„Ich bin Christ, aber mein Vater kam aus einer kenianischen Familie mit Generationen von Muslimen.“ Dieses persönliche Bekenntnis des US-Präsidenten wurde von frommen Muslimen wohlwollend zur Kenntnis genommen, als Schritt in die richtige Richtung. Die Behauptung, „Amerika ist nicht – und wird niemals – im Krieg mit dem Islam stehen!“, wird indes ungläubig belächelt. Denn, dass „der Islam ein Teil Amerikas“ ist, wie Obama auch in seiner Kairoer Rede vermerkte, reicht der islamischen Welt nicht. Amerika muss islamisch werden – und bis dahin gehört es zum „Dar al-Harb“, zum „Haus des Krieges“. Dass der „Islam eine stolze Tradition der Toleranz“ hat, mag Barack Obama glauben – aber kaum ein gläubiger Muslim glaubt das.
So war einige Wochen nach dem Auftritt Obamas in Kairo die Verleihung des Friedensnobelpreises auch keine Anerkennung für errungene Verdienste. Spätestens seit Verleihung dieser Auszeichnung an Arafat & Co. weiß man sowieso, dass der Friedensnobelpreis nicht als Belohnung, sondern als Anreiz gedacht ist. Im Falle Obamas war es eher ein Tritt in den Hintern – wobei noch abzuwarten bleibt, ob dieser Stoß so stark war, dass der ehrwürdige Amtsinhaber auf die Nase fällt. Jedenfalls erhöhte die Entscheidung der Skandinavier den Druck auf den armen Mann im Weißen Haus.
Die Lösung des Nahostkonflikts ist eines der hehren Ziele Barack Obamas. Um das zu erreichen, muss er selbst Druck auf die Kontrahenten ausüben, denn im Morgenland glaubt schon lange niemand mehr an einen Frieden, mit dem alle Beteiligten zufrieden sein werden. In einer Umfrage der palästinensischen An-Nadschah-Universität in Nablus sprachen sich Anfang April mehr als zwei Drittel aller Palästinenser gegen einen Palästinenserstaat in den Grenzen von 1967 aus. Drei Viertel sind nicht bereit, Jerusalem als Hauptstadt mit Israel zu teilen. Innert drei Jahren sollte ein unabhängiges Palästina entstehen, so die Vorstellung des US-Präsidenten. „Dieser Zeitrahmen entspricht den politischen Gegebenheiten in den USA“, beobachtet Eitan Gilboa vom israelischen Nachrichtendienst y-net, „aber nicht den real existierenden Bedingungen vor Ort.“
Nur Netanjahu reagierte auf Forderungen
Obama richtete seine Forderungen ursprünglich an Israel, die Palästinenser und pro-amerikanische Araber. Lediglich der israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu reagierte, indem er im Juni 2009 die Zwei-Staaten-Lösung offiziell unterstrich, zum Ende des vergangenen Jahres ein 10-monatiges Siedlungsmoratorium für die Westbank verkündete und spürbar Straßensperren in den Palästinensergebieten abbaute. Dafür war er dann auch der einzige, der von der Obama-Administration kritisiert wurde.
Die Verlautbarung der Genehmigung für den Bau der Wohnungen in Ramat Schlomo während des Besuchs des amerikanischen Vizepräsidenten Joe Biden im März 2010 wäre eigentlich reine Formsache gewesen, wurde aber als willkommene Gelegenheit zur rechten Zeit genutzt, um politische Ziele zu erreichen. Nicht nur der erklärte Israel- und Netanjahu-Freund Biden bekam einen Nasenstüber, sondern der allseits unbeliebte Netanjahu auch eine Vorladung nach Washington. Dort forderte Obama in einem 11-Punkte-Plan einen totalen Baustopp, inklusive Jerusalem, die Freilassung von palästinensischen Sicherheitsgefangenen, Verpflichtungen für die Kerndiskussionspunkte – Siedlungen, Grenzen, Jerusalem und Flüchtlinge – bereits vor Beginn der Verhandlungen mit den Palästinensern und die Festlegung auf einen Zeitplan.
Palästinenser beachten Grundsätze des Feilschens
Die Araber schlossen folgerichtig, dass sich Warten lohnt. Auf dem orientalischen Basar wird um den Preis gehandelt. So war das seit jeher. Solange die Amerikaner von den Israelis fordern und diese darauf eingehen, wird das Ausgangsangebot der Israelis für die Direktverhandlungen nur gedrückt. Insofern wären die Palästinenser nach gemeinhin anerkannten orientalischen Feilschgrundsätzen nur dumm, würden sie jetzt in die Verhandlungen einsteigen. Deshalb weigerte sich die Palästinensische Autonomiebehörde, mit der israelischen Regierung zu verhandeln und stellte zusätzliche Bedingungen. Dabei hätte auch Obama auffallen müssen, dass sich der palästinensische Präsident Mahmud Abbas mit dem israelischen Regierungschef Ehud Olmert alle paar Wochen getroffen hatte, um ihn herzlich vor laufenden Kameras zu umarmen – obwohl dieser fröhlich Siedlungen und Straßensperren baute. Netanjahu dagegen hat Abbas noch kein einziges Mal auch nur die Hand drücken dürfen.
Der dynamische US-Präsident möchte Israelis und Palästinensern einen Zeitplan und eine Verhandlungslösung aufzwingen, bemüht sich dazu, unter Druck zu setzen, wen er unter Druck setzen kann, leidet dabei aber ganz offensichtlich unter einem gewissen Realitätsverlust. Das wurde in der zweiten Aprilwoche deutlich, als die Palästinenser in ihrer Begeisterung über den amerikanischen Kurswechsel den Bogen überspannten. Sie protestierten gegen den Wiederaufbau der Hurva-Synagoge im jüdischen Viertel der Jerusalemer Altstadt – ganz offensichtlich einer israelischen Bautätigkeit in Ostjerusalem. Die Hurva-Synagoge war 1948 von den Jordaniern gesprengt worden, nachdem alle jüdischen Bewohner der Altstadt vertrieben worden waren. Deshalb sah sich das US-Außenministerium gezwungen, die Palästinensische Autonomiebehörde zurechtzuweisen: Eine Leugnung des jüdischen Erbes und der Verbindungen zu Jerusalem unterminiere das Vertrauen, das für substantielle und produktive israelisch-palästinensische Verhandlungen nötig sei.
Der israelische Botschafter in Washington, Michael Oren, diagnostizierte den israelisch-amerikanischen Beziehungen ein 35-Jahre-Tief. Ed Koch, von 1978 bis 1990 Bürgermeister von New York, beklagt, dass die israelisch-amerikanischen Beziehungen nie mehr dieselben sein werden. Er wirft seinem Präsidenten, den er bei den letzten Wahlen unterstützt hat, vor, sich der islamischen Welt anzubiedern. „Ich glaube, Präsident Obama will eine neue Beziehung mit arabischen Staaten wie Saudi-Arabien, Jordanien, Ägypten und dem Irak gegen den Iran aufbauen“, glaubt der jüdische Politiker, und er sei dafür bereit, Israel zu opfern. Israels ehemaliger Botschafter bei den Vereinten Nationen, Dore Gold, fragt: „Sind die gegenwärtigen Meinungsunterschiede zwischen den beiden Ländern so tief, dass sich die langfristige Beziehung verändern wird?“ Jüngste Umfragen beweisen, dass eine überwältigende Mehrheit der Israelis jeden Versuch des US-Präsidenten, ihnen ein Endstatusabkommen mit den Palästinensern aufzuzwingen, entschieden zurückweist.
„Starkes, sicheres Israel ist ein Kapital“
Die israelisch-amerikanischen Beziehungen sind keineswegs nur einseitig. Darüber ist man sich vielleicht mehr in Amerika als in Israel im Klaren. So meldeten sich schon Anfang April 327 Abgeordnete des US-Kongresses in einem Brief zu Wort, die „öffentlichen Spannungen“ zwischen den USA und Israel „förderten die Interessen“ keines der beiden Länder. Ein paar Tage später stimmten 50 pensionierte US-Generäle und -Admiräle dem zu: „Ein starkes, sicheres Israel ist ein Kapital, auf das sich amerikanische Militärplaner und Politiker verlassen können.“ Zudem melden sich einschlägige Stimmen zu Wort, diese Situation biete Israel die Chance, einem US-Einfluss, der nur schlecht für Israel sei, Einhalt zu gebieten.
Israel steht auch nicht ohne Alternativen da – wenngleich die Vereinigten Staaten fraglos ideologisch und im Blick auf die Interessenlage dem jüdischen Staat am nächsten stehen. Doch das war nicht immer so. Sowohl die Regierungen Roosevelts als auch Trumans hatten sich vor der Staatsgründung Israels im Blick auf amerikanische Interessen in der arabischen Welt gegen eine Intervention in Palästina auf Seiten der Juden ausgesprochen. In der zweiten Hälfte der 1940er Jahre war dann auch nicht etwa Amerika die treibende Kraft bei der Staatsgründung Israels, sondern die Sowjetunion – die als erstes Land den Staat Israel de facto und de jure schon im Mai 1948 anerkannten. Die USA ließen sich für die de jure- Anerkennung noch bis zum Januar 1949 Zeit. Auch war die Sowjetunion der treibende Motor hinter den Existenz rettenden Waffenlieferungen der Tschechoslowakei an Israel während dessen Unabhängigkeitskrieges.
In den 1950er Jahren kam weit mehr Wirtschaftsunterstützung aus Deutschland als aus den USA. Hauptwaffenlieferant war Frankreich. Während der Suezkrise standen die USA und die Sowjetunion auf Seiten Ägyptens, während Israel von Großbritannien und Frankreich unterstützt wurde. Unter Präsident Nixon hatten sich die Vereinigten Staaten nicht einmal bei UNO-Resolutionen gegen Israel der Stimme enthalten, geschweige denn ein Veto eingelegt. Bemerkenswerterweise lässt sich zwischen den USA und Israel auch keine humanitäre Lösung für den israelischen Spion Jonathan Pollard finden, der immerhin seit November 1985 in einem amerikanischen Gefängnis sitzt.
Lieberman knüpft neue Kontakte
Auffällig ist, dass der im Westen wenig beliebte Außenminister Lieberman in den vergangenen Wochen und Monaten keineswegs tatenlos war, während sich Premierminister Netanjahu und Verteidigungsminister Barak um die USA bemühten. Avigdor Lieberman stammt – wie übrigens mindestens jeder sechste Israeli – aus Russland und ist dort dieser Tage erstaunlich viel unterwegs. Bemerkenswert ist auch, dass just zu der Zeit, als Netanjahu Mitte März in Washington war, der chinesische Vizepremier Hui Liangyu Israel besuchte. Im Rückblick auf die vergangenen zwei Jahrzehnte kommen diverse Rüstungsgeschäfte in den Sinn, die Israel mit China abgeschlossen hatte – und auf Wunsch der Amerikaner wieder stornierte. Mitte der 1990er Jahre ging es um die Pläne für den Lavi-Kampfjet, dann um das amerikanische Falcon-Flugzeug oder Luft-Luft-Raketen und Ende 2004 um die Wartung von unbemannten Luftfahrzeugen.
Dore Gold zählt eine Reihe von israelisch-amerikanischen Krisen auf und kommt optimistisch zu dem Schluss: „Wir haben uns jedes Mal erholt.“ Die strategischen Gegebenheiten hätten jedes Mal beide Länder dazu geführt, sich auf ihre gemeinsamen Interessen zu besinnen und ihre Differenzen zu überwinden. Barack Obama kann also weiter meinen zu können – oder rechtzeitig feststellen, dass auch ihm die politischen Felle davonschwimmen könnten. Tatsache ist jedenfalls, dass das, was von einem Friedensprozess noch übrig geblieben war, seit Obamas Amtsantritt vollends in sich zusammengebrochen ist. Selbst der Optimist Gold kann sich nicht vorstellen, dass sich Israel von Obama Grenzen aufzwingen lässt, die nicht verteidigt werden können, Jerusalem teilt und die Heiligen Stätten unter palästinensische Hoheit abtritt. Insofern ist es ein positives Zeichen, wenn sich Präsident Obama Mitte April pessimistisch über den „diplomatischen Prozess“ äußerte und festzustellen glaubt, man könne der Palästinensischen Nationalbehörde und Israel ein Abkommen nicht aufzwingen.