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„Kein höheres Antisemitismus-Potenzial unter Muslimen“

Unter Muslimen gibt es kein höheres Antisemitismus-Potenzial als etwa unter Christen. Das hat der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, im Gespräch mit Israelnetz erklärt. Darin kritisiert er außerdem eine einseitige Israel-Berichterstattung der Medien und zeigt sich empört über judenfeindliche Äußerungen innerhalb der Kirche.
Felix Klein sieht die Berichterstattung deutscher Medien über Israel kritisch

Israelnetz: Derzeit ist der muslimische Antisemitismus in aller Munde …

Felix Klein: Dass Juden sich durch Muslime bedroht fühlen, müssen wir ernst nehmen. Die durch die Medien bekannt gewordenen Fälle zeigen ja auch, dass Juden sich offenbar auf deutschen Straßen wirklich nicht sicher fühlen können, wenn sie Kippa tragen, wie Zentralratspräsident Josef Schuster sagt.

Ist das Antisemitismus-Potenzial bei Muslimen höher?

Die Debatte wird sehr unehrlich geführt. Muslimen wird unterschwellig ein grundsätzlicher Antisemitismus unterstellt, der in der Realität aber nicht existiert. Wir müssen uns gegen dieses Vorurteil wenden. Natürlich gibt es Fälle von muslimischem Antisemitismus und egal, wer diese rote Linie überschreitet, wir müssen dagegen vorgehen. Aber in meinen Augen gibt es kein erhöhtes Antisemitismus-Potenzial unter Muslimen.

In muslimischen Ländern wie Aserbaidschan, Bahrain oder Albanien gibt es kaum Antisemitismus. Muslimische Menschen, die zum Beispiel aus der Region Palästina kommen, sind dagegen eher israelkritisch. Da liegt Antisemitismus sozusagen in der Luft. Bedingt durch die politische Situation. Ich werde nun das Gespräch mit den Islamverbänden suchen. Natürlich ist der Antisemitismus unter Muslimen stark vom Nahostkonflikt geprägt. Durch diese politische Aufladung findet in manchen Verbänden Antisemitismus Eingang in das Denken und Sprechen. Es muss klar sein: Wir können uns kritisch über Israel unterhalten. Aber das Existenzrecht des Staates wird nicht in Frage gestellt. Von den Verbänden selbst könnte auch mehr Einsatz gegen Antisemitismus kommen. Ich möchte vermitteln, dass es für muslimische Organisationen ein lohnender Kampf ist, sich gegen Judenhass stark zu machen. Auch als Zeichen der Integrationsbereitschaft an die deutsche Gesellschaft. Darüber hinaus könnten sie selbst viel glaubwürdiger Solidarität einfordern, wenn etwa Kopftuchträgerinnen angegriffen werden.

Der israelische Kulturwissenschaftler David Ranan beklagt eine „Panikmache“: „Wenn ein großer Teil der Juden in Deutschland in Panik vor Muslimen lebt, schadet es vor allem ihnen selbst. Und diese Panik wird von jüdischer Seite geschürt.“

Ich nehme die Analyse von David Ranan als weitere Motivation dafür, dass wir ein Meldesystem für antisemitische Straftaten brauchen. Das möchte ich bis Ende des Jahres auf den Weg bringen. Es soll vor allem Fälle unter der Strafbarkeitsgrenze erfassen und klarer zeigen, aus welchem Umfeld die Täter kommen, indem sich die Angegriffenen selbst auch dazu äußern können. Wenn wir diese Daten haben, können wir uns leichter darüber unterhalten, ob Herrn Ranans Thesen zutreffen oder nicht.

Ranan schlägt auch vor, statt von Antisemitismus von Judenhass zu sprechen, um politische Kritik schärfer von Religionshass abzugrenzen. Sind Sie zufrieden mit der gängigen Antisemitismus-Definition der Bundesregierung?

Ich finde es vor allem gut, dass wir überhaupt eine international akzeptierte Definition haben. Im Falle von Antiziganismus gibt es das nicht. Die Definition lässt Fragen offen, das stimmt. Aber sie wird begleitet von einem Beispiel-Katalog und der macht es viel klarer. Würden wir nur Judenhass als Kriterium nehmen, fiele hinten runter, dass auch Nichtjuden antisemitisch attackiert werden können – denken Sie an den Kippaträger, der in Berlin mit einem Gürtel angegriffen wurde.

Felix Klein ist der erste Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung Foto: pro/Anna Lutz
Felix Klein ist der erste Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung

Wo ist die Grenze zwischen zulässiger Israelkritik und Antisemitismus?

Wenn an die Handlungen der israelischen Regierung andere Maßstäbe angelegt werden als an die Regierungen anderer Länder. Oder wenn Israel dämonisiert oder in anderer Form delegitimiert wird. Ich finde es sehr wichtig, dass man die Handlungen der israelischen Regierung kritisieren kann. Die Siedlungspolitik etwa. Aber wenn Israel sein Recht auf Selbstverteidigung zum Beispiel nicht so wahrnehmen können soll wie andere Länder, dann ist das antisemitisch. Wenn Raketen aus dem Gazastreifen auf Israel abgefeuert werden, hat Israel natürlich das Recht, sich zu verteidigen. In deutschen Medien aber wird oft schwerpunktmäßig die israelische Antwort beleuchtet und kritisiert. Das ist nicht fair. Ein anderes Beispiel: Erst kürzlich hat der RBB vermeldet, zwei Palästinenser seien durch israelische Panzer umgebracht worden. Das Wort „umbringen“ aber benutzt man eigentlich nicht im Zusammenhang mit Soldaten. Das ist tendenziöse Berichterstattung und das geschieht in Deutschland sehr oft.

Was genau kann ein Beauftragter Wirksames tun, wenn etwa die „Süddeutsche Zeitung“ antisemitische Karikaturen veröffentlicht, wie jüngst geschehen?

Ich benenne Antisemitismus, wenn er auftritt. So wie im Falle der „Süddeutschen Zeitung“. Es muss klar sein, wo die Roten Linien liegen. Ich möchte aber auch dafür sorgen, dass die Kontrollmechanismen in den Medien besser funktionieren, damit solche Fälle gar nicht erst auftreten. Dazu suche ich das Gespräch mit den Leitern der Rundfunkanstalten und Redaktionen. Es gibt da eindeutig Handlungsbedarf.

Sie haben den „Al-Quds-Tag“ kritisiert. Für wie realistisch halten Sie es, dass diese anti-israelische Kundgebung in Berlin verboten wird?

Mir ist klar, dass die Hürden für ein Verbot von Demonstrationen sehr hoch sind, und zu Recht ist das Demonstrationsrecht auch ein sehr geachtetes Recht. Vor dem Hintergrund der letzten Vorfälle in Berlin – denken Sie etwa an die Verbrennung einer israelischen Flagge vor dem Brandenburger Tor – bin ich aber zuversichtlich, dass die Chancen für ein Verbot heute größer sind als noch ein Jahr zuvor. Sie zeigen nämlich, dass das Demonstrationsrecht missbraucht wird. Dass auf Demonstrationen gerufen wird: „Juden ins Gas“, ist nicht tolerierbar.

Offenbar haben nicht nur Muslime, sondern auch die Evangelische Kirche ein Antisemitismus-Problem …

Antisemitismus kommt bei Vertretern der Evangelischen Kirche immer wieder vor, insofern gibt es dort ein Antisemitismus-Problem. Ich wünsche mir von Kirchenrepräsentanten, dass sie sich schneller und proaktiver von entsprechenden Vorfällen, Publikationen und Äußerungen distanzieren. Ganz grundsätzlich finde ich aber, dass sich die Evangelische Kirche als Ganzes in der Vergangenheit richtig und gut im Hinblick auf Antisemitismus positioniert hat.

Sind Protestanten häufiger judenfeindlich?

Immer wieder werden protestantische Schriften als antisemitisch kritisiert, zuletzt etwa ein Aufsatz in einer Arbeitshilfe der Evangelischen Kirche im Rheinland zu 70 Jahren Israel. Oder ein Text von Ulrich Duchrow aus dem Jahr 2016. Darin vergleicht er Israel mit dem Apartheidstaat Südafrika. Warum sind Protestanten so oft judenfeindlich?

Es gibt einen grundlegenden Reflex von Christen, sich für die Schwachen einzusetzen. Palästinenser werden im Konflikt mit Israel als der Schwächere wahrgenommen. Dagegen ist erstmal nichts einzuwenden. Aber wenn die Kritik an Israel antisemitische und antijudaistische Bilder bedient – die ja auch in der Evangelischen Kirche Tradition haben –, dann ist eine Grenze überschritten.

Der Vorsitzende des jüdischen Landesverbandes Nordrhein, Oded Horowitz, sagte als Reaktion auf die Arbeitshilfe der EKD zu 70 Jahren Israel: „Seit Luther hat die evangelische Kirche ein Antisemitismusproblem.“

So pauschal würde ich das nicht behaupten. Luther hat sich bekanntlich antisemitisch geäußert und wurde von den Nazis auch noch instrumentalisiert. Aber es gab auch immer wieder führende Vertreter der Kirche, die das zurechtgerückt und sich distanziert haben.

Arbeitshilfen und Luthers Antisemitismus sind nicht der einzige Bezug der Protestanten zum Thema. Da wäre auch die Vergabe des Echo für ein antisemitisches Lied und der ausbleibende Widerspruch des evangelischen Vertreters in der Jury. Hätte der evangelische Vertreter Klaus-Martin Bresgott klarer Stellung beziehen müssen?

Absolut. Im Gegensatz zu ihm hat die katholische Vertreterin dagegen gestimmt. Da ist ein absolutes Versagen festzustellen. Die Evangelische Kirche entsendet doch genau aus dem Grund Vertreter in solche Gremien, um moralische Standards einzufordern und das christliche Weltbild zu verteidigen. Das ist richtig und gut so, aber in diesem Fall hat der evangelische Vertreter versagt und auch die Kirchenoberen haben sich meines Erachtens zu spät zu dem Vorfall geäußert.

Herr Klein, vielen Dank für das Gespräch!

Die Fragen stellte Anna Lutz

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