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Napoleon und der Zionismus

Den französischen Kaiser Napoleon könnte man heute fast als Zionisten bezeichnen: Aufgrund biblischer Aussagen sah er Palästina als das Land der Juden. Unter seinem Schutz wollte er sie in ihr Stammland zurückkehren lassen. Äußere Umstände machten ihm jedoch einen Strich durch die Rechnung.
Napoleon zu Pferde – ein Ölgemälde von Simon Meister aus dem Jahre 1832

General Napoleon Bonaparte war in jungen Jahren von den Großen der Geschichte inspiriert worden: Bereits Ale­xander der Große legte den Mittelpunkt seines Reiches nach Ägypten, um das „Land am Nil“ zum Zentrum des Welthandels zu machen. Durch seine Lage sei es dazu bestimmt, Asien und Afrika mit Europa zu verbinden.

Am 3. Juli 1798 kommen die Franzosen in Ägypten an. Wie von dem 28-jährigen Volkshelden nicht anders gewohnt, nehmen die Dinge einen schnellen Lauf: Nach der Einnahme Alexandrias wird in der Schlacht bei den Pyramiden am 21. Juli 1798 das osmanisch-ägyptische Heer zusammen mit einer Eliteeinheit der Mameluken vernichtend geschlagen, sogleich Kairo und schließlich ganz Ägypten besetzt. Mit dem Ausgang der Schlacht nimmt das Schicksal Ägyptens eine epochale Wende: Die Neuzeit hält Einzug in der jahrtausendealten Flussoase des Nils.

Inzwischen haben sich die Türken gegen die französischen Besatzer formiert und stoßen mit ihren Truppen von Norden bis an die Grenzen Ägyptens vor. Napoleon beschließt, die Offensive als beste Verteidigung zu ergreifen. Am 6. Februar 1799 bricht er mit 13.000 Mann ins Heilige Land auf. Kurzerhand überrennt er unter anderen den Küstenort Gaza. In Jaffa, dem Hafen Jerusalems, schlägt er die Hauptetappenstation auf, nachdem er unter den Muslimen ein fürchterliches Blutbad angerichtet hatte.

„Gewaltige Sünden und große Dummheiten“

Im 40 Kilometer entfernten Jerusalem bricht Panik aus, die Familien bewaffnen sich, der Mob plündert christliche Klöster. Der französische General François-Étienne Damas bittet Bonaparte um Erlaubnis, die Heilige Stadt anzugreifen. Napoleon hatte ursprünglich von der Eroberung Jerusalems geträumt und auch dem Direktorium in Paris geschrieben:

„Wenn Sie diesen Brief lesen, stehe ich eventuell bereits in den Ruinen des Tempels von Salomo.“ Doch nun erschien die Eroberung Akkos zunächst dringlicher, erst danach wollte er persönlich einen Baum als Symbol der Freiheit an dem Ort pflanzen, wo Christus gelitten hatte. Allerdings scheiterte das „Projekt Akko“: britischer und türkischer Widerstand zwangen Napoleon zum Rückzug. Niedergeschlagen sinnierte der französische General Jean-Baptiste Kléber: „Wir haben im Heiligen Land gewaltige Sünden und große Dummheiten begangen.“

Wollte Napoleon von Akko nach Jerusalem ziehen? Vermutungen zufolge hegte Napoleon in der Tat die Absicht, die Stadt zu besetzen und das alte Jerusalem für die Juden von den Muslimen zu befreien. In seinen Memoiren schildert Napoleon später, „wie seine Soldaten vor Begierde brannten, nach Jerusalem zu kommen und marschierend Psalmen anstimmten. Der Imperator selber aber … sparte die Heilige Stadt bei seinem Feldzug bewusst aus.“

„Jerusalem liegt außerhalb meiner Operationslinie“, soll er doppeldeutig gesagt haben. Andererseits wird berichtet, er wäre bereits auf dem Weg nach Jerusalem gewesen, habe aber in Ramleh, 40 Kilometer davor, überraschend seinen Feldzugsplan geändert und sich scheinbar desinteressiert von Jerusalem abgewandt.

In einem am 22. Mai 1799 in Istanbul veröffentlichten Bericht, der im gleichen Jahr in der Pariser Zeitung „Le Moniteur Universel“ erschien, heißt es: „Bonaparte hat eine Proklamation verabschiedet, in der er alle Juden Asiens und Afrikas auffordert, sich um sein Banner zu scharen, um das alte Jerusalem wiederherzustellen.“

Bereits am 1. April 1799, als seine Truppen vor Akko lagen, gab Bonaparte einen Brief „An die Jüdische Nation“ heraus, in dem er Palästina als Heimatland unter französischer Protektion anbietet. Obwohl es höchstwahrscheinlich nicht dazu kam, dieses Schreiben zu versenden, hatte das jüdische Thema fortan einen festen Platz auf der Agenda Napoleons.

Die Frage, welche Einflüsse ihn zu diesem Schritt bewegt haben, kann nicht klar beantwortet werden. Waren es persönliche Eindrücke im Land der Bibel? Hatten ihn die zahlreich mitreisenden Gelehrten über die historische Bedeutung der Stätten unterrichtet? Stand er unter dem Einfluss von christlichen Offizieren, die den hohen Stellenwert eines Besuchs des Heiligen Landes erkannt hatten?

„Eine Nation ohnegleichen“

Auch wenn das Projekt eine „Totgeburt“ war, markierte es die Konsequenzen der aufkommenden Aufklärungsphilosophie: zum einen, Juden als gleichwertige Bürger in Europa zu integrieren, zum anderen jüdische Autonomieprojekte in Palästina unter einem kolonialen Protektorat zu fördern. Unter anderem heißt es in dem Schreiben:

„Israeliten, Nation ohnegleichen, in Tausenden von Jahren waren Eroberungslust und Zwangsherrschaft dazu angetan, des angestammten Landes beraubt zu werden, jedoch nicht des Namens und der nationalen Existenz. Aufmerksame und unbeteiligte Beobachter … haben gesagt: Die Erlösten des HERRN werden zurückkehren und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein (Jesaja 35,10)… Beeile dich! Jetzt ist der Moment, der in Tausenden von Jahren nicht wiederkehren dürfte, für die Wiederherstellung der schändlicherweise Jahrtausende unter der Weltbevölkerung vorenthaltenen Bürgerrechte, deiner politischen Existenz als einer Nation unter den Nationen, und das unbegrenzte natürliche Recht Jehova anzubeten in Übereinstimmung mit deinem Glauben, öffentlich und mit großer Wahrscheinlichkeit für immer.“

Der Text macht deutlich: Israel ist eine Nation ohnegleichen und darum nicht mit dem gleichen Maß zu messen wie andere Völker. Napoleon erkennt in den Juden nicht nur eine ethnische Minderheit, auch nicht nur ein innen- oder gar machtpolitisches Problem der Gastländer, vielmehr sieht er Israel als eigenständige Nation.

Weder die Besonderheit dieser Nation wurde von den Nationen anerkannt, noch das Existenzrecht als Volk unter Völkern überhaupt. Er hat einen Blick für die langanhaltende jüdische Diaspora und bezeichnet diese Zeit als eine Epoche der Unterdrückung und Entrechtung. Deshalb besteht er auf dem Recht, Juden die Rückkehr in die ursprüngliche Heimat zu ermöglichen. Auch wenn sie dieses Landes verlustig gegangen und beraubt sind, besteht es nach wie vor. Was ihnen nicht genommen wurde, ist ihr Name und ihr Recht auf nationale Existenz.

Napoleon schätzt prophetische Aussagen der Bibel so ein, dass sie für Israel bleibende und darum nach wie vor gültige Aussagekraft haben. Er rechnet mit deren realer Erfüllung und damit mit einer Rückkehr des jüdischen Volkes nach Zion. Diese Rückkehr müsse baldmöglichst geschehen, die gegenwärtige geschichtliche Entwicklung bewege sich darauf zu. Alle Versuche der Völker, das Land aufzuteilen, bezeichnet er als Plünderung, die teils willkürlich, teils zum eigenen Vorteil dieser Völker geschehe.

Anwalt Israels?

Napoleon sieht sich in einer besonderen geschichtlichen Situation als Anwalt Israels, der in die Lage versetzt wurde, den Juden ihr Land zurückzugeben. Ihnen allein sollte es gehören, darum will er dessen Besatzer in das Nachbarland Syrien deportieren. Jerusalem ist für ihn die Stadt Davids, die im Schrecken der zu Unrecht Herrschenden lebt und der Befreiung bedarf. Den Feinden Israels sei es trotz immer neuer Versuche in Jahrtausenden nicht gelungen, das Volk auszulöschen.

Immer wieder tauchen in Napoleons Argumentation rechtliche Begründungen auf: Israel wurde sein Bürgerrecht, sein Recht auf eigene Identität, sein Recht, eine eigene Nation zu sein, und sein Recht, im eigenen Land zu wohnen, genommen. Dieser umfassende Rechtsbruch müsse revidiert werden. Die neue Einnahme des Landes und nationale Wiederherstellung sollen nie mehr rückgängig gemacht werden, sondern ewig fortbestehen.

Überraschend konkret sind bei Napoleon Anfänge erkennbar, die sich in den nächsten 200 Jahren durch teilweise dramatische und katastrophale Etappen weiter entwickeln und zur Gründung eines jüdischen Staates führen sollten. Bis heute ist die Sammlung der Juden nicht abgeschlossen, die Mehrheit lebt immer noch in der Diaspora. Es gilt, die politischen Entwicklungen zu verfolgen, inwieweit sich Napoleons Vision aus biblischer Prophetie und politischer Pragmatik im Fortgang der Geschichte bewahrheitet.

Dr. Rainer Uhlmann ist Theologe und Soziologe. Er war Pfarrer und Dekan in der Württembergischen Landeskirche. Von 1992 bis 2007 war er Vorsitzender des „Evangeliumsdienstes für Israel“. Er publizierte verschiedene Bücher über Jerusalem, biblische Stätten sowie alttestamentliche Themen. Zudem unterhält er die Internetseite www.israel-geo-guide.de

Diesen Artikel finden Sie auch in der Ausgabe 4/2018 des Israelnetz Magazins. Sie können die Zeitschrift kostenlos und unverbindlich bestellen unter der Telefonnummer 06441/915152, via E-Mail an info@israelnetz.com oder online. Gerne können Sie auch mehrere Exemplare zum Weitergeben oder Auslegen anfordern.

Von: Dr. Rainer Uhlmann

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