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Purim, Israels Karneval

Am Vorabend des 14. Adar beginnt „Purim“. Von außen gesehen ist dieses Fest so etwas wie ein „jüdischer Karneval“. Es ist ganz bestimmt eines der farbenfrohesten, fröhlichsten jüdischen Feste – und vielleicht das mit der ausgelassensten Stimmung.
Viele Ultraorthodoxe betrinken sich an Purim, bis sie nicht mehr zwischen „Verflucht sei Haman“ und „Gelobt sei Mordechai“ zu unterscheiden wissen.

Groß und Klein verkleiden sich. Vor zehn Jahren sind die Kinder vor allem noch als biblische Figuren aufgetreten. Heute wimmelt es nur so von Mickey-Mäusen, Käfern, Schneewittchen, Batmans, Power Rangers, Spidermans, süßen Häschen in rosa Anzügen, scheußlichen Skeletten und vielen anderen Modegestalten. Doch so ganz vermag auch die Moderne den prächtigen König Ahasveros, den weisen Mordechai und vor allem die Königin Ester, das biblische Aschenputtel, nicht zu verdrängen.
Juden feiern mit dem Purimfest, das in diesem Jahr auf den 5. März fällt, die Vernichtung des persischen Großwesirs Haman. Er hatte sich im 5. Jahrhundert vor Christus vorgenommen, das jüdische Volk auszurotten. Diese Ereignisse werden im biblischen Buch Ester berichtet. „Es gibt ein Volk, zerstreut und abgesondert unter allen Völkern in allen Ländern deines Königreichs“, begründete Haman seinem König die Strategie zur Massenvernichtung der Juden, „ihr Gesetz ist anders als das aller Völker und sie tun nicht nach des Königs Gesetzen“ (Ester 3,8).
Nach Aussage von Ester 9,20-28 wurde Purim von Mordechai eingesetzt. Im zweiten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung war es deshalb als „Tag des Mordechai“ bekannt (2. Makkabäer 15,36). Der heute gebräuchliche Name, „Purim“, kommt von dem akkadischen Wort für „Los“, „puru“ (Ester 9,26). Er erinnert an die Lose, die Haman geworfen hatte, um den Tag zu bestimmen, an dem der Völkermord am jüdischen Volk hätte stattfinden sollen (Ester 3,7).
Das Buch Ester ist mit viel Witz und Ironie geschrieben. Gewissermaßen aus Versehen wählt sich der mächtige Perserkönig Ahasveros, in Geschichtsbüchern als „Xerxes“ erwähnt, eine Jüdin zur Frau (Ester 2). Stolz wähnt sich Haman auf dem Gipfel seiner Karriere, als der König ihn fragt: „Was soll man dem Mann tun, den der König gern ehren will?“ (Ester 6,6) – um erfahren zu müssen, dass er ausgerechnet seinem Erzfeind Mordechai die Ehre zuteilwerden lassen soll, die er sich selbst erträumt hatte. Letztendlich wird Haman an genau dem Galgen aufgehängt, den er für den Juden hatte errichten lassen (Ester 7).

Ein Fest des Sieges über Judenhass

Im Laufe der Jahrhunderte wurde Purim ein Fest des Sieges über jeglichen Judenhass und Antisemitismus. Die Ausgelassenheit und die Verkleidungen werden als „lange Nase“ erklärt, die das jüdische Volk seinen Hassern und allen vergeblichen Vernichtungsversuchen macht. Aus jüdischer Sicht genießt Purim eine hohe Aktualität, weil das bloße Existenz- und Selbstbestimmungsrecht des Volkes Israel bis heute von maßgeblichen Mitgliedern der weltweiten Völkergemeinschaft offen bestritten wird.
Das Buch Ester ist das einzige Buch der Bibel, in dem Gott kein einziges Mal erwähnt wird – als habe auch er sich hinter einer Maske versteckt. Doch bei allem Witz und aller Ironie enthält dieses Buch auch tiefe Wahrheiten. „Ist Mordechai, vor dem du zu fallen angefangen hast, vom Geschlecht der Juden, so vermagst du nichts gegen ihn, sondern du wirst vor ihm vollends zu Fall kommen“, prophezeit die Ministerfrau Seresch ihrem deprimierten Mann Haman (Ester 6,13), dem sie kurz zuvor noch geraten hatte, einen Galgen für Mordechai zu bauen (Ester 5,14). Die Mahnung Mordechais an seine Cousine Ester trägt das Potential höchster Aktualität in sich: „Denn wenn du zu dieser Zeit schweigen wirst, so wird eine Hilfe und Errettung von einem andern Ort her den Juden erstehen, du aber und deines Vaters Haus, ihr werdet umkommen. Und wer weiß, ob du nicht gerade um dieser Zeit willen zur königlichen Würde gekommen bist?“ (Ester 4,14).
Am Tag unmittelbar vor dem Purimfest findet das „Ester-Fasten“ statt. Es erinnert daran, wie Ester und die persischen Juden die Initiative ihrer jüdisch-stämmigen Königin vorbereiteten (Ester 4,16). Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang des 13. Adar fasten orthodoxe Juden. In den Synagogen werden spezielle Gebete und Schriftlesungen verrichtet.

Geschenke für die Armen

Die Hauptsache an Purim ist das Lesen der „Ester-Rolle“, des biblischen Buches Ester, am Vorabend des Festes in der Synagoge. Wenn der Name „Haman“ genannt wird, machen nicht nur die Kinder möglichst viel Krach, um das biblische Gebot, „den Namen Amaleks auszulöschen“, möglichst wörtlich zu erfüllen. Dabei kommen die traditionellen Rasseln und Rätschen zum Einsatz, aber auch moderne Schreckschusspistolen. Haman wird als „Agagiter“ bezeichnet (Ester 3,1) und deshalb für einen Nachfahren des Amalekiterkönigs Agag gehalten (1. Samuel 15,8ff). Manche der bunt verkleideten Kinder scheinen bei der Feier des modernen Purimfests allerdings die Erwähnung Hamans als Auslöser gar nicht mehr zu benötigen, um ihre Krachmacher zum Einsatz zu bringen.
Am Morgen des Purimfests wird in der Synagoge 2. Mose 17,8-16 verlesen. Dieser Text erzählt, wie der Wüstenstamm der Amalekiter die Israeliten auf ihrer Wüstenwanderung immer wieder hinterlistig angriff.
Eine wichtige Sitte zum Purimfest ist, dass man einander beschenkt. Besonders an die Armen werden Geschenke verteilt (Ester 9,22), was Hilfsorganisationen natürlich in besonderer Weise für ihre Zwecke zu nutzen wissen. Israelische Schulklassen sind damit beschäftigt, Geschenkteller mit Süßigkeiten für Soldaten vorzubereiten.
An keinem jüdischen Fest dürfen bestimmte, charakteristische Speisen fehlen. An Purim sind es die so genannten „Hamantaschen“ oder „Hamansohren“, kleine, dreieckige Gebäckstücke, die beispielsweise mit süßem Mus gefüllt sind.
Kinderlieder erzählen, was für ein tolles Fest Purim ist. Masken, Rasseln und Hamansohren werden besungen. „Auf, lasst uns Krach machen!“ heißt es im Refrain eines Liedes. Und natürlich wird das ganze Ester-Buch vorgesungen, nicht nur in der Synagoge, sondern auch im Rundfunk.
Über eine Anweisung des babylonischen Lehrers Rabba wird bis heute diskutiert. Er meinte, ein Mann müsse an Purim so viel Alkohol trinken, bis er nicht mehr unterscheiden könne zwischen „verflucht sei Haman“ und „gelobt sei Mordechai“. Auf diese Weise solle die Freude über die Errettung des jüdischen Volkes gefeiert werden. Grundsätzlich steht das Judentum Suchtmitteln kritisch gegenüber. Allerdings gibt es orthodoxe Juden, die dieses rabbinische Gebot ernst nehmen. Deshalb kann man an Purim, neben israelischen Jugendlichen, die die Gelegenheit nutzen, auch orthodoxe und ultraorthodoxe Juden beobachten, die offensichtlich betrunken sind.
In Schuschan, dem heutigen Susa, einer der vier persischen Hauptstädte, feierten die Juden das Purimfest erst am 15. Adar (Ester 9,18). Dort durften sie sich, auf Bitten der Königin Ester, einen Tag länger gegen ihre Feinde wehren. Deshalb wird heute in Israel in den Städten, die bereits zur Zeit Josuas eine Mauer hatten (vergleiche die Mischna, Traktat Megillot 1,1), am 15. Adar das sogenannte „Schuschan-Purim“ gefeiert. Konkret bedeutet das, dass Purim beispielsweise in der modernen Stadt Tel Aviv, die erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts gegründet wurde und keine antiken Wurzeln hat, einen Tag früher als in Jerusalem, wo „Schuschan-Purim“ zur Geltung kommt, gefeiert wird.
Das Purimfest wird nicht in der Torah geboten. Deshalb ist es zweitrangig. Viele Firmen, Geschäfte und öffentliche Einrichtungen haben geöffnet, allerdings mit kürzeren Arbeitszeiten. Die Kinder haben schulfrei, aber öffentliche Verkehrsmittel sind wie gewöhnlich unterwegs. Immerhin wurde dem Purimfest aber schon im 2. Jahrhundert unserer Zeitrechnung ein ganzer Traktat in der Mischna unter dem Namen „Megillah“ gewidmet. Er erklärt, wie das Purimfest gefeiert werden soll.
Die äthiopischen Juden hat die Purim-Tradition nie erreicht. Sie haben dieses Fest erst nach ihrer Einwanderung in den modernen Staat Israel kennengelernt. Juden aus Russland denken dran, dass Josef Stalin just an Purim gestorben ist. Deshalb konnte er seinen Plan, die Juden nach Sibirien zu deportieren, nicht mehr verwirklichen.

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