WIEN (inn) – Der Holocaust-Überlebende und „Nazi-Jäger“ Simon Wiesenthal ist am Dienstag im Alter von 96 Jahren in Wien gestorben. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte er zahlreiche Kriegsverbrecher aus der Nazi-Zeit ausfindig gemacht und dafür gesorgt, dass ihnen der Prozess gemacht wurde.
„Ich denke, er wird als das Gewissen des Holocaust in Erinnerung bleiben“, sagte Rabbi Marvin Hier, Gründer und Dekan des Simon-Wiesenthal-Zentrums in Los Angeles. „Auf seine Weise wurde er zum permanenten Repräsentanten der Holocaust-Opfer. Er war dazu bestimmt, die Täter des größten Verbrechens vor Gericht zu bringen.“
„Er handelte im Namen der Opfer“
Der Sprecher des israelischen Außenministeriums, Mark Regev, würdigte Wiesenthal am Dienstag als einen, der „denen Gerechtigkeit brachte, die der Gerechtigkeit entkommen waren“. Regev fügte hinzu: „Er hat im Namen von sechs Millionen Menschen gehandelt, die sich nicht mehr verteidigen konnten. Der Staat Israel, das jüdische Volk und alle, die gegen Rassismus sind, haben Simon Wiesenthals einzigartigen Beitrag dazu erkannt, unseren Planeten zu einem besseren Ort zu machen.“
Zwölf Lager überlebt
Wiesenthal wurde am 31. Dezember 1908 als Sohn jüdischer Kaufleute in Buczacz nahe der heute ukrainischen Stadt Lviv geboren. Das Gebiet gehörte damals zum Königreich Österreich-Ungarn. Er studierte Architektur und eröffnete ein eigenes Büro. Im Jahr 1936 heiratete er. Nach dem Einmarsch der Nazis wurde er mit seiner Frau Cyla in ein Konzentrationslager deportiert. Wegen ihrer blonden Haare, die sie „arisch“ aussehen ließen, konnte er einen Handel mit polnischen Untergrundkämpfern abschließen – seine Frau erhielt 1942 falsche Papiere und kam frei.
Doch Wiesenthal war in insgesamt zwölf Konzentrationslagern inhaftiert. Am 5. Mai 1945 wurde er im KZ Mauthausen von amerikanischen Soldaten befreit. Er hatte 89 Verwandte durch die Judenverfolgung verloren. Nach dem Krieg wanderte er nach Palästina aus. Dann beschloss er, „einige Jahre“ der Suche nach Gerechtigkeit zu widmen, weil er erkannt habe, dass „es keine Freiheit ohne Gerechtigkeit gibt“. Aus den Jahren wurden Jahrzehnte.
Hartnäckige Suche nach Nazis
Zunächst in Österreich und dann auf internationaler Ebene suchte der Überlebende nach Nazis, die sich versteckten. Er war an der Entführung von Obersturmbannführer Adolf Eichmann durch den Mossad beteiligt. Dieser wurde in Israel zum Tode verurteilt und 1962 hingerichtet.
Auch der Polizist, der wahrscheinlich die niederländische Jugendliche Anne Frank verhaftet hatte, wurde von Wiesenthal ausfindig gemacht. Ein Jugendlicher hatte 1958 gesagt, er werde nicht an die Existenz von Frank Silberbauer glauben, wenn dieser nicht gefunden werde. Daraufhin machte sich Wiesenthal auf die Suche und hatte fünf Jahre später Erfolg. Anne Frank war 1945 im Konzentrationslager Bergen-Belsen gestorben.
Simon-Wiesenthal-Zentrum gegründet
Im Jahr 1977 wurde das Simon-Wiesenthal-Zentrum gegründet. Bis heute setzt es sich für den Kampf gegen Antisemitismus ein. Wiesenthal betonte die Einzigartigkeit des Holocaust: „Wir leben in einer Zeit, in der das Wort ‚Holocaust‘ trivialisiert wird“, sagte er 1999 im Gespräch mit der Nachrichtenagentur AP. „Was den Juden passiert ist, kann mit keinem anderen Verbrechen verglichen werden. Jeder Jude hatte ein Todesurteil ohne Zeitangabe.“
Simon Wiesenthal hat etwa 1.200 NS-Verbrecher enttarnt. Er setzte sich 2003, nach dem Tod seiner Frau, zur Ruhe. „Ich habe sie alle überlebt“, sagte er. „Wenn noch welche übrig wären, wären sie zu alt und zu schwach, um heute einen Prozess durchzustehen. Meine Arbeit ist getan.“
Sein Lebensziel beschrieb er einst so: „Wenn die Geschichte zurückschaut, will ich, dass die Menschen wissen: die Nazis konnten nicht Millionen von Menschen töten und damit davonkommen.“ In der Nacht zum Dienstag starb Simon Wiesenthal im Schlaf in seiner Wiener Wohnung.