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Der ewige Streit um den Schabbat

Um eine Brücke möglichst verkehrsschonend zu errichten, sollen Bauarbeiter in Tel Aviv am Schabbat arbeiten. Aufgrund des Widerstandes von Ultra-Orthodoxen wird das Bauvorhaben zum Politikum. Es ist nicht der erste Vorgang dieser Art.
Wichtige Verkehrsader: Die Ajalon-Autobahn

„Der Schabbat ist für den Menschen da, nicht der Mensch für den Schabbat.“ So steht es in der Bibel, so entgegnete es Jesus wohl vor rund 2.000 Jahren den Pharisäern. Sie hatten sich der Überlieferung zufolge beschwert, weil die Jünger am Schabbat, dem wöchentlichen jüdischen Ruhetag, durch Kornfelder ging und Ähren abpflückten.

Auch für die Juden des 21. Jahrhunderts ist der Schabbat immer wieder ein Thema, an dem sich die Geister scheiden. Nun ist in Israel wieder einmal ein heftiger Streit um die Frage entbrannt, ob der jüdische Staat ihn gelegentlich umgehen darf.

Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung: Eine 110 Meter lange Fußgängerbrücke, die über die Ajalon-Autobahn im Zentrum Tel Avivs gebaut werden soll. Um das durch die Bauarbeiten absehbare Verkehrschaos möglichst gering zu halten, planten die zuständigen Stellen auch an sechs aufeinanderfolgenden Samstagen Arbeiten an der Brücke ein. Denn um die Stahlträger zu befestigen, müssen Teile der viel befahrenen, teils zehnspurigen Autobahn gesperrt werden. Am 31. August sollte es losgehen.

Litzman: „Massive Schabbatschändung“

Doch die Ultra-Orthodoxen in der Regierung grätschten dazwischen. In einem Brief an Verkehrsminister Israel Katz zeigte sich Ja’akov Litzman, der stellvertretende Gesundheitsminister und Chef des Vereinigten Tora-Judentums (VTJ), „schockiert“ angesichts der Pläne. „Dies ist eine massive Schabbatschändung, die eine ernsthafte Verletzung des Status quo darstellt und die Tradition Israels und die Gefühle der Mehrheit der israelischen Öffentlichkeit und der Haredim […], die den Schabbat als nationalen Ruhetag betrachten, verletzt“, polterte Litzman laut dem Nachrichtenportal „Arutz Scheva“ gegen den Likud-Minister.

Der verkündete schließlich nur einen Tag später einen wohl sechsmonatigen Aufschub. „Die geplante Baumethode scheint problematisch zu sein und verursacht ernsthaften und unverhältnismäßigen Schaden für die Öffentlichkeit während des Wochenendes“, begründete Katz den Schritt. Das für die Ajalon-Autobahn zuständige Unternehmen soll nun eine Alternative ausfindig machen, etwa Bauarbeiten in der Nacht. Katz erklärte später laut der Onlinezeitung „Times of Israel“, dass ihn „nationale Überlegungen“ geleitet hätten und er die Autobahn weder am Wochenende noch in der Mitte der Woche geschlossen sehen wolle.

Opposition: Ultra-Orthodoxe regieren das Land

Vor allem aus den Reihen der Opposition hagelte es Kritik an Katz‘ Vorgehen. Tel Avivs Bürgermeister Ron Huldai (Avoda) nannte die Entscheidung „skandalös“. Er sieht den Druck der Ultra-Orthodoxen als ausschlaggebend für Katz‘ Entscheidung. „Anstatt ein demokratisches Land angemessen zu regieren, machen sie eine Theokratie aus ihm“, schimpfte Huldai.

Ähnlich kommentierte auch Jair Lapid (Jesch Atid) die Ereignisse. Er griff direkt Regierungschef Benjamin Netanjahu an, obwohl dieser selbst unterschwellig Kritik an Katz‘ Maßnahme geäußert hatte. Die Ultra-Orthodoxen seien die „wahren Führer“ der Regierung und hätten den Premier angewiesen, die Baupläne zu stoppen. „Also gehorchte Netanjahu natürlich und fror sie ein – und wir müssen wieder im verrückten Verkehr stehen.“

Möglicherweise bezog sich Lapid damit auf Vorgänge aus dem Jahr 2016. Damals hatte Netanjahu auf Druck der Haredim zahlreiche samstägliche Wartungsarbeiten im israelischen Schienennetz gestoppt – und damit am Sonntag, dem ersten Arbeitstag der Woche, ein Verkehrschaos verursacht. Rund 150.000 Zugreisende waren von 150 Zugausfällen betroffen. Da viele notgedrungen aufs Auto umstiegen, wurden auch einige Straßen verstopft.

Im November 2017 spitzte sich der „Schabbat-Krieg“, wie es die linksgerichtete Tageszeitung „Ha’aretz“ nannte, noch einmal zu. Das führte zum Rücktritt von VTJ-Chef Litzman als Gesundheitsminister – aktuell agiert er zwar faktisch als Gesundheitsminister, offiziell jedoch nur in Stellvertretung. Nach dem Rücktritt einigte sich die Koalition auf einen Kompromiss. Demnach soll der Arbeitsminister bei der Erteilung von Schabbat-Genehmigungen künftig auf die jüdische Tradition Rücksicht nehmen. Von nun an sollte nur noch samstags gearbeitet werden, wenn ein Baustopp die „nationale Verteidigung, die körperliche Sicherheit oder das Eigentum gefährdet, oder der Wirtschaft großen Schaden zufügt“. Den jetzigen Eklat konnte jedoch auch diese Abwägungsregelung nicht verhindern.

Schabbat-Streit zu Jahresbeginn

Wie sich ein Schabbat-Streit in Israel hochschaukeln kann, zeigte sich auch in diesem Jahr schon einmal. Auf Druck der ultra-orthodoxen Schass-Partei und dessen Vorsitzenden Arje Deri brachte die Regierung zum Jahreswechsel ein Gesetz durch die Knesset, das den Innenminister befähigt, kommunal erteilte Öffnungsgenehmigungen für den Schabbat mit einem Veto zu belegen.

Das Gesetz passierte das Parlament mit einer hauchdünnen Ein-Stimmen-Mehrheit. Dadurch lagen die Nerven offenbar so blank, dass der Likud eine eigene Abgeordnete mit einem (letztlich nicht erfolgreichen) Parteiausschlussverfahren belegte. Sie hatte dem Gesetz ihre Stimme verweigert. Zudem versuchte Schass-Chef Deri persönlich, den Likud-Abgeordneten Jehuda Glick für die Abstimmung in die Knesset zu zwingen, obwohl der gerade um seine kurz zuvor verstorbene Frau trauerte.

Und Verteidigungsminister Avigdor Lieberman von der säkular-nationalen Partei Israel Beiteinu zog den Zorn der Ultra-Orthodoxen auf sich, als er sich am Schabbat – offensichtlich als provokativer Protest gegen das Gesetz – einen Kaffee kaufte. „Ich bin fertig mit Lieberman“, meinte Deri daraufhin laut der „Times of Israel“. „Er hat auf dem Schabbat herumgetrampelt und jede rote Linie überschritten.“

Der Schabbat in Israel: Manchmal scheint es, als wäre er nur für den Streit da.

Von: Sandro Serafin

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