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Nachrichtensperre verwirrt Israelis

Die Zeitung "Jediot Aharonot" erlaubte sich einen seltenen Jux. Auf einer ganzen Seite gab sie einen übersetzten Agenturbericht wieder, in weiten Teilen jedoch bis zur Unkenntlichkeit geschwärzt: "Ich rede mit Kennern, die gezwungen.... nichts zu sagen...wäre glücklich zu erzählen...Auch ihr Anwalt...würden gerne reden....".

Weder der Name der Figur, um die es geht, noch ihr vermeintliches Verbrechen durften wegen einer Verfügung der Bezirksrichterin Einat Ron aus dem Tel Aviver Vorort Petach Tikva erwähnt werden. „Alle Welt weiß Bescheid, nur die Israelis nicht“, klagte Moderator Jaron Dekel im Radio. Während einer zweistündigen Debatte zu dem Thema fragte er die Militärkorrespondentin Carmella Menasche: „Kannst Du uns mehr verraten?“ Die sonst so gesprächige Enthüllungsjournalistin zu delikaten Missständen in der israelischen Armee sagte kurz: „Nein, ich will mich mit der Zensur nicht anlegen.“ Dabei blieb es.

Das Internet ist derweil überschwemmt mit der mysteriösen Geschichte einer seit Dezember unter Hausarrest stehenden jungen Frau. „Wir wollen die volle Wahrheit über Anat Kam“, wird auf Hebräisch beim sozialen Netzwerk „Facebook“ gefordert, mitsamt einem Bild der 23 Jahre alten Journalistin. Angeblich hat sie während ihres Militärdienstes an Uri Blau von der linksliberalen Zeitung „Ha´aretz“ geheime fotokopierte Pläne des Militärs weitergegeben, gezielte Tötungen an Palästinensern vorzunehmen, unter Missachtung bestehender Gesetze und Regeln. Kam wurde unter Hausarrest gestellt. Falls schuldig gesprochen, drohen ihr wegen Hochverrat und Spionage 14 Jahre Haft.

Die Affäre macht in Israel große Schlagzeilen, freilich ohne Namensnennung, ohne das Verbrechen zu erwähnen, ohne Andeutung, worum es eigentlich geht. Dalia Dorner, eine ehemalige Oberrichterin und heute Vorsitzende der Journalistenvereinigung, hält die übereilten richterlichen Veröffentlichungsverbote im Zeitalter des Internet für „lächerlich, überflüssig, veraltet, schädlich und traurig“. Ein Fernsehsender und „Ha´aretz“ forderten bislang erfolglos eine Aufhebung des Publikationsverbots. Andere reden vom Schaden für das Ansehen Israels. Aus welchen Gründen die Richterin Ron die Nachrichtensperre verhängt hat, kann nur erraten werden.

Sperre aufgehoben

Ein Tel Aviver Richter hob unterdessen die Nachrichtensperre auf. Wie der israelische Rundfunk berichtete, habe Anat Kam während ihres Militärdienstes im Büro des Befehlshabers „Zentrum“ Tausende streng geheime Unterlagen kopiert und nach Beendigung ihres Militärdienstes an den „Ha´aretz“-Journalisten Uri Blau weitergegeben. Kam habe vermutlich aus „ideologischen Motiven“ gehandelt.

Dieser „schlimmste Fall von Spionage und Hochverrat“ in der Geschichte Israels wird seit anderthalb Jahren vom Geheimdienst geprüft. Unbekannt ist, wie viele Dokumente sich noch im Besitz von Uri Blau befinden. Er habe lediglich 50 Dokumente an den Geheimdienst abgegeben und einer Zerstörung seines Laptops zugestimmt, ehe er sich nach London absetzte. Unter den Dokumenten befänden sich hochgeheime Einsatzpläne. Sollten diese Papiere dem Feind in die Hände fallen, hätten sie Tausenden Israelis das Leben kosten können, hieß es in ersten offenen Berichten über den Fall.

Aus Rücksicht auf die Pressefreiheit versprach der Geheimdienst, kein Verfahren gegen den Journalisten anzustrengen, falls er alle Dokumente übergebe. Doch Blau habe sich nicht an die Abmachung gehalten. Eine Prüfung der Papiere führte den Geheimdienst auf die Spur von Anat Kam. Blau habe seine „Quelle“ nicht verraten.

„Schaden für die Sicherheit des Staates“ ist die übliche Ausrede der Militärzensur, der im Prinzip alle israelischen und per Unterschrift auch alle akkreditierten Auslandskorrespondenten unterliegen. Doch seit vielen Jahren ist von der Pressezensur des Militärs kaum etwas zu spüren, solange Reporter sich brav auf „ausländische Quellen“ berufen, wenn sie über die vermeintlich existierenden israelischen Atombomben berichten, oder behaupten, dass israelische Kampfflugzeuge im September 2009 eine vermeintliche Atomanlage im Norden Syriens bombardiert hätten. Nur in Kriegszeiten erwacht die Zensur, indem sie Fernsehsendern verbietet, live über den genauen Ort der Treffer feindlicher Raketen zu berichten. CNN, BBC oder „Al-Dschasira“ sollen daran gehindert werden, den Raketenschützen der Hisbollah im Libanon und früher des Irak als Zielhelfer zu dienen.

Tod von Angehörigen nicht aus Medien erfahren

Ansonsten sorgt die Zensur dafür, dass die Namen gefallener Soldaten nicht vorzeitig veröffentlicht werden, damit deren Familienangehörige vom Tod ihrer Söhne nicht aus den Medien erfahren müssen. In Begleitung von Psychologen und Sozialarbeitern übermitteln erst einmal Vertreter des Militärs den Familien einzeln die schreckliche Nachricht. Deshalb dauert es oft Stunden, bis der Militärsprecher Grenzzwischenfälle bestätigt, bei denen es israelische Opfer gab. Gemäß einem ähnlichen Prinzip handelt auch die Polizei nach Autounfällen, denn am Ende wird der Name eines jeden israelischen Verkehrstoten in den Nachrichten veröffentlicht.

Im vorliegenden Fall der „verheimlichten Affäre“ hat die Militärzensur erklärt, dass sie für die Nachrichtensperre keine Verantwortung trägt. Das „Schweigegebot“ habe ein Richter verhängt, nicht die Zensur.

Problematisch ist tatsächlich die Leichtigkeit, mit der Richter Nachrichtensperren verhängen, nicht nur, um Opfer von Sexualverbrechen oder Minderjährige zu schützen.

So wurde im Zusammenhang mit dem Korruptionsprozess gegen den ehemaligen Premierminister Ehud Olmert augenzwinkernd berichtet, dass demnächst „eine sehr hohe Persönlichkeit“ zwecks Verhörs in Haft genommen werden könnte. Es ist anzunehmen, dass es sich nicht um die zusammen mit Olmert angeklagte Sekretärin handelt… Der Name jener Persönlichkeit unterliegt auch einer Nachrichtensperre.

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