JERUSALEM / ROM (inn) – In Israel und in der jüdischen Gemeinschaft ist die Wahl Joseph Ratzingers zum neuen Papst mit Zustimmung aufgenommen worden. Der Vorsitzende des Jüdischen Weltkongresses, Israel Singer, sagte, Ratzinger habe als Kardinal die 2000 Jahre währende Beziehung des Christentums zu den Juden in nur 20 Jahren grundlegend verändert.
In einer Stellungnahme der israelischen Regierung begrüßte Außenminister Silvan Schalom die Wahl Joseph Ratzingers zum neuen Oberhaupt der Katholischen Kirche. „Der Außenminister hofft, dass dieser Papst angesichts seiner historischen Kenntnisse besonders dem Kampf gegen den wachsenden Antisemitismus verpflichtet ist.“
Kardinal Joseph Ratzinger ist am Dienstagabend in Rom zum 265. Papst gewählt worden. Sein selbstgewählter Name ist Benedikt XVI. Ratzinger wurde am 16. April 1927 im bayerischen Marktl geboren. Seine deutsche Herkunft sei ein „wesentlicher Faktor für sein Verständnis für das Böse und die Gefahr des Antisemitismus“, sagte Rabbiner David Rosen, der maßgeblich an der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Israel und dem Vatikan-Staat im Jahr 1993 beteiligt war. „Er ist sich der Bürde der Geschichte bewusst.“
Ratzinger stehe „für gute Beziehungen zwischen der Katholischen Kirche und dem jüdischen Volk“, sagte Rosen. „Er setzt sich zweifellos für das Wohlergehen Israels ein. Aus jüdischer und israelischer Sicht ist es eine gute Nachricht.“
Im Jahr 2002 hatte Ratzinger ein Dokument des Vatikanischen Konzils autorisiert, das sich mit der Beziehung der katholischen Christen mit den Juden beschäftigte. Die 210 Seiten dicke Schrift trug den Titel „Das jüdische Volk und die Heiligen Schriften in der christlichen Bibel“. Darin schrieb Ratzinger, dass Juden und Christen im Grunde auf den selben Messias warteten. Für die Christen sei er bereits einmal gekommen, und die Juden warteten noch auf sein Erscheinen. „Die Tatsache, dass Juden Jesus nicht annehmen, dürfe demnach nicht interpretiert werden, als würden sie Gott ablehnen“, erklärt Rosen laut der Tageszeitung „Ha´aretz“ den Text, „sondern als Teil des Planes Gottes, die Welt daran zu erinnern, dass die Erlösung noch nicht gekommen ist.“ Der Rabbi fügte lobend hinzu: „Das ist erstaunlich. (Ratzinger) hat damit etwas weggenommen, was jahrhundertlang Ursache war für die Verdammung von Juden, und ihm eine positive theologische Deutung gegeben.“
„Er ist bekannt als ein Freund des jüdischen Volkes“, sagte auch der Oberrabbiner von Tel Aviv, Israel Lau. Lau, selbst Holocaust-Überlebender, hoffe und bete, dass Ratzinger „in die Fußstapfen Johannes Pauls II. tritt, was die Freundschaft zum jüdischen Volk angeht“.
„Ratzinger war der Mann, der die Entscheidung von Papst Johannes Paul II. theologisch untermauerte, Beziehungen zu Israel aufzunehmen“, sagte Israel Singer, Vorsitzender des Jüdischen Weltkongresses. „Er löste ein theologisches Problem, das seit mehr als 2.000 Jahren bestand. Er war der Mann, der die Schlüssel hatte, um das Schloss aufzuschließen. Er hat die 2.000 Jahre währende Beziehung zwischen Judentum und Christentum in den vergangenen 20 Jahren verändert.“
Kritiker des neuen Papstes wiesen darauf hin, dass Ratzinger als Jugendlicher Mitglied in der Hitler-Jugend war. Singer wies diese Kritik mit den Worten zurück: „Zu dieser Zeit wurde jedes Kind gezwungen, Mitglied in der Hitler-Jugend zu werden.“ In seinem 1997 erschienenen Buch „Salz der Erde“ schrieb Ratzinger: „Als die Hitler-Jugend eingerichtet wurde, musste mein Bruder ihr beitreten. Ich war noch zu jung, aber später, als ich ins Priesterseminar eintrat, trat auch ich ihr bei. Aber als ich aus dem Priesterseminar austrat, bin ich nie wieder dorthin gegangen. Und das war schwierig, denn um einen Nachlass der Studiengebühren zu bekommen, den ich dringend brauchte, musste man seine Mitgliedschaft in der Hitler-Jugend nachweisen.“