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Das Land schaut nach Jerusalem

Jerusalem wählt seinen Bürgermeister neu. Auch die große Poltik mischt sich in die Kommunalwahlen ein. Wer am Ende gewinnt, ist völlig offen.
In ganz Israel finden alle fünf Jahre Kommunalwahlen statt

„Jerusalem ist eine Herausforderung von nationaler Bedeutung und größter Wichtigkeit“, sagt Se’ev Elkin. Der 46-Jährige tritt am 30. Oktober bei den Bürgermeisterwahlen in der israelischen Hautstadt an – und bringt die Bedeutung der anstehenden Abstimmung ganz gut auf den Punkt. Denn wenn am Dienstag ein Großteil der rund 850.000 Jerusalemer, nämlich jene im Alter von mindestens 17 Jahren, zum Gang an die Wahlurne aufgerufen ist, schaut das politische Israel in Richtung Hauptstadt. Die Bedeutung der Wahl über die Stadtgrenzen hinaus zeigte sich schon im Vorfeld, als sich mehrere hochrangige Politiker persönlich in die Kandidatenaufstellung einmischten.

Elkin ist einer von insgesamt fünf Kandidaten. Der Likud-Politiker ist als Minister im Kabinett von Premierminister Benjamin Netanjahu (ebenfalls Likud) auch für Jerusalem-Angelegenheiten zuständig. Für die Kandidatur musste er seinen Wohnsitz verlegen: Von der einige Kilometer südlich von Jerusalem gelegenen Siedlung Kfar Eldad in die Hauptstadt.

Als eine Hauptaufgabe sieht der religiös-konservative Politiker die Erhaltung der jüdischen Identität Jerusalems. „Wenn man sich das Jerusalem von heute anschaut, kann man so etwas wie die DNA der israelischen Zukunft erkennen“, bezog er sich im Gespräch mit dem Nachrichtenportal „Arutz Scheva“ auf den großen Bevölkerungsanteil von Ultra-Orthodoxen und Arabern – und sprach damit die schwierige Frage der demografischen Entwicklung an, die den jüdischen Staat auch als Ganzes seit jeher beschäftigt. Elkin plant, die Genehmigung von Bauprojekten „dramatisch zu vermehren“, um die Abwanderung jüdischer Familien zu stoppen. Auch in Ostjerusalem soll zu diesem Zweck gebaut werden. Zudem will er mehr Unternehmen zur Ansiedlung im Stadtgebiet bewegen und die Kapitale dadurch finanziell unabhängiger machen.

Wirbt mit seinen guten Beziehungen zum Premierminister: Bürgermeisterkandidat Se'ev Elkin
Wirbt mit seinen guten Beziehungen zum Premierminister: Bürgermeisterkandidat Se’ev Elkin

Elkins Bonus: Seine politische Erfahrung und gute Beziehungen in die große Politik. Der Premierminister höchstpersönlich unterstützt seine Kandidatur: „Elkin hat viel für unsere Hauptstadt getan und bewiesen, dass sie ihm sehr am Herzen liegt“, meint Netanjahu. Auch der bisherige Bürgermeister Nir Barkat, den es in die nationale Politik zieht, und Bildungsminister Naftali Bennett (Jüdisches Haus) stehen hinter Elkin.

Themen: Abwanderung, Wohnungsknappheit, Wirtschaftsentwicklung

Neben Elkin haben noch drei weitere Kandidaten gute Chancen, es beim ersten Wahlgang auf einen der ersten beiden Plätze zu schaffen. Da mehreren Umfragen zufolge wohl kein Bewerber auf Anhieb über die erforderliche 40-Prozent-Hürde springt, wird es am 13. November aller Voraussicht nach eine Stichwahl geben. Elkins große Konkurrenten um einen Platz im Stechen sind Ofer Berkovitsch, Mosche Lion und Jossi Deitsch.

Der Jerusalemer Stadtrat Berkovitsch will das säkulare, traditionelle und liberal-religiöse Lager vertreten und hofft auch auf einige Stimmen von modernen Haredim. Er betont neben der ökonomischen Entwicklung, der Integration aller Bevölkerungsteile durch Koexistenz-Projekte und dem Umgang mit der Wohnungsknappheit auch die Lösung der Alltagsprobleme, wie etwa des teilweise dreckigen Stadtbilds.

Junger Herausforderer mit guten Chancen: Ofer Berkovitsch
Junger Herausforderer mit guten Chancen: Ofer Berkovitsch

Junger Kandidat mit guten Chancen

Sein Problem: Der 35-jährige Initiator der Bewegung „Hit’orerut“ (Erwachen) hat den Ruf eines Jungspunds und gilt vielen als zu unerfahren, obwohl er bereits einige Jahre als Vize-Bürgermeister Jerusalems gearbeitet hat. In einem Facebook-Video macht sich Elkin über seinen jungen Gegenspieler lustig. Politik sei kein Kinderspiel, mahnt der Minister in dem offensichtlich aufwändig gedrehten Streifen. Er kann es sich leisten: Elkin hat für den Wahlkampf umgerechnet etwa 1,5 Millionen Euro an Spendengeldern erhalten. Das ist weitaus mehr als bei den anderen Kandidaten: Berkovitsch konnte nur 37.400 Euro einsammeln, die anderen noch weniger.

Berkovitsch wiederum versucht, mit seiner Verwurzelung in Jerusalem und seiner politischen Unabhängigkeit zu punkten: „Ich bin nicht einer von diesen Politikern, die von oben ins Rennen geworfen wurden (…). Vielmehr bin ich jemand, der in der Stadt aufgewachsen ist und bereits zehn Jahre im Stadtrat gearbeitet hat“, setzte er einen Seitenhieb gegen Elkin und seinen anderen Konkurrenten Mosche Lion.

Denn auch Lion stammt nicht aus Jerusalem. Er kam erst vor fünf Jahren in die Hauptstadt, als er schon einmal versuchte, Bürgermeister zu werden. Damals reichte es für ihn knapp nicht. Wie Elkin erhält auch Lion Unterstützung aus der großen Politik. Verteidigungsminister Avigdor Lieberman (Israel Beiteinu) und der ultra-orthodoxe Innenminister Arieh Deri (Schass) – eine eigentlich ungewöhnliche Allianz – stützen die Kampagne des früheren Generaldirektors des Premierministers.

Lion rechnet vor allem mit Stimmen aus der ultra-orthodoxen Wählerschaft Jerusalems, die ihn vor fünf Jahren massiv unterstützt hatte, sieht sich aber auch als Integrationsfigur. Er will die Infrastruktur im Osten der Stadt verbessern, die über Jahrzehnte vernachlässigt worden sei, und sieht die Abwanderung junger Israelis ebenfalls als großes Problem. Sein Motto beschreibt er mit den Worten: „Leben und leben lassen.“

Ein ultra-orthodoxer Bürgermeister?

Das größte Schreckgespenst der säkular-liberalen Bevölkerung dürfte der Vierte im Bunde sein: Vize-Bürgermeister Jossi Deitsch. Wenn es dem ultra-orthodoxen Politiker gelingt, das Lager der Haredim hinter sich zu vereinen, könnte er der zweite ultra-orthodoxe Bürgermeister in der Geschichte Jerusalems werden. Immerhin machen die strenggläubigen Juden rund ein Drittel der Stadtbevölkerung aus. Massive Konflikte mit dem moderneren Teil Jerusalems wären dann vorprogrammiert. Analysten weisen allerdings darauf hin, dass die ultra-orthodoxe Gemeinschaft sehr unterschiedlich wähle. Diese Spaltung des Haredim-Lagers macht Deitschs Wahl eher unwahrscheinlich. Welcher Kandidat aber am Ende das Rennen macht, ist kaum vorherzusehen.

Allerhöchstens Außenseiterchancen werden dem ehemaligen Jerusalemer Staatsanwalt Avi Salman eingeräumt. Vom engen Vertrauten Barkats ist der 36-Jährige in den vergangenen Monaten zu einem scharfen Kritiker des scheidenden Bürgermeisters geworden, was die Amtsausführung angeht. Wie Elkin gehört er dem Likud an. Mit Simha Benisti hat er als einziger Kandidat eine Frau mit Behinderung in seine Liste aufgenommen – sie ist auf ein orthopädisches Bett und einen Rollstuhl angewiesen.

Gar nicht zur Wahl gehen werden wohl die meisten arabischen Einwohner, die über ein Drittel der Stadtbevölkerung ausmachen. Sie boykottieren die Kommunalwahlen in Jerusalem traditionell, um die „israelische Besatzung“ nicht zu legitimieren. Der Hohe Fatwa-Rat hatte diese Haltung im Vorhinein noch einmal bekräftigt. Der arabische Jerusalemer Asis Abu Sarah zog seine Kandidatur für das Bürgermeisteramt zurück. Als Gründe nannte er hohe staatliche Hürden, aber auch „starken Druck“ von palästinensischer Seite. Letzterer wird die meisten Araber am Ende wohl davon abhalten, ihre Stimme abzugeben – auch wenn in einer Umfrage Anfang des Jahres rund 60 Prozent der Ostjerusalemer Palästinenser Sympathie für eine Teilnahme an der Wahl bekundeten.

Dass die Kommunalwahlen seit einiger Zeit mit niedrigen Wahlbeteiligungen zu kämpfen haben, liegt aber keinesfalls nur an diesem arabischen Boykott. Denn nicht nur in Jerusalem lag die Wahlbeteiligung 2013 bei sehr niedrigen 36 Prozent. In Tel Aviv und anderen Städten des Landes ging teilweise nicht einmal jeder Dritte zur Wahl. Positive Folge für die Israelis: Der Tag der Kommunalwahl ist in diesem Jahr erstmals arbeitsfrei – und zwar in ganz Israel. Denn nicht nur in der Hauptstadt können die Menschen am Dienstag Bürgermeister und Kommunalparlament neu wählen, sondern landesweit.

Von: Sandro Serafin

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