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Medienstar der Hamas

Kurz nach 11.00 Uhr erschienen am tiefblauen Junihimmel über Gaza-Stadt zwei Kampfhubschrauber der israelischen Armee und feuerten sieben Raketen ab. Ziel des Militärschlags war Abdel Aziz al-Rantisi, Sprecher und Medienstar der radikal-islamischen Hamas-Bewegung, dessen Mitsubishi Pajero auch sofort in Flammen aufging. Unmittelbare Opfer waren drei tote und 30 verletzte Palästinenser – und vielleicht auch der Fahrplan zum Frieden, die Roadmap, die in der westlichen Welt als einzige Alternative zu weiterem Blutvergießen im Nahen Osten gesehen wird. Dr. Rantisi kam mit Splitterwunden davon, sein Sohn wurde schwer verletzt.

Wer ist der Mann, für den Israel die Morgendämmerung zum Nahostfrieden nach langer Intifada-Nacht aufs Spiel zu setzen wagt?

Abdel Aziz al-Rantisi wird im Oktober 1947 in Yubna, das heute in Israel, in der Nähe von Jaffa liegt, geboren. Während des israelischen Unabhängigkeitskrieges flieht seine Familie 1948 in den Gazastreifen. Dort wächst Abdel Aziz im Flüchtlingslager Khan Yunis auf.

In den 70er Jahren macht Abdel Aziz Rantisi an der Universität Alexandria in Unterägypten eine Ausbildung zum Kinderarzt. In seiner Studienzeit kommt er in Berührung mit der Ikhwan, der radikal-islamischen Muslimbruderschaft, die 1928 in Ägypten gegründet wurde und seit den 40er Jahren im Gebiet des britischen Mandats Palästina und seinen Nachfolgestaaten tätig ist.

1976 kehrt er aus Ägypten nach Gaza zurück, schließt sich offiziell der Ikhwan an und findet nach der Eröffnung der Islamischen Universität Gaza im Jahre 1978 dort Arbeit. 1983 wird Rantisi von den Israelis als Leiter der Kinderabteilung des Krankenhauses von Khan Yunis entlassen. In der Folgezeit wird er verschiedentlich von Israel verhaftet. In den letzten Jahren wohnte der Vater von sechs Kindern in Gaza-Stadt, im Stadtteil Sheikh Radwan.

Im August 1988 gründet er gemeinsam mit Sheikh Ahmed Yassin, Abdel Fattah Dukhan, Mohammed Shama, Ibrahim al-Yazour, Issa al-Najjar und Salah Shehadeh die „Harakat al-Muqawamah al-Islamiyya“, die „Islamischen Widerstandsbewegung“, abgekürzt „Hamas“. Das arabische Wort „Hamas“ bedeutet soviel wie „Begeisterung“, „Enthusiasmus“, „Eifer“, „Mut“ oder auch „Heldentat“. In der hebräischen Bibel taucht das Wort ebenfalls auf, allerdings mit der Bedeutung „Gewalttat“.

Im Dezember 1992 wird Abdel Aziz Rantisi gemeinsam mit 414 anderen Hamas-Aktivisten von Israel nach Marj al-Zuhur in den Südlibanon deportiert. Der Kinderarzt fungiert als Sprecher der deportierten Islamisten. Im Rückblick bezeichnete Rantisi Marj al-Zuhur als Wendepunkt: „Danach erschien Hamas auf der internationalen Bühne.“ Nach seiner Rückkehr muß Rantisi noch einmal bis zum April 1997 in israelische Haft.

Nach seiner Rückkehr in die begrenzte Freiheit des Gazastreifens und auf die politische Bühne des Nahen Ostens profiliert sich Dr. Abdel Aziz Rantisi als „Gesicht der Hamas“. Wann immer die radikal-islamische Hamas-Bewegung an die Öffentlichkeit tritt, ist auch Rantisi mit dabei. Bald gehört sein Gesicht zu den vertrauten Gegebenheiten der Fernsehaufnahmen aus den Palästinensischen Autonomiegebieten. Seit Jahren ist der Hamas-Sprecher einer der populärsten Palästinenserführer, wenn man arabischen Umfrageergebnissen vertrauen darf.

Als „Märtyreroperationen“ rechtfertigt der Medienstar die Selbstmordoperationen palästinensischer Terroristen. 113 Selbstmordattentäter hat die Hamas seit 1993 auf Israel losgelassen, seit September 2000 waren es 72. Von Anfang an lehnten diese Islamisten jede Verständigung mit dem „zionistischen Feind“ rundweg ab. Durch die von ihnen verübten Anschläge wurden, nach Angaben des Sprechers der israelischen Armee, 227 Israelis getötet, 1.393 verletzt, zum Teil für ihr Leben lang verstümmelt.

„Das ist kein Terror“, verteidigt Dr. Rantisi den Kurs seiner Bewegung im Januar 1998 in einem Interview mit der arabischen Zeitung Kul al-Arab, „das ist eine Antwort auf den israelischen Terror, von Einzelnen und der israelischen Regierung, gegen palästinensische Zivilisten.“ Er verspricht: „Wenn Israels aggressive Aktionen des Tötens, des Aushungerns, der Inhaftierung und des Siedlungsbaus aufhört, werden wir auch unsere Operationen gegen israelische Zivilisten einstellen.“

Aus westlicher Sicht könnte man diese Aussagen als Rückzugsforderung an Israel auf die Waffenstillstandslinien von 1967 mißverstehen. Aber der Hamas-Sprecher erteilt jedem Kompromiß eine eindeutige Absage: „Das ganze Land Palästina ist Teil des islamischen Glaubens und der Kalif Omar bin al-Khattab erklärte das Ganze als den Muslimen gehörig.“ Der erhobene Zeigefinger gilt auch verständigungsbereiten Volksgenossen: „Deshalb hat kein Einzelner und auch keine Gruppe das Recht es zu verkaufen oder aufzugeben.“ Es ist kein Zufall, daß die Hamas Ende der 80er Jahre ihre militärische Laufbahn damit begann, vor allem Palästinenser, die der Gesprächsbereitschaft mit Israel verdächtigt wurden, zu ermorden.

Im Juli 2000 wird Abdel Aziz Rantisi erstmals von der Palästinensischen Autonomiebehörde verhaftet, weil er die palästinensisch-israelischen Gespräche im amerikanischen Camp David als „Akt des Verrats“ bezeichnet. Konsequent lehnt die von Rantisi vertretene Hamas-Führung jede Nahostfriedensinitiative ab, so auch die Roadmap und den jüngsten Gipfel im jordanischen Akaba.

Für eine „friedliche“ Lösung des Nahostkonflikts ist Dr. Abdel Aziz Rantisi trotzdem durchaus aufgeschlossen. So rief er Mitte August 2002 die Israelis mit (aus seiner Sicht wohl) versöhnlichem Unterton dazu auf, in ihre Ursprungsländer zurückzukehren, aus denen sie in den vergangenen 150 Jahren nach Israel eingewandert sind. Einzig ein „judenreines“ Heiliges Land, abgesehen vielleicht von einer jüdischen Minderheit, die sich islamischen Recht unterwirft, kann aus seiner Sicht Frieden genießen.

Als weitere versöhnliche Geste werten ausländische Beobachter das wiederholte Angebot einer „hudna“, eines „Waffenstillstandes“, durch die Hamas. Gerade in den letzten Tagen vor dem israelischen Anschlag auf Abdel Aziz Rantisi hatte die Hamas-Führung mit der neuen palästinensischen Regierung unter Premierminister Mahmoud Abbas über diese Möglichkeit verhandelt. Den Israelis aber ist eine „hudna“ nicht ausreichend, weil sie genau wissen, daß die von der Hamas-Bewegung vertretene islamische Theologie die Aufhebung des Waffenstillstandes verlangt, sobald der ungläubige Gegner und Besatzer islamischen Bodens schwach und damit besiegbar erscheint.

In Israel wird der Militärschlag gegen den herausragenden politischen Kopf der Hamas von der Opposition scharf kritisiert. Die Regierung solle den militärischen Flügel der Bewegung, die Izz a-Din al-Qassam-Brigaden, mit Gewalt bekämpfen, gleichzeitig aber mit der politischen Vertretung das Gespräch suchen. Deshalb galten die politischen Vertreter auch solch radikaler und in Israel selbst verbotener Organisationen wie der Hamas als weitgehend immun.

Im August 2002 hatte der geistliche Vater Rantisis, der an den Rollstuhl gebundene Sheikh Ahmed Yassin, in einem Interview mit der saudiarabischen Zeitung al-Shark al-Awsat allerdings schon die enge Verbindung zwischen militärischem und politischem Etablissement in der Bewegung betont: „Wenn wir eine Entscheidung auf der politischen Ebene treffen und den militärischen Flügel davon informieren, ist dieser an unsere Entscheidung gebunden.“

Diese Aussage hat die militärische und verantwortliche politische Führung des jüdischen Staates Israel mit dem Anschlag ernstgenommen. Und nur auf dieser Grundlage, wenn er nämlich direkte Befehlsgewalt über die Terroreinheiten der Izz a-Din al-Qassam besitzt, konnte Dr. Abdel Aziz Rantisi bereits wenige Stunden nach dem überlebten Raketenangriff vom Krankenhausbett aus, vor laufender Fernsehkamera, dem israelischen Volk blutige Rache androhen.

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