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„Methusalem“ statt Wassermelonen

Eigentlich war ich in den Kibbutz Ketura, knapp 40 Kilometer nördlich von der Südspitze Israels, gefahren, um „Methusalem“ kennen zu lernen. Im Zentralbüro der Gemeinschaftssiedlung lief ich dann aber seiner „Mutter“ in die Arme – und die bestand darauf, dass ich das Umfeld verstehen lerne, in das hinein „Methusalem“ zu neuem Leben erweckt wurde, bevor sie mir ihren neuesten Schützling vorstellte, der abgeschirmt von der Außenwelt in einem keimfreien „Pflanzeninkubator“ die ersten Monate seines Lebens verbringen darf.

Elaine Solowey war 1971 aus dem kalifornischen San Gaoquin nach Israel eingewandert. Vier Monate nach der Gründung des Kibbutzes Ketura in der südlichen Arava-Senke, die das Südende des Toten Meeres mit dem Golf von Eilat verbindet, zog sie 1974 dort ein und gehört so zu den ersten Mitgliedern der Gemeinschaftssiedlung. Frau Dr. Solowey hat kommerzielle Gartenwirtschaft studiert und sich dann auf Wüstenlandwirtschaft spezialisiert. Ihre Doktorarbeit hat sie über den Rückgewinn von Wüstengebieten für die Landwirtschaft geschrieben. Heute forscht sie im Rahmen des „Arava Institute for Environmental Studies“, und ihr Arbeitsfeld erstreckt sich weit über Israel und die Negevwüste hinaus bis nach Jordanien, Marokko und Simbabwe.

Dr. Elaine Soloweys Anliegen ist es, dass die Menschheit lernt, Nahrung herzustellen, ohne den Lebensraum, in dem sie existiert, zu zerstören. „Wir betreiben eine Landwirtschaft, die nur in wenige Gebiete dieser Erde passt, ins Nildelta, ins Zweistromland oder ins Mississippidelta“, beklagt die Wissenschaftlerin und bezeichnet herkömmliche Anbauformen als „destruktiv“, „dumm“ und „tödlich“. Nicht nur Israel, die ganze Welt betreibe diese ungesunde Landwirtschaft, die zudem auch wirtschaftlich sinnlos sei: „Wassermelonen zum Beispiel lassen sich nur in Saudi Arabien teurer als in Israel produzieren.“

Elaine Solowey doziert, dass Israel aufhören sollte, landwirtschaftliche Produkte zu exportieren. „Wir sollten nur das anbauen, was wir selbst benötigen und uns dabei auf unsere guten, alten Traditionen besinnen, auf Wein, Käse, Olivenöl.“ Exportieren sollte Israel nach Soloweys Ansicht „Know-How“, Wissen, Hightech und Medizin – und dafür könnte man dann auch medizinische Pflanzen anbauen: „Die brauchen ganz oft Wüstenklima.“

Überhaupt gibt es Pflanzen, die, anders als Melonen, Avocados oder Zitrusfrüchte, das Wüstenklima mögen. In Israel sollten nach Erkenntnissen dieser Agrarwissenschaftlerin vor allem Büsche und Bäume angebaut werden. Bäume bauen mit ihrem Laub den Boden auf, senken Boden- und Lufttemperatur, wirken der Erosion des Erdreichs entgegen. In der Folge entwickeln sich Würmer im Boden, die Feuchtigkeit steigt, die Luft kühlt ab, was letztlich zu mehr Regen führt. Dr. Solowey experimentiert mit Bäumen, die 15 Kubikmeter Wasser im Jahr verbrauchen – ein Orangenbaum, im Vergleich dazu, benötigt 65 Kubikmeter Wasser pro Jahr.

Und so kommen wir endlich, endlich zu den Dattelpalmen, die östlich vom Kibbutz Ketura in großen Plantagen angebaut werden. Sie passen ins Wüstenklima und lieben es – und deshalb erforscht Elaine Solowey seit vielen Jahren ihre Artenvielfalt, mehr als 200 sind bekannt, und deren Vor- und Nachteile. Und weil es um Dattelpalmen geht, darf ich auch endlich ins „Allerheiligste“ des Pflanzenforschungsinstituts, wo „Methusalem“ auf uns wartet. Am Eingang steht: „Quarantine Site. Do not Enter“ – was frei übersetzt besagt, dass der Zutritt zu „Methusalems“ Babystube für Unreine untersagt ist.

Unter verstaubten Planen, die der brütenden Hitze kaum Widerstand bieten, steht eine Gruppe von ganz profanen Plastiktöpfen. Aus einem ragen ein paar grüne Halme, für den Laien kaum von anderem Unkraut oder Schilfgras zu unterscheiden: „Methusalem!“ Liebevoll nimmt ihn seine Mutter auf den Arm und präsentiert ihn für den Fototermin.

Aus Dattelkernen, die der Archäologe Ehud Nezer vor Jahren auf der Wüstenfestung Massada am Toten Meer gefunden hatte, ist Methusalem entstanden. Die Samen wurden in der Schweiz durch Karbontests auf die Zeit von 35 bis 65 nach Christus datiert. Jahrelang lagerten sie in der Hebräischen Universität in Jerusalem, bis sie dann auf dem Umweg über das Hadassah-Krankenhaus den Weg zu Elaine Solowey fanden. Eine Freundin von Dr. Solowey, die in der medizinischen Forschung arbeitet, bat sie, den Versuch zu unternehmen, die Datteln zu neuem Leben zu erwecken.

Trotz der unausgesprochenen, aber offensichtlichen Überlegungen, dass es verrückt sei, so etwas zu tun, stürzt sich Solowey auf die Literatur und macht sich kundig über Versuche, alte Samen sprossen zu lassen. Sie stößt auf Lotussamen, die nach über 1.000 Jahren erfolgreich gezüchtet wurden, und auf erfolgreiche Versuche, Weizen aus ägyptischen Gräbern auferstehen zu lassen. Schließlich macht sie sich nach einem genauen Plan daran, sieben Dattelkerne für die Erde vorzubereiten. Sie werden stundenlang in 35-Grad-warmem Wasser, in Wurzel treibenden Hormonen und Düngern eingeweicht. Am 25. Januar 2005, nach hebräischem Datum dem 15. Schewat 5765, dem traditionellen Neujahrsfest der Bäume, werden die sieben Samen in Blumenerde gesetzt, die genauso neu und steril ist, wie die Elemente der Bewässerungsanlage, über die sie Feuchtigkeit erhalten.

Am 5. März entdeckt Dr. Solowey zu ihrem Erstaunen, dass in einem der Töpfe etwas sprosst. Am 18. März ist erkennbar, dass es sich um eine Dattelpalme handelt. Die Agrarwissenschaftlerin kommt ins Schwärmen. „Die judäische Dattel war berühmt für ihre dunkle, zarte Haut. Selbst der römische Geschichtsschreiber Strato rühmt die Datteln aus Judäa.“ – Mit der endgültigen Zerstörung Judäas im 2. Jahrhundert nach Christus wurde auch die Dattelkultur im Heiligen Land vernichtet. Die letzten wilden Datteln in der Gegend nördlich vom Toten Meer fielen den Kreuzfahrern zum Opfer, für die Palmwedel ein begehrtes Souvenir waren.

Bei den Überlegungen für einen Namen für das alt-neue Dattelkind war „Lazarus“ im Gespräch. Es waren dann nicht jüdische Probleme mit dem Neuen Testament, die für einen anderen Namen entscheidend waren, sondern die Überlegung, dass Lazarus ja tatsächlich tot war, bevor er von Jesus wieder zum Leben erweckt wurde. Dieser Dattelkern dagegen war nie tot, sondern hatte nur geschlafen. Deshalb erhielt er den Namen „Methusalem“, nach dem ältesten Mann der Bibel, der nach 1. Mose 5,29 ein Lebensalter von 969 Jahren erreichte.

Viele Fragen um „Methusalem“ bleiben noch offen. Genetische Tests sollen verwandtschaftliche Beziehungen zu Dattelpalmen aus anderen Teilen des Vorderen Orients aufzeigen. Elaine Solowey fragt sich auch, ob es gelingen wird, weitere antike Dattelkerne aufzuwecken. Wird man bei anderen Dattelkernen vielleicht eine „Embryonenrettung“ vornehmen können? Und dann ist bei „Methusalem“ auch noch nicht klar, ob er männlich oder weiblich ist. Wird er tatsächlich auswachsen? Und wo soll das geschehen? Elaine Solowey hat Angst vor neuen „Kreuzfahrern“, die auf der Suche nach echten judäischen Palmwedeln vorbeikommen und „Methusalem“ zu Tode rupfen könnten.

(Foto: Johannes Gerloff)

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