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„Nur die Starken überleben“

Yaakov Hadas-Handelsman ist seit 2012 Israels Botschafter in Deutschland. Am Sonntag hat er seinen letzen Arbeitstag.
Sprach mit Israelnetz über die Lage im Nahen Osten: Israels Botschafter Yaakov Hadas-Handelsman

Anlässlich des Endes seiner Amtszeit als israelischer Botschafter in Deutschland veröffentlicht Israelnetz an dieser Stelle ein Interview mit Yaakov Hadas-Handelsman aus dem Jahr 2013. Er sprach damals über seine größte Herausforderung in der Bundesrepublik und erklärte, was die Araber von dem preußischen General Carl Philipp Gottlieb von Clausewitz lernen können.

Israelnetz: Sie sind jetzt seit mehr als einem Jahr Israels Botschafter in Deutschland. Was war Ihr bislang schönstes Erlebnis hier?

Yaakov Hadas-Handelsman: Ein schönes Erlebnis herauszufinden ist schwer, weil es so viele gibt. Aber meiner Meinung nach sind das schönste Erlebnis die Menschen, die Freundschaft, die ich hier in Deutschland finde. Ich bin fast in allen Ecken Deutschlands gewesen und es ist immer sehr angenehm und nicht so überraschend, zu sehen, welche Freundschaft die Deutschen für Israel und die Israelis haben.

Und was sehen Sie als Ihre größte Herausforderung in Deutschland?

Deutschland ändert sich. Das heißt, die Gesellschaft ändert sich. Es ist fast 70 Jahre her, seit der Zweite Weltkrieg beendet ist und es gibt heute schon die dritte, wenn nicht die vierte Nachkriegsgeneration. Die Leute wissen weniger über die Vergangenheit. Die Tatsache, dass so viel Zeit vergangen ist, lässt die Ereignisse oder die schrecklichen Verbrechen nicht mehr so empirisch erscheinen und deswegen heißt es als Konsequenz manchmal: Es war furchtbar, so etwas sollte nie passieren, nicht nur in Deutschland oder in der ganzen Welt. Und dann ist Schluss. Wir meinen aber: Dann ist überhaupt nicht Schluss. Die deutsche Verantwortung existiert weiter und wird unserer Meinung nach noch für ewig existieren. Die Herausforderung ist, das klar zu machen. Das heißt, einerseits gibt es keine Schuld mehr, weil die Leute tot sind, aber die Verantwortung existiert sowohl für das jüdische Volk, als auch für den Staat Israel. Dazu kommt an zweiter Stelle: Wenn jemand heute etwas über Israel weiß, dann hat es meist mit Politik zu tun: die Lage im Iran, Palästinenser, der arabische Frühling, Syrien, Hisbollah, also immer etwas, das instabil ist. Dann denken die Leute, dass Israel gefährlich ist und dass dort nur gekämpft wird. Die Wahrheit ist, dass es daneben zahlreiche Bereiche und Aktivitäten gibt, die zum Teil großartig sind und wo Israel an der Spitze der Welt steht, aber davon wissen die Leute nicht so viel.

In Deutschland wird immer wieder über die Zusammenhänge von Antisemitismus und Kritik an Israel diskutiert. Wann wird Kritik an Israel antisemitisch?

Kritik an Israel ist legitim. Punkt. Aber es stellen sich die Fragen: Was ist das für eine Kritik? Wer übt diese Kritik? Ist die Kritik sachlich? Ist derjenige, der Kritik übt, ein Experte? Was für ein Wortschatz wird benutzt? Wenn jemand hier in Deutschland die Lage in Gaza mit einem Lager vergleicht, dann klingt das nicht nach einem Bierlager, oder einem Autoersatzteillager. Es ist dann nicht schwer zu erkennen, wer Antisemit ist und wer Israel kritisiert. Dazu kommt etwas anderes, das uns Sorgen macht, und das ist die Tatsache, dass es heute einen Begriff gibt namens „Israelkritik“. Ich habe noch nie gehört, dass es Russlandkritik, Amerikakritik, Frankreichkritik oder Italienkritik gibt. Obwohl es Kritik in allen Ländern und auch in Deutschland an diesen Ländern gibt, aber das ist egal. Nur bei Israel gibt es diesen Titel „Israelkritik“. Und deswegen sage ich: Wenn jemand sich zum Beispiel als Experte bezeichnet und noch nie in Israel gewesen ist, dann ist das ein Problem. Deutschland ist etwas Besonderes wegen der Vergangenheit, für ewig. Und deswegen erwarten wir ein bisschen Sensibilität.

In Europa gibt es immer mehr Bestrebungen, Israel zu boykottieren und die Siedlungsprodukte zu kennzeichnen. Was halten Sie von dieser internationalen Boykottbewegung?

Das ist auch eine Art und Weise von Demokratur. Wer sind die Leute, die diese Bewegung leiten? Entweder Leute, die aus der arabischen Welt kommen, wo es leider keine Demokratie gibt. Oder es sind andere, die sehr demokratisch sind, solange es in ihre Richtung geht. Es gibt einen grundsätzlichen Widerspruch zwischen Demokratie und Boykott. Die israelische Regierung ist das Ergebnis von freien demokratischen Wahlen. Diese Regierung ist legitim, sie hat die Macht, hat das Recht. Und wenn zum Boykott aufgerufen wird, wird das Volk boykottiert und nicht die Regierung. Ich kann verstehen, wenn jemand gegen eine bestimmte israelische Regierung ist. Aber es ist ein Problem, wenn man herausfindet, dass sich derselbe vor zehn oder 20 Jahren über frühere Regierungen beschwert hat. Israel ist Israel, alles, was Israel tut, ist schlecht und dagegen muss man kämpfen. Ich habe noch nie gehört, dass eine Zivilgesellschaft zu Aktionen gegen die täglichen Massaker in Syrien aufruft. Hier am Ku‘damm gibt es eine Demonstration gegen ein Geschäft, das Kosmetikprodukte aus dem Toten Meer verkauft. Dort tanzen sie mit Plakaten. Man muss nur die Farbe ändern – dann ist es wie 1933. Wenn ich das in New York oder irgendwo in der Welt sehe, ist das zwar nicht sehr angenehm, aber es ist egal, es sind verrückte Leute. Warum sollen wir Zeit verbringen, um mit ihnen zu verhandeln? Aber wenn ich das hier sehe… Jetzt komme ich zu den Siedlungsprodukten. Israel verletzt die Abkommen mit der EU nicht. Sie müssen mir nicht glauben, Sie können direkt bei der Kommission in Brüssel anfragen. Aber das genügt manchen Leuten hier in Europa nicht. Gibt es ein anderes Beispiel, wo ein Land Produkte aus sogenannten umstrittenen Gebieten in die EU exportiert, und diese Waren werden gekennzeichnet? Wir haben mehr als 40 Beispiele für Produkte aus umstrittenen Gebieten – von China bis Marokko. Wir alle kaufen solche Produkte. Ich habe noch nie gehört, dass etwas, das aus Tibet stammt, mit „Made in Tibet“ gekennzeichnet wurde und nicht mit „Made in China“. Entweder oder, wenn das ein neues Gesetz ist, dann soll es für alle gelten.

Wie stehen die Chancen auf eine Rückkehr zu den Friedensverhandlungen?

Leider gibt es seit mehr als vier Jahren keine Friedensverhandlungen mehr, weil die Palästinenser das nicht wollen. Sie haben verstanden, dass sie viel bei der internationalen Gemeinschaft erreichen, anstatt dieselben Ergebnisse durch Verhandlungen zu erreichen. Der Unterschied ist sehr einfach: Wenn sich jemand an den Verhandlungstisch setzt und einen Vertrag erreicht, beruht das auf Gegenseitigkeit. Das heißt, ich gebe etwas und bekomme etwas. Aber wenn jemand etwas einseitig durch die internationale Staatengemeinschaft erreichen kann, ist es selbstverständlich, es auf diese Art und Weise zu bekommen. Genau das passiert heute. Deswegen haben die Palästinenser keine Motivation, zum Verhandlungstisch zurückzukehren und deswegen stellen sie immer diese Vorbedingungen. Wenn wir heute auch alle Siedlungen zerstören, wird es eine neue Vorbedingung geben. Statt Druck auf die Palästinenser auszuüben und sie zu überzeugen, zum Verhandlungstisch zurückzukehren, gibt es die Versuche, sich mit solchen Themen wie der Markierung von Siedlungsprodukten zu beschäftigen.

Die Arabische Liga hat jüngst die Möglichkeit kleinerer Gebietsaustausche zwischen Israel und den Palästinensern erwogen. Sehen Sie darin eine Annäherung der arabischen Welt an Israel?

Das ist sehr bedeutend. Auch wenn es nur ein kleiner zusätzlicher Schritt auf diesem langen Weg zum Frieden ist. Meiner Meinung nach ist es ein Beweis dafür, dass die Arabische Liga, und die arabische Welt allgemein, noch immer dazu verpflichtet ist, diesen Frieden zu erreichen. Aber das alles ist unerreichbar, solange wir und die Palästinenser nicht an den Verhandlungstisch zurückkehren. Die Erwägung ist wichtig, weil zum ersten Mal ein offizielles Statement von der Arabischen Liga kommt.

Welche Gefahr droht Israel durch Syrien?

Erstens die Gefahr, dass Assad uns in diesen Konflikt hineinzieht. Zweitens gibt es die Gefahr durch das große Arsenal von chemischen Waffen und die strategischen Raketensysteme, die irgendwo in Syrien unterwegs sind. Assad versucht immer, sie in den Libanon zu bringen, erstens um zu verhindern, dass die Rebellen diese Raketen erhalten und zweitens, weil er genau weiß, dass die Hisbollah solche Systeme nicht hat. Sie sind zu gut entwickelt und zu modern für die Hisbollah. Wenn die Hisbollah diese erhält, bedroht sie Israel und vielleicht greift sie Israel an. Sie kann sich leisten, was sich Assad als Staatsoberhaupt nicht leisten kann, weil sie Terroristen oder eine Gruppe sind, und er ein Präsident ist. Ich habe erst gestern (20. Mai) gehört oder gelesen, dass der britische Außenminister im Parlament gesagt hat, Großbritannien habe Beweise dafür, dass Assad das Nervengas Sarin gegen sein Volk eingesetzt hat. Das ist leider die Lage im Nahen Osten. Dort gibt es keine Gnade, keine Versöhnung. Wenn jemand stark ist, aber eine Geste machen will, dann wird das als Schwäche interpretiert. Und wenn jemand das Gefühl hat, dass der Gegner schwach ist, dann ist nicht die Zeit für Versöhnung, sondern zum Kämpfen. Die Araber haben vom preußischen General Carl Philipp Gottlieb von Clausewitz noch nichts gehört. Clausewitz hat gesagt, wenn ein Land oder Königreich den Krieg gegen einen Gegner gewonnen hat, soll der Verlierer nicht zu viel Erniedrigung erfahren, schließlich muss man weiter zusammenleben. Im Nahen Osten hat man davon leider noch nichts gehört. Nur die Starken überleben. Aber die guten Nachrichten sind: Auch Europa war nicht immer so, wie es heute ist. Deswegen gibt es noch Hoffnung, dass es im Nahen Osten auch zu diesen Zeiten kommen wird, in denen jemand, der stark ist, sagen kann: „Ich ziehe mich zurück aus einem besetzten Gebiet.“ Und die anderen werden sagen: „Sehr schön, das ist ein gutes Zeichen dafür, dass er wirklich für Frieden ist.“

Israel hat im April seinen 65. Geburtstag gefeiert. Seit seiner Gründung ist der Staat mit Kriegen und Anfeindungen konfrontiert, Friedensverhandlungen mit den Palästinensern liegen lange schon auf Eis. Wie sehen Sie die Zukunft?

Wir sind immer bereit, die Friedensverhandlungen zu erneuern. Das ist kein Spiel, dabei geht es um unsere Zukunft. In diesen Tagen ist die Lage in unserer Region besonders gefährlich und instabil. Wir sind bereit. Wir haben immer den Gedanken, dass unsere Nachbarn vielleicht schon verstanden haben, dass wir da sind und dass wir hier bleiben. Und dass man uns nicht einfach ins Meer werfen kann, wie man es 30 Jahre lang versucht hat. Ich war viel beschäftigt mit dem Friedensprozess bei meinen früheren Jobs. Aber manchmal habe ich wirklich das Gefühl, dass die Nachbarn sich noch nicht entschieden haben, ob sie uns anerkennen oder nicht. Sobald sie das realisieren, kann man Frieden erreichen. Parallel dazu werden wir immer versuchen, uns zu entwickeln. Mehr Start-Ups, mehr Erfindungen, bessere Wirtschaft. Meiner Meinung nach haben wir in 65 Jahren viel erreicht – nicht gerade unter leichten Umständen, sondern im Gegenteil. Trotz aller Bedrohungen und aller Kriege, die wir führen mussten, konnten wir das schaffen. Können Sie sich vorstellen, was wir erreichen können, wenn es Frieden gibt?

Vielen Dank für das Gespräch!

Von: Dana Nowak

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