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Jüdischer „Rächer“ Harmatz verstorben

Nach dem Zweiten Weltkrieg wollte er möglichst viele Deutsche töten – als Rache für den Holocaust. Doch die geplanten Anschläge misslangen. Nun ist Joseph Harmatz mit 91 Jahren in Israel gestorben.
Hielt seine Anschlagspläne bis zuletzt für richtig: der vergangene Woche verstorbene Holocaustüberlebende Joseph Harmatz

TEL AVIV (inn) – Als Vorbild für die Jugend sieht Ronald Harmatz seinen Vater und dessen Mitstreiter an. Joseph Harmatz kämpfte im Zweiten Weltkrieg mit den Partisanen gegen die Nationalsozialisten. Danach sann er auf Rache – und wollte mit Gleichgesinnten unter anderem das Trinkwasser in Nürnberg vergiften. In der vergangenen Woche ist der gebürtige Litauer, der im Norden von Tel Aviv lebte, im Alter von 91 Jahren verstorben. Er hinterließ zwei Söhne und wurde am Freitag beigesetzt, wie die Tageszeitung „Yedioth Aharonot“ berichtet. Ein genaues Todesdatum nennt sie nicht.

Joseph Harmatz kam im Januar 1925 in Rokiškis im Nordosten Litauens auf die Welt. Nach der Besetzung der Hauptstadt Wilna durch die Nazis schloss er sich zunächst dem Widerstand im dortigen Ghetto an, später kämpfte er an der Seite einer Partisanengruppe in den Wäldern.

„Nachdem Vater seine Familie verloren hatte, beschloss er, sich dem Untergrund anzuschließen“, erinnert sich der Sohn Ronald. „Er schmuggelte die Kämpfer durch die Kanalisation aus dem Ghetto in die Wälder, dort kämpften sie gemeinsam mit der Gruppe von Abba Kovner bis zum Ende des Krieges.“

Gifttransport gescheitert

Nach der Befreiung Litauens half er Juden in der Sowjetunion bei der heimlichen Auswanderung ins britische Mandatsgebiet Palästina. Der Schriftsteller Kovner indes leitete die neue Gruppe „Nakam“ (hebräisch für Rache), die sich am deutschen Volk für die Verbrechen der Nazis rächen wollte. Harmatz schloss sich ihr an.

Der erste Plan war, möglichst viele Menschen in Nürnberg zu töten. Dafür wollten die „Rächer“, wie sie sich selbst nannten, 1946 das Trinkwasser der fränkischen Stadt vergiften. Doch das Boot, in dem Kovner das Gift aus dem Weizmann-Institut von Palästina nach Europa bringen wollte, erregte den Verdacht der britischen Behörden. Das Gift wurde vor der Kontrolle über Bord geworfen. Die Briten nahmen Kovner fest, der Plan scheiterte.

Danach suchten sich die „Rächer“ ein kleineres Anschlagsziel: Sie wollten nun ehemalige SS-Leute im Kriegsgefangenenlager Stalag 13 in Langwasser bei Nürnberg vergiften. Dafür suchten sich mehrere Juden Arbeit in einer Großbäckerei. Sie bestrichen ungefähr 3.000 für das Lager bestimmte Brotlaibe mit Arsen. Dadurch sollten 10.000 SS-Leute ums Leben kommen. Doch obwohl viele krank wurden, starb niemand.

Noch am 1. September befasste sich der Fernsehsender „N24“ mit den versuchten Anschlägen vor 70 Jahren. Auf seiner Webseite heißt es: „Nach Ärzteangaben hatten die SS-Männer choleraähnliche Symptome, litten unter anderem an Erbrechen und Durchfall. Bis heute bleibt es ein Rätsel, warum das Gift niemanden tötete. Haupttheorie ist, dass die Verschwörer in ihrer Eile das Gift zu dünn aufstrichen.“ Möglicherweise hätten die Gefangenen auch gemerkt, dass etwas nicht stimmte und daher nur wenig Brot gegessen.

„Es war ein Muss, diese Gruppe zu gründen“

In dem Beitrag kam auch Harmatz selbst zu Wort. Die Operation sei nicht vergebens gewesen, sagte der ehemalige „Rächer“. Sie habe die Botschaft vermittelt, dass die Tage vorbei seien, in denen Angriffe gegen Juden unbeantwortet blieben.

Heute blicke er in seiner Wohnung bei Tel Aviv mit Zufriedenheit darauf zurück, dass er seiner „Pflicht“ zur Vergeltung nachgekommen sei, merkt „N24“ an. „Es war ein Muss, diese Gruppe zu gründen. Wenn ich auf etwas stolz bin, dann darauf, dass ich dieser Gruppe angehört habe“, zitiert der Sender den früheren „Nakam“-Kämpfer. Im Jahr 1999 enthüllten Harmatz und sein Mitstreiter Leipke Distel in einer Fernsehdokumentation Einzelheiten der Operation. Nürnberger Behörden nahmen daraufhin Ermittlungen auf. Doch die Staatsanwaltschaft verzichtete letztlich wegen der „außergewöhnlichen Umstände“ auf eine Anklage.

Harmatz war nach der Tätigkeit bei „Nakam“ mehrere Jahre für die „Jewish Agency“ tätig. Er pachtete Schiffe und half dabei, etwa 100.000 Juden aus Osteuropa und Nordafrika nach Israel zu bringen. Später war er Generaldirektor der weltweiten jüdischen Bildungsorganisation ORT. Deren damaliger Präsident, Baron Young of Graffham, schrieb in seinem Nachruf: „Nicht nur war er einer der Helden des Widerstandes in Litauen während des Krieges, er war eine Inspiration für alle, die mit ihm arbeiteten. Mit seinem Tod geht ein großes Kapitel in der Geschichte unseres Volkes zuende.“

Der Sohn des Verstorbenen sieht es ähnlich: „Er gehört zu einer Generation, die allmählich verschwindet. Eine Generation von Anführern, die man auf jeden Fall als Vorbild zur Nachahmung für die Führung der jungen Leute heute nehmen kann.“ (eh)

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