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Neuer (inoffizieller) Friedensplan: Die „Genfer Initiative“

Wenigstens mit dem Mythos der Regierung Scharon, es gebe „keinen Verhandlungspartner und nichts zu verhandeln“, sei es jetzt endgültig aus, meinte der ehemalige Scharon-Herausforderer und Wahlverlierer Amram Mitzna bei seiner Rückkehr aus Jordanien. Während des ersten Laubhüttenfestwochendes Anfang Oktober hatten dort palästinensische und israelische Politiker, Intellektuelle, pensionierte Militärs und Aktivisten hart daran gearbeitet, nach Madrid, Oslo, Wye Plantation, Scharm el-Scheich und Camp David einen weiteren Städtenamen mit einer Nahostfriedensinitiative zu verbinden: Genf.

Nach den beiden Verhandlungsführern, dem ehemaligen palästinensischen Informationsminister Jasser Abed Rabbo und dem ebenfalls ehemaligen israelischen Justizminister Jossi Beilin, heißt das neueste Kind der um jeden Preis Verhandlungswilligen auch „Beilin-Abed Rabbo-Initiative“. Als „Genfer Initiative“ oder „Schweizer Initiative“ haben diese Friedensverhandlungen die politischen Diskussionen in der Laubhüttenfestwoche in Israel beherrscht. Am 4. November, dem Jahrestag der Ermordung des israelischen Premierministers Jitzhak Rabin, soll das Dokument im schweizerischen Genf unterzeichnet werden. Daher der offizielle Name.

Das Schweizer Außenministerium und eine private Schweizer Stiftung haben die fast drei Jahre andauernde Verhandlungsinitiative vermittelt und finanziert. Treibende Kraft in der Schweiz war ein jüdisch-stämmiger Juraprofessor namens Alexis Keller, dessen Frau aus dem Libanon stammt. Seitdem er vor zwei Jahren eine akademische Konferenz organisiert hatte, engagiert er sich begeistert als Vermittler zwischen Israelis und Palästinensern. Einige der Verhandlungstreffen fanden in seiner Schweizer Privatvilla statt. Seinen Anstrengungen ist die offizielle Unterstützung der Schweizer Regierung zu verdanken.

Auf israelischer Seite hatten sich unter der Leitung von Osloarchitekt Beilin unter anderen die prominenten Knessetmitglieder Amram Mitzna und Avraham Burg, der ehemalige Generalstabschef Amnon Lipkin-Schahak, der Brigadegeneral i.R. Giora Inbar und der Schriftsteller Amos Oz laden lassen. Die palästinensische Seite war neben dem Arafat-Vertrauten Abed Rabbo durch die ehemaligen PA-Minister Nabil Kassis und Hischam Abdel Rasek sowie die Fatah-Aktivisten und Tansim-Führer Kadura Fares und Mohammed Hurani vertreten.

In einem 50seitigen Dokument, das keinerlei offiziellen oder bindenden Charakter hat, ist zu lesen, daß „der Staat Israel“ und „die Palästinensische Befreiungsorganisation PLO“ auf der Grundlage der UNO-Resolutionen 242 und 338 eine Zwei-Staaten-Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts gefunden hätten.

Als Hauptstadt zweier Staaten soll Jerusalem geteilt werden. Die arabischen Stadtteile sollen von den Palästinensern, die vorwiegend jüdisch bewohnten Stadtteile von den Israelis verwaltet werden. Außer dem jüdischen Viertel und der Westmauer fällt die Altstadt einschließlich des Tempelberges unter palästinensische Herrschaft. Eine internationale Beobachtertruppe soll den freien Zugang für Besucher aller Religionen sicher stellen.

Israel wird sich, so die „Genfer Initiative“, auf die Waffenstillstandslinien zurückziehen, die von 1949 bis 1967 bestanden haben, abgesehen von bestimmten Gebieten, für die die Palästinenser Staatsgebiet Israels im an den Gazastreifen angrenzenden Negev bekommen sollen.

75 Prozent der jüdischen Siedlungen bleiben bestehen, darunter beispielsweise der historische Siedlungsblock Gusch Etzion südlich von Jerusalem oder die Jerusalemer Vorstädte Ma´ale Adumim und Givat Se´ev. 100.000 jüdische Siedler müßten eine neue Bleibe finden. Dazu gehören auch die Einwohner der samarischen Stadt Ariel oder von Efrat in Judäa und alle jüdischen Ortschaften im Gazastreifen. Auch die vor einigen Jahren heftig umstrittene Siedlung Har Homa, die innerhalb des offiziellen Stadtgebietes von Jerusalem liegt, soll an die Palästinenser fallen.

„Palästina wird ein nicht-militärischer Staat mit starken Sicherheitskräften“, verspricht das Papier, das sich – wie schon Jasser Arafat in den Abkommen von Oslo von 1993 – dazu verpflichtet, jede Gewaltanwendung zu beenden, antiisraelische Hetze und Terror zu bekämpfen. Alle Milizen (oder Terror-Organisationen) sollen entwaffnet werden – was die jetzige israelische Regierung Scharon in Übereinstimmung mit den Amerikanern bereits als Vorbedingung für die Umsetzung der Roadmap fordert. Die Außengrenzen des vorgesehenen Staates Palästina sollen unter Kontrolle einer internationalen Macht stehen, was die Sorge der Israelis, der nicht-militärische Staat könne unter Umständen zu viele Waffen einkaufen, beruhigen soll.

Die Palästinenser geben ihr Recht auf Rückkehr in den Staat Israel auf, werden teilweise in den gegenwärtigen Gastländern integriert, teils in die Palästinensische Autonomie aufgenommen werden. Durch eine internationale Stiftung, an der sich auch Israel beteiligen wird, sollen Flüchtlinge entschädigt werden. So die Darstellung der israelischen Befürworter des Dokuments.

Der ehemalige palästinensische Minister für Gefangenenangelegenheiten, Hischam Abdel Rasek, bestreitet dagegen heftig, durch die „Genfer Initiative“ das Recht auf Rückkehr aufgegeben zu haben. Der Vertragstext selbst läßt tatsächlich beide Darstellungen zu. Immerhin ist da eine Rückkehr palästinensischer Flüchtlinge auf das Staatsgebiet Israels vorgesehen, allerdings unter Voraussetzung der Zustimmung Israels.

Spätestens an dieser Stelle erweist sich das „Schweizer Dokument“ als echtes Kind von Oslo: Unvereinbare Gegensätze werden mehr oder weniger geschickt diplomatisch-schwammig umschifft, was sich im Falle von Oslo als fataler Sprengstoff erwiesen hat.

Bei der Wiedereröffnung der Knesset nach der Sommerpause bezichtigte der israelische Premierminister Ariel Scharon die Opposition, den Palästinensern mit der „Genfer Initiative“ ein Schlupfloch geöffnet zu haben, um ihren formellen Verpflichtungen im Rahmen der bestehenden Abkommen entkommen zu können. „Es gibt eine Roadmap“, so der Regierungschef, „und es ist wenig hilfreich, die Leute glauben zu machen, es gäbe dazu eine Alternative.“

Gesundheitsminister Dani Naveh bezeichnete die „Schweizer Initiative“ als „taktischen Schachzug Arafats“, der Israel nur Schaden bereite. Außenminister Silvan Schalom betonte gegenüber dem amerikanischen Botschafter Dan Kurtzer: „Israel hat eine Regierung. Alle anderen Initiativen sind im besten Falle virtuell.“ Im Rückblick resümiert Israels Chefdiplomat, Linksregierungen hätten immer zweispurig agiert: „Morgens Verhandlungen, abends Terror.“

Weit weniger diplomatisch meinte Verkehrsminister Avigdor Liebermann im israelischen Rundfunk, das Abkommen sollte nicht in Genf, sondern in München unterzeichnet werden – in Anspielung auf das Münchner Abkommen zwischen Hitler und Chamberlain vom September 1938. Israels national-religiöser Tourismusminister Benni Elon bezeichnete Beilin als „Kollaborateur“ der Palästinenser, und der Knessetabgeordnete Uri Ariel von der Nationalen Union forderte den Generalstaatsanwalt auf, gegen die Unterhändler ein Verfahren anzustrengen.

Die wohlwollende Zustimmung von seiten der Opposition wird von einer Stimme durchbrochen. Der ehemalige Premierminister Ehud Barak, der im Juli 2000 den Palästinensern im amerikanischen Camp David mehr oder weniger genau das angeboten hatte, was jetzt wieder auf dem Tisch liegt, bezeichnete die inoffizielle Friedensinitiative als unverantwortlich.

Obwohl Jasser Abed Rabbo seinen Ziehvater in der Mukata´a in Ramalla bestimmt nicht im unklaren über seine fast dreijährige Verhandlungstätigkeit gelassen hat, wird auch aus PLO-Kreisen Unzufriedenheit laut. Allein die PLO sei zu Verhandlungen mit Israel befugt – und die „Schweizer Initiatoren“ hätten sich da nicht an den bürokratisch vorgeschriebenen Gang der Dinge gehalten.

Hussein al-Scheich, Fatah-Sekretär im Westjordanland, bemängelt, das „Schweizer Dokument“ ignoriere grundlegende palästinensische Rechte. Deshalb verurteile seine Bewegung, an deren Spitze immerhin der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde Jasser Arafat steht, die Initiative und rufe die palästinensischen Massen auf, sich zur Unterstützung der Intifada und ihrer nationalen Rechte zu vereinigen.

Ein Aufruf der zur Fatah gehörenden „Volksarmee-Rückkehrbrigaden“, der im offiziellen Palästinensischen Informationszentrum in Ramalla auslag, bezeichnete die Unterzeichner der „Genfer Initiative“ als „Ausgestoßene aus der palästinensischen Gesellschaft“, als Marionetten „der zionistischen Regierung und des amerikanischen Konsulats“, die einzig sich selbst repräsentierten. Adnan Asfur von der Hamas bezeichnete das Dokument als „Totgeburt“, das lediglich ein neues Glied in der Kette der Illusionen der Palästinensischen Autonomie darstelle.

Vielleicht war es der interne Machtkampf in der palästinensischen Gesellschaft, die neuerlichen militärischen Auseinandersetzungen, vor allem im Gazastreifen und in Ramalla, oder auch einfach nur Abstumpfung gegenüber diplomatischem Geplänkel, das doch keine Ergebnisse im täglichen Leben zeigt? Auf alle Fälle zeigte die palästinensische Öffentlichkeit wenig Interesse für die „Genfer Initiative“, die in Israel so heiß diskutiert wird. Lediglich in der palästinensischen Autonomiestadt Nablus demonstrierten einige Hunderte Palästinenser und forderten den „Tod für die Verräter und Kollaborateure“.

Insgesamt dürfte die „Genfer Initiative“ wohl vor allem als Versuch der israelischen Opposition zu werten sein, sich von der selbstverschuldeten Sprach-, Profil- und Bedeutungslosigkeit der letzten Jahre zu befreien. Auf jeden Fall bedeutet die „Genfer Initiative“ ein Lüftchen in der Oppositionsflaute. Und das braucht Jossi Beilin im Blick auf seine Träume von einer neuen sozialdemokratischen Partei. Auf palästinensischer Seite sucht man sich vor allem vom Vorwurf der Weltöffentlichkeit zu befreien, man sei nicht zu Gesprächen bereit und an realistischen Lösungen nicht interessiert.

Eines ist klar: Bis die Bevölkerung Israels dazu bereit sein wird, diesen Plan tatsächlich zu unterstützen, haben Beilin & Co. noch einen weiten Weg der Überzeugungsarbeit vor sich. Denn dazu müßte das jüdische Volk seinen jahrtausendealten Traum von Zion aufgeben. Der Kommentar Nadav Schragais, ausgerechnet in der links-intellektuellen israelischen Tageszeitung „Ha´aretz“, ist durchaus plausibel: Zionismus ohne Zion, ohne die Altstadt von Jerusalem und den Tempelberg, ist sinnlos. Deshalb sollen auch alle israelischen Haushalte nach der Unterzeichnung der „Genfer Initiative“ ein Exemplar per Post frei Haus geliefert bekommen. Wer diesen Massenversand bezahlen soll, ist bislang noch nicht bekannt.

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