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Rivlin: „Ich glaube an dieses Volk“

Bei der Vereidigung der neuen Knesset zeigt sich Präsident Rivlin besorgt und resigniert. Das Staatsoberhaupt glaubt nicht, dass es dieses Mal gelingen wird, eine Regierung zu bilden. Das Land müsse nun ein neues Selbstverständnis entwickeln.
In der neuen Knesset sind 13 Fraktionen vertreten

JERUSALEM (inn) – Wenn sich die neu gewählte Knesset konstituiert, ist das eigentlich ein Feiertag der Demokratie. Vor dem Parlamentsgebäude wird der rote Teppich ausgerollt. Die Knesset-Garde marschiert auf, zum Teil beritten, der Staatspräsident kommt und inspiziert die Sicherheitskräfte zu fröhlicher Marschmusik, auch der Präsident des Obersten Gerichtshofs ist da. Reuven Rivlin hat dieses Prozedere schon vier Mal als Staatsoberhaupt mitgemacht, das er seit 2014 ist. Er hätte es lieber gehabt, wenn es dabei geblieben wäre.

Doch am Dienstag blieb ihm keine andere Wahl, als erneut zu kommen, um nach den Wahlen Ende März die inzwischen 24. Knesset zu eröffnen – seine fünfte. In seiner Rede im Parlamentsplenum zeigte sich Rivlin tief besorgt und resigniert: „Es gibt bei uns nicht mehr ein Kernvolk, das ein Wertesystem und relativ homogene Überzeugungen teilt, und unter dem kleinere Minderheitengruppen leben. Stattdessen haben wir vier seperate Stämme – einen säkularen, einen religiösen, einen ultra-orthodoxen und einen arabischen Stamm. Wenn wir es nicht schaffen, ein neues Modell des Israeli-Seins zu finden, wird unsere nationale Widerstandsfähigkeit in Gefahr geraten.“

Nur wenige Stunden zuvor hatte Rivlin erneut Likud-Chef Benjamin Netanjahu damit beauftragt, eine Regierung zu bilden. „Aus moralischer und ethischer Sicht ist das keine einfache Entscheidung für mich“, stellte er dabei mit Blick auf dessen Korruptionsprozess fest. Doch ihm war kaum eine andere Wahl geblieben, da Netanjahu bislang mehr Abgeordnete hinter sich weiß als sein Herausforderer Jair Lapid. Rivlin glaubt nicht, dass es dieses Mal irgendjemanden gelingen wird, das Land aus der seit über zwei Jahren anhaltenden innenpolitischen Krise zu führen. Dies würde eine erneute Neuwahl im Herbst bedeuten. „Ich fürchte um mein Land“, sagte der 81-Jähriger.

Einige Parlamentarier sorgen für Tumult

Worin eine der Ursachen für die Blockade im Land liegt, konnten Zuschauer in der an Rivlins Rede anschließenden Vereidigung der 120 Knessetabgeordneten selbst beobachten. Mehrere (aber nicht alle) Abgeordnete der arabisch dominierten „Vereinigten Liste“ sorgten dabei für den ersten (aber sicher nicht letzten) Tumult der neuen Legislaturperiode. Anstatt sich auf die übliche Bekräftigungsformel „Ich verpflichte mich“ zu beschränken, hängten sie Sätze an wie: „das Apartheid-Regime zu bekämpfen“. Nun gelten sie nicht als vereidigt. Als die Parlamentarier die Nationalhymne anstimmten, verließen einige Vertreter der „Vereinigten Liste“ unter dem wütenden Geschrei anderer Abgeordneter den Saal – nicht zum ersten Mal.

Der Likud-Abgeordnete Schlomo Karhi wiederum hatte bereits vor der Rede von Präsident Rivlin angekündigt, diese boykottieren zu wollen. „Wer die Demokratie mit Füßen tritt, ist nicht würdig, in der Knesset geehrt zu werden“, schrieb er auf Twitter. Das Umfeld Netanjahus wirft Rivlin immer wieder vor, eine Kampagne gegen den Premier zu fahren. Der Präsident nahm später nicht an dem traditionellen Foto der Parteivorsitzenden teil.

ּBunte Mischung von Abgeordneten

In der neuen Knesset sind 13 Fraktionen vertreten und noch mehr Parteien. Es finden sich Kommunisten, arabische Nationalisten, jüdische Sozialisten, in der Mitte viele Sozialdemokraten, Liberale und Konservative, auf der religiösen Seite chassidische und nicht-chassidische, sephardische und aschkenasische Ultra-Orthodoxe. Mit Itamar Ben-Gvir ist ein Anhänger des rechtsradikalen Rabbi Meir Kahane ins Parlament eingezogen, der einst ein Bild des jüdischen Terroristen Baruch Goldstein im Zimmer hängen hatte. Auch ein Abgeordneter der Noam-Partei, die sich im Kern gegen einen zu liberalen Umgang mit LGBT-Gruppen richtet, ist vertreten. Vor der Knesset fanden sich am Dienstag Bürger zusammen, um gegen diese Vertreter zu demonstrieren.

Auf dem Ticket der Arbeitspartei ist mit Gilad Kariv wiederum erstmals ein Reform-Rabbiner in die Hallen der Demokratie eingezogen. Den ultra-orthodoxen Parteien, die ein Monopol auf jüdisch-religiöse Angelegenheiten beanspruchen, ist er ein Dorn im Auge.

In einem Eintrag in das Knesset-Gästebuch gab Präsident Rivlin allen Abgeordneten eine Sache mit auf den Weg: „Möge Liebe, Brüderlichkeit, Frieden und Freundschaft unter Euch sein.“ Und gegen Ende seiner Rede vor dem Plenum, die er teilweise mit gebrochener, hörbar emotionaler Stimme hielt, bekräftige das Staatsoberhaupt: „Ich glaube an dieses Volk.“

Von: ser

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