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Amerikaner erstatten Raubgut an die Räuber

WASHINGTON / BAGDAD (inn) – Im Mai 2003, nach der Eroberung von Bagdad, entdeckten amerikanische Soldaten im überschwemmten Keller des ehemaligen Geheimdienstes von Saddam Hussein das Archiv der irakischen jüdischen Gemeinden mitsamt Sakralgeräten. Es wurde „ausgeplündert“ und „zur Sicherheit“ in die USA gebracht. Im Juni 2014 soll das Raubgut an seinen „rechtmäßigen Besitzer“, die Regierung des Irak, zurückgegeben werden.
In solchen Behältern wurden die Fundstücke nach Texas transportiert.

Am 11. Oktober will das amerikanische National Archiv in Washington eine Ausstellung zu dem Archiv der irakischen Judenheit eröffnen. Von insgesamt 2.700 Büchern und Zehntausenden Dokumenten auf Hebräisch, Arabisch und Judäo-Arabisch sollen eine Hebräische Bibel von 1568, ein Babylonischer Talmud von 1793, Fragmente einer der 48 gefundenen Torarollen und Dokumente aus dem Archiv gezeigt werden, ehe alles wieder nach Bagdad transportiert wird.

Die Entdeckung

Die irakische Regierung hatte im Keller des „Muchabarat“ (Geheimdienst) in Bagdad die Schätze der aus dem Irak vertriebenen Juden gehortet. Der Amerikaner Mark Hirshberg stand als arabisch-hebräisch sprechender Experte in den Diensten des amerikanischen Verteidigungsministers und der provisorischen Regierung der Koalition. So erfuhr er, dass sich der frühere Leiter der Abteilung „Israel und jüdische Angelegenheiten“ des irakischen Geheimdienstes unter Saddam Hussein an Ahmad Chalabi gewandt habe, den Vorsitzenden des Irakischen Nationalkongresses. Der Ex-Agent erzählte diesem vom versteckten Schatz und erwartete im Tausch für seinen Tipp einen „Persilschein“.
Chalabi wandte sich an Judy Miller, Reporterin der „New York Times“, an den Pentagonmitarbeiter Harold Rhode und an Hirshberg. Der Informant verschwand, nachdem er ihnen das Geheimdienst-Gebäude gezeigt hatte.
Zwischen Blindgängern und tröpfelnden Wasserrohren drangen sie in den halb unter Wasser stehenden Keller vor. Zusammen mit 16 US-Soldaten der Alpha-Einheit, die Massenvernichtungswaffen im Irak suchte, entdeckten sie erst die „Israel-Abteilung“ mit Bildern des Jerusalemer Felsendoms und russischen Luftaufnahmen des israelischen Atomreaktors von Dimona. Tiefer im Keller stießen sie auf die „jüdische Abteilung“ mit Torahrollen und Tausenden im Wasser liegenden Dokumenten.
Iraker hätten dazu geraten, das Material außer Landes nach Amerika zu bringen, ehe die Existenz des Archivs bekannt würde. Ohnehin wäre eine Konservierung des nassen Papiers im Irak unmöglich gewesen.

„Nächtliche Kommandoaktionen“

Dank einer Spende in Höhe von 15.000 US-Dollar von einem New Yorker Bankier besorgte Hirshberg Pumpen, um den vollgelaufenen Keller freizulegen. Mit Soldaten und irakischen Arbeitern barg er in „nächtlichen Kommandoaktionen“ den Fund. Chalabi hatte Aluminiumbehälter besorgt. Darin wurden die nassen Funde verpackt. Die Aktion dauerte mehrere Wochen. Jede Nacht musste der Keller von Neuem ausgepumpt werden. Mangels Strom und klimatisierten Räumen wurden die auf Pergament geschriebenen Torahrollen im Hof der Orfali-Art-Gallerie auf dem Boden ausgerollt und in der Sonne getrocknet.
Hirshberg hatte Juden in aller Welt über das heimliche Projekt informiert, darunter Nathan Scharanski, früherer Sowjet-Dissident und israelischer Minister. Zunächst hatten die amerikanischen Behörden jede Unterstützung abgeblockt. Doch nachdem Vizepräsident Dick Cheney und Verteidigungsminister Donald Rumsfeld von Scharanski informiert worden waren, stellte die US Army größere Pumpen und Kühlwagen zur Verfügung, bis alles Material nach Texas ausgeflogen werden konnte. Dort haben Fachleute die nassen Dokumente im Vakuum gefriergetrocknet. Das State Departement stellte 3 Millionen US-Dollar zur Verfügung, um die Dokumente zu digitalisieren und zu restaurieren.
Rhode erklärte dieser Tage: „Die Frage ist, wem das Material gehört. Gemäß internationalem Recht dürfen keine Schätze von einem Land ins Ausland genommen werden. Aber dieser Fall liegt außerhalb der Norm, weil die Fundsachen Eigentum der jüdischen Gemeinde sind. Die gibt es im Irak aber nicht mehr.“

„Als würde man Raubkunst an Nazis erstatten“

Siv Jehuda vom Institut für die Erforschung des Erbes der Juden aus Babylon im israelischen Or Jehuda verfolgt seit vielen Jahren das Schicksal des von Saddam Hussein geraubten jüdischen Archivs: „Die haben Wertsachen verkauft und den Rest im Keller des Geheimdienstes weggeschlossen, unerreichbar für Forscher und interessierte irakische Juden.“
Der Wissenschaftler fühlt sich an den Raub jüdischer Wertsachen durch die Nazis erinnert. „Man stelle sich vor, dass von Juden geraubte Kunstwerke und andere Wertsachen heute an irgendwelche Nazis erstattet würden und nicht an ihre rechtmäßigen jüdischen Besitzer“, sagte Jehuda auf Anfrage. Sowohl die Amerikaner wie der Irak hätten bestätigt, dass es einen Vertrag gebe, der die Rückgabe des Archivs an den Irak vorsehe. Traurig fügte er hinzu: „Die Iraker werden das Archiv weder schützen noch pflegen. Nachdem der Irak die fast 3.000 Jahre alte jüdische Gemeinde seit dem babylonischen Exil zerstört, ausgeraubt und vertrieben hat, wird nun auch ihr schriftliches Erbe unwiederbringlich verloren gehen“.

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