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Israel und die Türkei verkünden Normalisierung

ANKARA / JERUSALEM (inn) – Nach sechs Jahren des Streits haben sich die Türkei und Israel wieder angenähert. Der Schritt erfolgt nicht wegen neu gewonnener Sympathien, sondern aus beiderseitigem Interesse.
Der israelische Premier Netanjahu verkündete in Rom die Normalisierung mit der Türkei
Für die Besatzung eines türkischen Panzers war es Rettung in Not. Eigentlich hätte jene Panzerfaust, die ein Kämpfer des „Islamischen Staates“ Mitte April bei Mossul auf sie abfeuerte, ihren Panzer zerstören müssen. Ein auf dem Gefährt montiertes Hightech-Abwehrsystem entschärfte jedoch das Geschoss und sorgte damit dafür, dass der Panzer nur leicht beschädigt wurde und die Soldaten den Angriff überstanden. Es war das Glück der Insassen, dass die Türkei einst ein enger Verbündeter Israels war. Denn jenes Hightech-Abwehrsystem stammt aus israelischer Entwicklung. Den Weg auf den Panzer fand es dank eines Waffendeals aus dem Jahr 2002. Es war eine Ära, in der der damalige Premier und heutige Präsident Recep Tayyip Erdogan eine „Null-Probleme-Politik“ mit den umliegenden Ländern in Aussicht stellte; heute sind solche Worte kaum denkbar. Tatsächlich haben die Türkei und Israel eine sechsjährige Zeit der Spannungen hinter sich; deren Ende verkündeten beide Seite am heutigen Montag. Der Zwist nahm spätestens nach einer folgenschweren Razzia der israelischen Marine seinen Anfang.

Konfrontation auf dem Mittelmeer

Am 31. Mai 2010 enterten israelische Marinesoldaten das Passagierschiff „Mavi Marmara“, das in Istanbul gestartete Hauptschiff einer internationalen Flotte von sechs Schiffen mit 700 Personen und 10.000 Tonnen Gütern. Die islamistische „Stiftung für Menschenrechte, Freiheiten und Humanitäre Hilfe“ (IHH) betrieb das Schiff; dahinter verbirgt sich allerdings eine Terrorgruppe. Das Ziel der Flotte war es offiziell, die Seeblockade des Gazastreifens zu durchbrechen. Tatsächlich wollten die Aktivisten Israel nur provozieren, wie sie später zugabendie „Hilfsgüter“ waren in derart schlechtem Zustand, dass die Hamas sie am Ende nicht haben wollte. Entsprechend gingen die „Friedensaktivisten“ nicht auf die Forderung der israelischen Marine ein, den Kurs zu wechseln und den Hafen Aschdod anzulaufen, um die Waren kontrollieren zu lassen. Israel möchte es vermeiden, dass Rüstungsgüter in das seit 2007 von der islamistischen Hamas beherrschte Gebiet gelangen. Bei fünf Schiffen der Flotte schaffte es die Marine ohne Mühe, das Steuer zu übernehmen. Auf der „Mavi Marmara“ waren die Aktivisten auf Soldaten vorbereitet und leisteten Widerstand. Unter anderem verprügelten sie diese und schossen auf sie. „Wir waren auf passiven Widerstand und friedliche Demonstranten eingestellt“ – und entsprechend bewaffnet, erzählt ein beteiligter Hauptmann, „und sahen uns Terroristen gegenüber, die uns töten wollten.“ Letztlich kamen bei der Aktion neun Türken ums Leben, ein weiterer starb vier Jahre später an seinen Verletzungen.

Jahre des Streits

Auf den Vorfall folgten über Jahre hinweg Vorwürfe, Untersuchungen, Anklagen und Drohgebärden. Die Türkei kündigte etwa an, zukünftige „Hilfsschiffe“ von der Marine schützen zu lassen. Israel gestand „unbeabsichtigte operative Fehler“ ein und äußerte Bedauern für die Todesopfer, entschuldigte sich aber nicht für den Vorfall als solchen. Der jüdische Staat sieht sich mit der Blockade des Gazastreifens und mit der Erstürmung der Flottille im Recht. Die Vereinten Nationen bestätigten diese Haltung in ihrem 2011 veröffentlichten „Palmer-Bericht“, den die Türkei nicht akzeptierte. Parallel dazu übten sich beide Seiten jedoch auch in Annäherungsversuchen. Das erste Signal dieser Art war im Mai 2013 zu vernehmen, als die Türkei und Israel verkündeten, sich auf einen Einigungsentwurf verständigt zu haben. US-Präsident Barack Obama hatte dabei vermittelt. Der israelische Premier Netanjahu verkündete damals, eine endgültige Abmachung werde „bald“ erwartet, noch bestehe Klärungsbedarf „in einigen Punkten“. Ähnliche Wortmeldungen sollten in den kommenden Jahren allerdings noch öfter zu hören sein.

Annäherung aus Eigeninteresse

Die jüngsten Entwicklungen in der Region dürften den Willen zur Annäherung auf Seiten der Türkei jedoch vergrößert haben. Der „Islamische Staat“ hat es nicht nur auf türkische Panzer im Irak abgesehen, sondern stellt mit seinen Raketen auch eine Bedrohung für die Türkei selbst dar. Zwischen Januar und Mai dieses Jahres erfuhr die Türkei etwa 70 Raketenangriffe, bei denen mehr als 20 Menschen starben. Auch ein Raketenangriff mit chemischen Waffen ist für die Zukunft nicht auszuschließen, sagen Militärexperten. Angesichts dieser Bedrohungslage ist die Türkei auf israelische Technologie angewiesen. „Wenn sich Ankaras Beziehungen zu Israel in den vergangenen Jahren nicht verschlechtert hätten, würden sich die Türken zuallererst die schnelle Anschaffung von bewaffneten Drohnen und von Iron-Dome-Batterien besorgen“, schreibt der türkische Militäranalyst Can Kasapoglu in einem Beitrag für das „Washingtoner Institut für Nahostpolitik“.

Krisenhafte Beziehungen

Für die Türkei kommen außenpolitische Schwierigkeiten hinzu. Sogar mit muslimischen Ländern liegt sie im Clinch. Die einst verkündete „Null-Probleme-Politik“ hat heute nichts mit der Wirklichkeit zu tun. Die Türkei unterstützte im Syrien-Konflikt radikale sunnitische Kräfte. Entsprechend angeschlagen sind die Beziehungen zur Schia-Achse Iran-Irak-Syrien-Hisbollah. Doch auch die sunnitischen Länder nehmen der Türkei diese Politik übel. Zu maßgeblichen Ländern wie Ägypten, Saudi-Arabien und Jordanien sind die Beziehungen abgekühlt. Ganz zu schweigen davon, dass die Türkei in Europa wegen der Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Kritik steht. Auch die Beziehungen zu Russland sind krisenhaft geworden. Seit die Türkei im November vergangenen Jahres über Syrien einen russischen Jet abgeschossen hat, herrscht Eiszeit zwischen Ankara und Moskau. Seit Januar gelten Handelsbeschränkungen, die auch Gaslieferungen betreffen. Bislang bezog die Türkei 55 Prozent seines Gases aus Russland. Mit dem nun erreichten Normalisierungsdeal stellt Israel Verhandlungen über Gaslieferungen in Aussicht.

Ambivalenter Deal

Vorzüge hat die Vereinbarung auch für Israel, auch wenn Kritiker sagen, der jüdische Staat hätte weit mehr erreichen können. Auf der Haben-Seite sind etwaige Gaslieferungen an die Türkei und die damit verbundenen Einnahmen, die nach den Worten Netanjahus „nicht zu unterschätzen sind“. Auch juristische Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit dem „Mavi Marmara“-Vorfall sind vom Tisch. Israel richtet für die Hinterbliebenen einen Hilfsfonds von umgerechnet 19 Millionen Euro ein. Diesen Punkt kritisierte der frühere „Likud“-Bildungsminister Gideon Sa‘ar: Es handele sich um Terroristen, und Israel hätte umgekehrt Entschädigung für verletzte Soldaten verlangen müssen. Zudem hat die Türkei nach den Worten Netanjahus zugesagt, dass sie Israel bei der Zulassung bei internationalen Organisationen unterstützt. Beobachtern zufolge ist dies bereits mit der Eröffnung eines Büros am Sitz der NATO in Brüssel erfolgt; zuvor hatte die Türkei einen solchen Schritt zu verhindern versucht. In anderen Punkten hatte Israel tatsächlich mehr anvisiert: Israel duldet nun Hamas-Mitglieder in der Türkei, solange diese sich nicht an Terroraktionen gegen Israel beteiligen, also nur politisch agieren. Bei den Verhandlungen hatte Israel noch darauf bestanden, dass die Türkei den Terroristen Salah al-Nuri ausweist. Er soll die Entführung dreier israelischer Teenager im Sommer 2014 organisiert haben. Die Aktion zog letztlich den Gaza-Krieg jenes Jahres, die Operation „Starker Fels“, nach sich. Die „Jerusalem Post“ bemängelt, dass Israel damit jahrelanges Bemühen um die Sichtweise auf die Hamas als Terror-Organiation im Grunde aufgibt. Der jüdische Staat hatte immer darauf hingewiesen, dass Gruppen wie die Hamas und der „Islamische Staat“ dieselbe Wurzel hätten; zwischen politischen und terroristischen Aktivitäten zu unterscheiden sei dabei nicht angebracht. Zudem erhält Israel nicht die Leichen der Soldaten Hadar Godin und Oron Schaul zurück, die während des Gaza-Krieges 2014 umgekommen sind. Das gleiche gilt für den Zivilisten Avera Mengisto, der sich vermutlich in den Händen der Hamas befindet. Immerhin: Netanjahu verkündete, er habe die Zusage Erdogans, dass dieser in dem Punkt mit der Hamas verhandele.

Beziehung unter Spannung

Eben diese Beziehungen zwischen der Türkei und der Hamas werden zeigen, wie stabil die nun erreichte Normalisierung ist – wenn es etwa zu neuen Angriffen aus dem Gazastreifen kommen sollte. Eine Spannungsquelle liegt auch in der Unterstützung der Kurden durch Israel, während die Türkei versucht, gegen die Volksgruppe vorzugehen. Ein Kurdenstaat würde nach Ansicht von Justizministerin Ajelet Schaked im Kampf gegen Islamismus hilfreich sein, und weil er „die Türkei und den Iran voneinander trennt“. In Sozialen Medien erhält Erdogan von Türken jetzt schon Häme unter dem Hashtag #ErdoganLovesIsrael, der zum Trend auf Twitter wurde. Dem türkischen Präsidenten wird vorgeworfen, sich um der Gaslieferungen willen auf Israel eingelassen zu haben, und die Gaza-Blockade nicht „um einen Zentimeter“ aufgehoben zu haben. Dies war tatsächlich eine Forderung der Türkei gewesen, die Erdogan dann fallen ließ, weil Israel darauf bestand. Aber das war es dem türkischen Präsidenten offenbar wert. (df)

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