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Ein schwieriger Partner für Israel

Der am Dienstag verstorbene frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt galt in Deutschland vielen Menschen als Vorbild. Seine Beziehung zu Israel allerdings war geprägt von einem Schlagabtausch mit Premierminister Menachem Begin.
Lieferte sich einen Schlagabtausch mit Israels Premier Begin: der verstorbene Altkanzler Schmidt
„Nach den Ausfällen Menachem Begins gegen Helmut Schmidt droht das deutsch-israelische Verhältnis in die Brüche zu gehen, 36 Jahre nach Kriegsende ist Aussöhnung wieder fern.“ Mit diesem Satz beginnt ein „Spiegel“-Artikel vom 11. Mai 1981. Was war geschehen? Während eines Staatsbesuches in Saudi-Arabien hatte der damalige Bundeskanzler Schmidt in Zusammenhang mit Auschwitz von dem „ganzen moralisch-historischen Gepäck“ gesprochen, das die deutsche Außenpolitik in Europa präge. Zudem thematisierte er den „moralischen Anspruch“ der Palästinenser auf einen eigenen Staat. In Israel stießen die Äußerungen auf harsche Kritik. Regierungschef Begin befand sich zu dieser Zeit im Wahlkampf und reagierte entsprechend emotional. „Schmidt sei ein loyaler Offizier Hitlers gewesen, und er wüsste gerne, was er denn mit den Juden an der Ostfront getan hatte. Zudem bekräftigte Begin seine These von der deutschen Kollektivschuld“, fasste der Historiker Michael Brenner die Reaktion 2013 in der Wochenzeitung „Jüdische Allgemeine“ zusammen. Damals war das Familiengeheimnis des SPD-Politikers noch nicht bekannt: Schmidt hatte einen jüdischen Großvater gehabt. Er „blieb bis zum Ende seiner Amtszeit auf Distanz zu Begin und ließ sich zu keinem Besuch in Israel überreden“, merkte Brenner an. „Erst im Mai 1985, nach Begins Rücktritt, kamen er und seine Frau Loki zu einem privaten Besuch. Begin wiederum weigerte sich zeitlebens, den Bundeskanzler um Entschuldigung für seine Äußerungen zu bitten.“

Unterstützung aus der Opposition

Wie der „Spiegel“ beobachtete, brachten die verbalen Angriffe aus Israel dem Bundeskanzler vorübergehend eine breite Solidarität in Deutschland ein: „Als den Kanzler in Bonn Freund und Feind gegen die Attacken in Schutz nahmen, bedankte sich Schmidt in seiner Fraktion gerührt für die ungewohnte Solidarität. Dankbar war er, als sich der Christdemokrat Rainer Barzel im Auswärtigen Ausschuss entschieden von Begin distanzierte. Erfreut bemerkte er, dass auch Oppositionschef Helmut Kohl ausdrücklich keine Entschuldigung für den israelischen Ministerpräsidenten gelten lassen wollte.“ Der Regierungschef habe im Wahlkampf mit dem Vorwurf eine gängige Meinung in Israel artikuliert, folgerte der „Spiegel“. Diese laute: Jeder „gute Kämpfer“ an der Ostfront sei sicher auch an der Judenverfolgung beteiligt gewesen. Das Nachrichtenmagazin ergänzte: „Dabei kann er sich auch auf Historiker berufen, die eine Beteiligung der Wehrmacht am Vernichtungsfeldzug gegen die Juden immer genauer nachweisen können.“ Weiter heißt es in dem Artikel von 1981, mit seiner Polemik liege Begin im israelischen Wahlkampf genau richtig. „Selbst Oppositionsführer Schimon Peres mochte nur an der Form der Schelte mäkeln, auf die Kritik an Schmidts Arabien-Tour stieg auch er voll ein. Den Freunden von der SPD in Bonn bedeutete Peres allerdings, er halte die Ausbrüche des Premiers für unverantwortlich, sei aber außerstande, sich vor der Wahl deutlicher zu äußern.“ Doch der „Spiegel“ beließ es nicht bei der Kritik an Begin: „Auch Kanzler Schmidt aber hat dazu beigetragen, dass die Beziehungen zwischen Bonn und Jerusalem in die Brüche gegangen sind. Nie verhehlte er, dass seine Gefühle für Israel nicht der Politik Menachem Begins gelten.“ Zudem weist das Blatt darauf hin, dass Schmidt seit sechs Jahren einen Besuch in Israel hinauszögere. Kritiker „werfen dem Kanzler überdies vor, er habe die PLO eigenmächtig aufgewertet, als er den Palästinensern in Riad das Recht auf ‚staatliche Selbstorganisation‘ bescheinigte. Sie teilen die Befürchtung in Jerusalem, ein PLO-Staat bedrohe die Existenz Israels“.

„Wie zwei Radfahrer auf einem Tandem“

In einem Nachruf in der „Jüdischen Allgemeinen“ schreibt Grigori Lagodinsky: „Er war konsequent – auch in seiner Widersprüchlichkeit. Für den jungen Staat Israel war Helmut Schmidt ein schwieriger Partner. Sein Wunsch nach Frieden in der Region war die treibende Kraft bei seiner frühen Kritik am Siedlungsbau. Aber auch seine Suche nach den im Gegensatz zu Israelis einfacheren Partnern war ein Motiv, als er sich für den Waffenhandel mit Saudi-Arabien aussprach.“ Der Jurist charakterisiert das Verhältnis zwischen dem deutschen und dem israelischen Politiker wie folgt: „Helmut Schmidt und Menachem Begin waren wie zwei Radfahrer auf einem Tandem, auf dem sie eigentlich nicht zusammen radeln wollten, die jedoch von der Geschichte unausweichlich zusammengebracht wurden.“ Dies habe zu einer der kühlsten Phasen der Beziehungen zwischen beiden Ländern und den beiden sturen Staatsmännern geführt.

Briefe aus Wehrmachtzeit sorgen für Furore

Ende 2014 erschien ein Buch, das grundlegende Aussagen Schmidts über sein Verhältnis zum Nationalsozialismus in Frage stellte: Er hatte sich immer als Gegner der Ideologie dargestellt. Die Journalistin Sabine Pamperriens hingegen zog aus bis dahin unveröffentlichten Briefen des damaligen Wehrmachtssoldaten aus den 1940er Jahren den Schluss, er sei durch das NS-Gedankengut geprägt gewesen. Ihre Erkenntnisse veröffentlichte sie unter der Überschrift „Helmut Schmidt und der ‚Scheißkrieg‘“, wobei sie ein häufiges Zitat des SPD-Politikers aufgriff, wenn er nach seinen Kriegserlebnissen gefragt wurde. Pamperriens sah sich angesichts ihrer Methodik und ihrer Schlussfolgerungen heftiger Kritik ausgesetzt. Die israelische Tageszeitung „Yediot Aharonot“ titelte am 2. Dezember 2014: „Kanzler Schmidt hat gelogen – er war begeisterter Nazi“. Dabei setzte sie die Schlagzeile in Anführungszeichen. Der Militärhistoriker Michael Wolffsohn versuchte in einer Rezension der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 16. Dezember, Altkanzler und Verfasserin differenziert zu betrachten: „Schmidt war kein Nazi, und die Autorin hat nach den Regeln der Historikerzunft geforscht, geprüft und geschrieben. Ihre Methode ist ebenso einfach wie überzeugend und angemessen: Sie konzentriert sich auf den jungen Helmut Schmidt der Jahre 1918 bis 1945. Sie konfrontiert Selbstaussagen des Altkanzlers mit bereits bekannten und vor allem bislang unbekannten – von ihr neu ermittelten – Akten und Fakten.“

Bislang kein israelischer Nachruf

Schmidts Tod nimmt in den israelischen Medien eine untergeordnete Rolle ein. Die Tageszeitung „Ha‘aretz“ bemerkt in ihrem Bericht: „In Israel bleibt er als derjenige in Erinnerung, in dessen Amtszeit die Beziehungen zwischen Israel und Deutschland, deren Aufnahme in diesem Jahr 50 Jahre her ist, auf einem beispiellosen Tiefstand waren.“ Das Blatt geht auch auf Pamperriens‘ Veröffentlichung ein: Nach dem Krieg „beteuerte er, dass er von Anfang an gegen das Naziregime gewesen sei. Doch ein Buch, das vor einem Jahr in Deutschland erschien, erschütterte diese Behauptung“. Eine offizielle Stellungnahme von einem israelischen Politiker zum Tod des 96-Jährigen gab es bis zum frühen Mittwochnachmittag nicht. Und Israels Botschafter in Berlin, Yakov Hadas-Handelsman, befinde sich derzeit auf Reisen, hieß es auf Anfrage von Israelnetz. Nach seiner Rückkehr sei Anfang der kommenden Woche ein Nachruf geplant. (eh)

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