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Präventivschlag ist kein Schimpfwort auf Hebräisch

„Der Staat Israel ist in einem Maß existentiell bedroht, wie das bislang noch nie in der Geschichte des jüdischen Staates der Fall war.“ Diese Aussage stammt nicht von einem der Weltuntergangspropheten, die in regelmäßigen Abständen durch die Gassen der Jerusalemer Altstadt wandeln, sondern vom Minister für innere Sicherheit, Avi Dichter, der bis vor wenigen Jahren den israelischen Inlandsgeheimdienst „Schin Beit“ geleitet hat. Nüchtern resümiert der Sicherheitsexperte seine Erfahrungen: „Selbst im Jom-Kippur-Krieg, in dem ich als Soldat auf den Golanhöhen gegen die Syrer und im Sinai gegen die Ägypter gekämpft habe, hatte ich nie Angst, dass der Staat Israel ausgelöscht werden könnte.“

Mit dieser Analyse steht der Ex-Geheimdienstchef nicht allein. Die existentielle Herausforderung nie gekannten Ausmaßes, der sich Israel heute gegenüber sieht, ist ein wiederkehrender Refrain im Munde vieler hochrangiger Vertreter des israelischen Sicherheitsetablissements, die sich dieser Tage den Kopf darüber zerbrechen, wie der zweite Libanonkrieg zu bewerten sei. Einig sind sie sich bei allen Diskussionen darin, dass der Krieg vom Sommer 2006 ein Vorspiel für die eigentliche Auseinandersetzung war. Denn die Hisbollah ist lediglich „der verlängerte Arm“ oder „ein Bataillon der iranischen Armee“.

Dabei erkennt Avi Dichter die Auseinandersetzung, die am 12. Juli 2006 mit dem massiven Raketenbeschuss und der Entführung von zwei israelischen Soldaten durch die radikal-schiitische Hisbollah-Miliz begann, bereits als „zweiten indirekten Schlagabtausch zwischen Israel und dem Iran“. Seit 1979 bemühen sich die persischen Mullahs nämlich, ihre „islamische Revolution“ zu exportieren. Dabei verzeichneten sie bislang zwei nennenswerte Erfolge: Erstens den Aufbau der Hisbollah im Libanon und zweitens die massive Ausweitung des iranischen Einflusses in der Palästinensischen Autonomie (PA).

Seit 1994 gelang es dem Iran, den Palästinensischen Islamischen Dschihad, damals unter Führung von Fathi Schekaki, unter seinen Einfluss zu ziehen. Seit 2001 geriet dann auch die ebenfalls sunnitische Hamas zunehmend unter iranische Kontrolle. Nach Erkenntnissen der israelischen Nachrichtendienstler war der Geldmangel der Hamas und des Islamischen Dschihad das Bindeglied, das die tiefe Kluft zwischen Schiiten und Sunniten überbrückte, die im Irak Tausende von Todesopfern gefordert hat. Hinzu kommt, dass schon zu Arafats Zeiten die Palästinensische Autonomiebehörde über den damaligen Premierminister (und heutigen Präsidenten) Mahmud Abbas und den Chef des Hamas-Politbüros Chaled Maschaal, der in Damaskus sitzt, ihr Vorgehen mit der iranischen Führung abgestimmt hat.

Trotz der selten eindeutigen Töne aus Amerika und Europa weigert sich der Iran bislang beharrlich, den Forderungen der internationalen Gemeinschaft nachzukommen und sein Programm zur Anreicherung von Uran einzustellen. Auch ist es niemandem gelungen, die Aussagen des iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad in irgendeiner Weise zu mäßigen. Der kleine Mann mit dem dunklen Bart ist sich sicher: Der Schandfleck Israel muss von der Landkarte verschwinden.

Nach Ansicht von Dichter ist „Ahmadinedschad ein Geschenk“. „Jeder Geheimdienst ist bereit, ein Vermögen dafür zu bezahlen, um herauszufinden, was im Kopf seines Gegners vor sich geht. Und jetzt legt der iranische Präsident seine Gedanken kostenlos auf den Tisch!“, wundert sich Nachrichtendienstexperte Dichter. Weder das messianische Sendungsbewusstsein, noch die islamisch-apokalyptischen Endzeitvorstellungen des iranischen Präsidenten sind ein Geheimnis.

Mahmud Ahmadinedschad betont zwar, dass seine nuklearen Ambitionen ganz friedlicher Natur seien. Gleichzeitig träumt er aber lauthals von der Rückkehr des „Mahdi“, des „Messias“ des Islam und der mit ihm kommenden Völkerschlacht, die letztlich zu einer weltumfassenden islamischen Herrschaft führen wird. Unter diesen Vorzeichen könnten auch die in westlichen Augen kriegstreiberischen Bemühungen von Muslimen als „Frieden schaffend“ verstanden werden.

Riad Radad aus Tulkarm erklärt ganz unumwunden: „Nicht wir Muslime sind die Terroristen und wollen den Krieg. Das Wort ‚Salam’, Frieden, steckt schon in dem Begriff ‚Islam’“. Ganz selbstverständlich lässt der Hamas-Scheich, der seit Januar 2006 Parlamentsmitglied in der Palästinensischen Legislative ist, auch nicht-muslimische Zuhörer wissen: „Ihr Christen und vor allem die Juden provozieren den Krieg. Unterwerft euch Allah, dem allein wahren Gott, dann wird Frieden werden!“

Auch wenn eine nuklear aufgerüstete Islamische Republik Iran den jüdischen Staat nicht unmittelbar angreifen sollte, hätte das doch schwerwiegende Konsequenzen für Israel. Ein Sicherheitsexperte meint: „Unsere Hände wären gebunden, sei es im Kampf gegen die Islamisten in Gaza oder auch die Hisbollah im Südlibanon, weil der Iran uns ständig mit seiner Atombombe bedrohen würde.“ Dabei ist die Frage heute nicht mehr, ob der Iran eine Atombombe bekommen kann, sondern wie lange es dauern wird. Laut der „Washington Post“ setzt das amerikanische Militär voraus, dass der Iran noch fünf bis acht Jahre braucht, bis er seine ersten Nuklearwaffen produzieren kann.

In Israel beobachtet man die Uneinigkeit und Ineffektivität der internationalen Gemeinschaft gegenüber dem Iran mit großer Sorge. Die Diskussionen der Großmächte USA, Europa, Russland und China um die Frage, ob freundliche Diplomatie oder strenge Sanktionen die persische Möchtegern-Großmacht zur Umkehr treibt, werden in Israel mit Stirnrunzeln verfolgt. Ex-Fallschirmspringergeneral Doron Almog fordert eine strategische Partnerschaft gegen den fundamentalistischen Islam, und die Diplomaten des jüdischen Staates bemühen sich, das weltweite Ausmaß der Bedrohung durch den Iran zu unterstreichen und die internationale Gemeinschaft an ihre Verantwortung zu erinnern.

In Militärkreisen vergleicht man derweil eher undiplomatisch die Iranpolitik von US-Außenministerin Condoleezza Rice mit der Appeasement-Politik des britischen Premierministers Chamberlain Ende der 30er Jahre. Polizeiminister Avi Dichter fordert von der internationalen Gemeinschaft, Ahmedinedschad so zu betrachten und zu behandeln, wie das 1933 mit Hitler hätte geschehen sollen. Dabei ist er sich vollkommen darüber im Klaren, dass Israel das iranische Atomproblem nicht im Alleingang lösen kann: „Wir sind keine Supermacht, sondern ein normaler Staat.“

Das Dilemma der USA ist allerdings, dass sie sich nicht nur auf der diplomatischen Ebene schwer tun, sich gegen Europa, Russland und China durchzusetzen. Auch militärisch sitzen die Amerikaner im Irak in der Klemme. Neben den Kurden sind die Schiiten dort die Hauptverbündeten der Amerikaner. Die Schiiten fühlen sich aber kulturell und religiös eng ihren iranischen Glaubensgenossen verbunden und würden wohl kaum zweimal überlegen, wem sie loyal sein wollen, sollte sich das „christlich-jüdische Amerika“ gegen die islamische Republik wenden. Und zu den irakischen Kurden hat der iranische Präsident Mahmud Ahmedinedschad persönlich enge Beziehungen, die im gemeinsamen Kampf gegen den irakischen Diktator Saddam Hussein begründet liegen.

Was ist zu tun? Der ehemalige Sicherheitsberater der israelischen Regierung, Giora Eiland, sieht nur noch einen Zeitrahmen von sechs bis zwölf Monaten, um den Iran militärisch daran zu hindern, zur Atommacht zu werden. Aber wird der amerikanische Präsident dazu in der Lage oder willens sein, wenn er sich nicht zuletzt bis zu den Wahlen im November 2008 um sein Popularitätsbarometer zu kümmern hat? Jeder offizielle Vertreter der israelischen Regierung schließt ein militärisches Vorgehen Israels gegen den Iran im Alleingang kategorisch aus. Aber die Untertöne der Verantwortlichen im jüdischen Staat sprechen manchmal auch eine andere Sprache. So bemerkte Premierminister Ehud Olmert Ende August im von Raketen schwer heimgesuchten, nordisraelischen Naharija, dass Israel „auf jedes Szenario vorbereitet sein“ müsse. Dabei blieb offen, ob er als Gegner die libanesische Hisbollah oder deren iranischen Sponsor betrachtete.

Jaakov Amidror, ehemaliger General in Israels militärischem Nachrichtendienst, sieht überhaupt keinen Grund, sich für das Vorgehen seiner Armee im Libanon zu entschuldigen: „Alle Welt soll wissen, dass Israel unproportional zurückschlägt, wenn es bedroht ist – und dabei auch vor vorbeugenden Maßnahmen nicht zurückschreckt. Wir können es uns gar nicht erlauben, proportional zurückzuschlagen.“ Amidror, der zuletzt das nationale Verteidigungscollege der israelischen Armee geleitet hat, bewertet es als entscheidenden Erfolg des zweiten Libanonkriegs, dass jetzt alle Welt weiß: „Die Hisbollah ist keine Guerillatruppe, sondern ein verlängerter Arm von Syrien und dem Iran.“ Und: „Das Wort Präventivschlag ist kein Schimpfwort mehr im Hebräischen!“

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