Operation Sommerregen: Nicht nur heiße Luft

Nicht nur der internationale Druck blieb ergebnislos. Weder Palästinenserpräsident Mahmud Abbas noch Premierminister Ismail Hanije oder der ägyptische Geheimdienst konnten den entführten israelischen Soldaten Gilad Schalit finden. Deshalb begann nach zwei Tagen gespannten Wartens die Operation „Sommerregen“, wie Israel die jüngste Offensive gegen die Palästinenser nennt. Gerüchte, dass der 19-jährige Schalit in den Sinai und von dort über Ägypten in den Sudan verschleppt werden sollte, hatten sie aus israelischer Sicht unumgänglich gemacht.

„Alle Optionen sind offen“, meint Efraim Halevy, der ehemalige Chef des israelischen Auslandsgeheimdienstes „Mossad“. Auf die Rückfrage, was er denn mit „alle Optionen“ meine, antwortet der Sicherheitsexperte, der heute ein Zentrum für strategische und politische Studien an der Hebräischen Universität in Jerusalem leitet: „Alle, wirklich alle… Aber lassen Sie uns hoffen, dass die Hamas-Regierung vernünftig handelt. Und wenn sie die Freilassung des Soldaten auf angemessene Art und Weise bewerkstelligt, könnte alles ganz anders kommen.“

Die ersten Aktionen des „Sommerregens“ bereiten einen Vorgeschmack darauf, welche Optionen der israelischen Führung offen stehen. Gleichzeitig mit der Besetzung unbesiedelter Gebiete, hat die Luftwaffe Brücken und das Elektrizitätswerk von Gaza-Stadt bombardiert. Dadurch wurde die freie Bewegung innerhalb des Gazastreifens erschwert und wer in Gaza-Stadt keine unabhängige Stromversorgung hat, sitzt im Dunkeln – oder in der Hitze, wenn er bei hochsommerlichen Temperaturen auf eine Klimaanlage angewiesen ist. Nach den Erfahrungen im Flüchtlingslager von Dschenin, wo ganze Straßenzüge vermint waren, sind die israelischen Militärs zurückhaltender im Blick auf Konfrontationen innerhalb der engen Gassen der dicht bevölkerten palästinensischen Siedlungen.

Außerdem ist die erste Phase des „Sommerregens“ offensichtlich darauf angelegt, psychischen Druck auf die Bevölkerung auszuüben, die die Entführer nach wie vor als Helden feiert und eine einfache Herausgabe des entführten Soldaten vehement ablehnt. Zur Zermürbung der Bevölkerung soll wohl ebenso die Verhaftung von fast einem Drittel aller palästinensischen Parlamentarier dienen – darunter acht Minister der Hamas-Regierung -, wie auch die Tiefflüge der israelischen Luftwaffe mit Überschallgeschwindigkeit über dem dicht bevölkerten Gazastreifen. Auch die Flugblätter, die davor warnen, israelischen Militäraktionen nicht in die Quere zu kommen, dienen diesem Zweck.

Israels Regierungschef Ehud Olmert betont: „Wir haben ein einziges Ziel: Gilad nach Hause zu bringen!“ Diese Zielsetzung hat ein „Gesicht“ und lässt sich deshalb in der Öffentlichkeit der demokratisch-westlichen Welt am besten verkaufen. Das Schweigen der sonst so flinken Kritiker israelischer Militäraktionen quittiert auch bislang die Richtigkeit der israelischen PR-Anstrengungen. Bei genauem Hinhören wird aber schnell klar, dass der „Sommerregen“ keinesfalls beendet wäre, würde Schalit freigelassen werden. Ein zweites Ziel der Operation, auf deren zeitliche Eingrenzung sich die verantwortlichen Generäle nicht festlegen wollen, ist, den monatelangen Kassamraketenbeschuss auf die israelischen Ortschaften im nördlichen Negev zu beenden.

Und dann ist vielleicht noch am wichtigsten: Die Abschreckung der israelischen Armee muss wiederhergestellt werden. Der Rückzug Israels aus dem Südlibanon und die Räumung des Gazastreifens wurden von der arabischen Welt als Flucht und Ausdruck der Schwäche interpretiert. Um islamistische Extremisten vor weiteren übermütigen Fehleinschätzungen zu bewahren, um weiteres Blutvergießen zu verhindern, muss Israel den Palästinensern klar machen, dass es meint, was es sagt. Ex-Mossad-Chef Halevy unterstreicht: „Die andere Seite muss verstehen, dass israelische Drohungen nicht nur heiße Luft sind.“

Es gibt keine Zauberlösungen und die Lage ist kompliziert. Bislang hat sich die Hamas als straff organisiert und diszipliniert präsentiert. Doch die Spannung zwischen der Auslands-Hamas und der örtlichen Führungsriege ist während des Tauziehens um den entführten Gilad Schalit so deutlich wie noch nie zu Tage getreten. Und dann betonen die „Issadin al-Kassam-Brigaden“, die jahrelang als bewaffneter Arm der ansonsten sozialpolitisch-religiös engagierten Hamas-Bewegung galten, ausdrücklich ihre Unabhängigkeit und verweigern dem gewählten Premierminister eindeutig den Gehorsam.

Ob das Gefangenenpapier, auf das sich Vertreter von Hamas und Fatah am Dienstag geeinigt haben, die innerpalästinensischen Streitigkeiten löst, bleibt abzuwarten. Der propagandistische Erfolg in der Weltöffentlichkeit, die nur zu scharf darauf ist, eine Anerkennung Israels auf Seiten der Hamas erkennen zu können, sei unbestritten. Genauso, wie man eine indirekte Anerkennung Israels – die Hamas-Vertreter übrigens vehement bestreiten! – erkennen kann, kann man das Dokument indes auch dahingehend verstehen, dass erstmals in der Geschichte der Autonomiebehörde eine Regierung Anschläge auf israelische Ziele in Ostjerusalem offiziell sanktioniert. Die Erwähnung der „Grenzen von vor 1967“ ist als Wiederbelebung des „Phasenplanes“ der PLO von 1974 zu verstehen, demzufolge jedes „befreite“ Gebiet als Ausgangsbasis für die letztendliche Zerstörung Israels zu dienen hat. Und das eingeforderte Recht auf Rückkehr palästinensischer Flüchtlinge nach Israel, ist ein Euphemismus für die Forderung des demografischen Selbstmordes der jüdischen Demokratie.

Nach israelischer Einschätzung ist der Schlüssel zur Lösung des Entführungsproblems aber nicht in Gaza, sondern in Damaskus zu suchen, denn dort versteckt sich der Chef des Hamas-Politbüros, Chaled Mascha´al. Syriens Präsident Baschar el-Assad konnte die israelische Schuldzuweisung spätestens am frühen Mittwochmorgen nicht mehr überhören, als israelische Kampfflugzeuge im Tiefflug über seinen Sommerpalast in der Mittelmeerstadt Latakia donnerten und dabei die Schallmauer durchbrachen. Nicht zufällig trägt das Entführungsdrama dieselbe Handschrift wie so manche Aktion der südlibanesischen Hisbollah. Geheimdienstexperte Efraim Halevy macht kein Geheimnis daraus, „dass im Gazastreifen iranische Berater sind.“

Mit der gespannten Lage in Gaza, im Westjordanland, an der Nordgrenze und über Syrien bis in den Iran, hat Israel einen Krieg an allen Fronten. Verhandlungen und einen Gefangenenaustausch schließt die Regierung Olmert kategorisch aus: „Das führt nur zu weiteren Entführungen.“ Halevy, der den israelischen Regierungschefs Netanjahu, Barak und Scharon als Berater gedient hat, betont: „Israels Geduld ist nicht endlos.“ Und mit dem Überfall auf den Kibbuz Kerem Schalom haben die palästinensischen Freiheitskämpfer ihre Ingenieurs- und Planungsfähigkeiten unter Beweis gestellt. Efraim Halevy kommt zu dem Schluss: „Wir haben es mit Leuten zu tun, die brillant diabolisch sind!“

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