heute ist es lettisch und trägt den Namen Daugavpils. Die jüdische Gemeinschaft in Osteuropa rang in jener Zeit um eine Identität, die Altes mit Neuem verknüpfen sollte.

Im Elternhaus erlebte Kook gegensätzliche Glaubenswelten: Der Vater Schlomo Salman war ein Gelehrter. Er stammte aus einer wichtigen Linie von Rabbinern der Gegner des Chassidismus, der sogenannten Mitnagdim. Die Familie der Mutter Perla Zlata hingegen war chassidisch geprägt.

Die jüdische Website „Hagalil“ schreibt dazu: „Die Wurzeln seiner Liebe für die Vereinigung von Gegensätzen wie auch für das Land Israel und die hebräische Sprache sind in diesen frühen Jahren seiner Erziehung zu finden.“

„Heimatort für rabbinische Literatur“ angestrebt

Mit 23 Jahren übernahm Kook 1888 seine erste Rabbinerstelle im heute litauischen Zaumel. Im selben Jahr gründete er die Zeitschrift „Itur Sofrim“ (Erfassung von Schriftstellern). Er wollte damit einen „Heimatort für rabbinische Literatur“ schaffen. Aus organisatorischen Gründen hielt sich die Zeitschrift allerdings nur kurz. Doch von dieser Zeit an wirkte Kook in der Öffentlichkeit.

Im Jahr 1903 veröffentlichte er einen Artikel unter der Überschrift: „Eine Vision des Vegetarismus und des Friedens“. Darin äußerte er die These, die zukünftige messianische Gesellschaft müsse vegetarisch sein. Denn sie sei nicht vollkommen, wenn Menschen kein Mitleid mit Tieren hätten. Die Evolutionstheorie wiederum hielt er für vereinbar mit dem Judentum.

Trauerrede nach Herzls Tod

Kook befasste sich aber auch mit dem Zionismus. Er kombinierte dabei Elemente des religiös-orthodoxen und des politischen Zionismus. 1904 wanderte er nach Palästina ein, das damals Teil des Osmanischen Reiches war. Er wurde Oberrabbiner von Jaffa.

Kurz nach seiner Ankunft hielt er eine Trauerrede auf den Begründer des politischen Zionismus, Theodor Herzl, der am 3. Juli 1904 verstorben war. Im religiösen Judentum indes gibt es die Vorstellung von zwei messianischen Figuren. Maschiach Ben Josef soll der Vorreiter von Maschiach Ben David sein, der die spirituelle Erlösung einläuten wird. Kook deutete den Maschiach Ben Josef, der nach dieser Tradition das Körperliche und Materielle vorbereitet, auf Herzl.

Im Jahr 1914 reiste Kook nach Europa, um die dortigen jüdischen Gemeinden vom Zionismus zu überzeugen. Wegen des Ersten Weltkrieges strandete er und übernahm einen Rabbinerposten in London. 1919 kehrte er nach Palästina zurück. Er wurde Oberrabbiner Jerusalems und 1921 auch von Eretz Israel, was er bis zu seinem Tod am 1. September 1935 blieb. Der erste sephardische Oberrabbiner war Jacob Meir.

Die berühmteste Entscheidung des ersten aschkenasischen Oberrabbiners betrifft das Schmitta-Jahr. Alle sieben Jahre sollen laut Tora die Felder ruhen, Juden sollen davon keine Erträge ernten. Zugunsten des Überlebens des noch jungen Jischuv, also der jüdischen Gemeinschaft, verfügte Kook: Juden durften die Früchte der Felder auch im siebten Jahr essen.

Für friedliches Miteinander von Juden und Arabern

In Jerusalem gründete der Rabbiner 1924 eine Jeschiva, die bis heute unter dem Namen „Merkas HaRav“ bekannt ist. Deren Studenten leisten trotz des Tora-Studiums ihren Militärdienst. 1929 entstand unter seiner Aufsicht die Jugendorganisation „Bnei Akiva“.

Rav Kook litt sehr unter innerjüdischen Spannungen. Er glaubte, dass es möglich sei, eine ideale Gesellschaft zu erschaffen. Diese sollte geprägt sein von Nächstenliebe, Tierliebe, Wissenschaft, Landwirtschaft und Spiritualität. Israel betrachtete er als Licht unter den Völkern, um andere Nationen zu befreien. Er setzte sich für ein friedliches Zusammenleben von Juden und Arabern ein.

Nach dem Pogrom gegen die jüdische Bevölkerung in Hebron 1929 wandte er sich in einem Zeitungsartikel gegen eine Pauschalisierung der arabischen Gesellschaft. Er sprach sich für Nächstenliebe gegenüber Nichtjuden aus – diese sei ein Charakteristikum der messianischen Erlösung. Der Staat Israel war für ihn eine konkrete, wenn auch unvollständige Verwirklichung von Gottes Erlösungsplänen. Eine volle Erlösung erfordere es, die israelische Souveränität auf das gesamte biblische Israel auszuweiten.

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Abraham Kook war zweimal verheiratet: Seine erste Ehefrau Batscheva starb bereits 1888 nach nur zwei Jahren Ehe. Mit ihr hatte er eine Tochter, Frayda Chana. Nach Batschevas Tod heiratete er deren Cousine Raize-Rivka. Sie bekamen einen Sohn, Zwi Juda, sowie die Töchter Esther Jael und Batja-Miriam.

„Er gilt als der ideologische Vordenker der religiös-zionistischen Parteien in Israel, obwohl er die Staatsgründung im Jahr 1948 nicht miterlebte“, schrieb die „Jüdische Allgemeine“ über Rav Kook. Der Sohn, der 1982 starb, war ein führender Rabbiner der von seinem Vater gegründeten Jeschiva. Nach dem Jom-Kippur-Krieg 1973 wurden die Schüler von „Merkas HaRav“ zu Vorreitern der israelischen Siedlungsbewegung. (eh)

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4 Antworten

  1. Danke für den Bericht. „Gegensätze vereinen“, das ist wirklich in vielen Dingen wichtig.
    In Deutschland könnte das auch helfen, die Menschen zu versöhnen.
    Rav Abraham Kook und seine Lebens- und Glaubensgeschichte erhält sein Platz in der Jüdischen Tradition.

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  2. Eine unglaubliche Spannweite des Denkens, die für mich in erster Linie im Judentum bzw. in so manchem Buch von jüdischen Autoren geschrieben ist.
    Gegensätze nicht als Widerspruch, Spaltung oder Feindschaft zu sehen, sondern als Bereicherung verschiedener Aspekte, die sich miteinander verbinden lassen. Sehr beeindruckend.

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