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Links, rechts, links

JERUSALEM (inn) – Der Wahlgewinner Jair Lapid gilt allgemein als linksgerichtet. Aber eine nähere Analyse zeigt: Auch er zeigt Tendenzen, die von außen dem rechten Lager zugeordnet werden.
In der 19. Knesset werden der linke und der rechte Block fast gleich viele Sitze haben.

Wie beim militärischen Gleichschritt, gut eintrainiert und vorhersehbar, links, rechts, links, wurde das Ergebnis der israelischen Wahlen kommentiert. Der zuvor von Spekulanten heraufbeschworene Rechtsruck blieb aus, obgleich ein Absinken der „Hardliner“ und „National-Extremisten“ wie Premierminister Benjamin Netanjahu und seines ehemaligen Außenministers Avigdor Lieberman längst bei den Umfragen abzulesen war. Die internationale Presse versammelte sich in der Wahlnacht zunächst bei Naftali Bennet, dem Aufsteiger des „Jüdischen Hauses“ (HaBait HaJehudi), wie heute die National-Religiösen heißen. Pech gehabt. Denn die eigentliche Sensation passierte woanders, bei den sogenannten „Linken“, bei dem wahren Aufsteiger dieser Wahlen: Jair Lapid. „Es gibt eine Zukunft“, nannte der schöne Mann und populäre TV-Moderator seine bürgerliche Partei „Jesch Atid“, mit 19 Mandaten in die Knesset eingezogen.
Rechts oder links wird bei Israel nicht etwa gemäß klassischen Kriterien wie Sozialismus oder Kapitalismus, konservativ oder fortschrittlich (was immer das bedeutet) festgemacht, sondern allein an der Frage, wer zu größeren Konzessionen an die Palästinenser bereit ist. Daran gemessen hat es in Israel sogar einen ganz gewaltigen Rechtsruck gegeben. Denn die vermeintlichen Rechten in Israel sind in Wirklichkeit links und umgekehrt.
Friedensverhandlungen mit den Palästinensern, eine Teilung Jerusalems, ein Abbau von Siedlungen und ein weiterer Rückzug aus besetzten Gebieten, wie es der „rechte Hardliner“ Ariel Scharon 2005 im Gazastreifen vorgeführt hat, waren ausgeklammert worden.
Allein die klassischen „rechten“ Politiker, nämlich der Premierminister und Lieberman, versicherten offen, für die „Zwei-Staaten-Lösung“ zu stehen, wie es Netanjahu 2009 in der Bar Ilan-Universität in einer Grundsatzrede angekündigt hatte. Das war vielleicht ein Versuch, sich bei EU und USA einzuschmeicheln. Doch bei einer halben Million mittelständischer Israelis, die billigen Wohnraum in Ostjerusalem und in Siedlungen gefunden haben, könnte sie? das Stimmen gekostet haben.
Kaum Vertrauen gegenüber Palästinensern
Die große Mehrheit der Israelis sieht in den Palästinensern zur Zeit weder Partner für einen Frieden, noch glaubt sie, dass ausgehandelte Verträge wirklich eingehalten würden. Die Umwälzungen in der arabischen Welt treffen auch die Palästinenser. Hinzu kommt ein tiefes Misstrauen der Israelis gegenüber den Palästinensern nach zahllosen Enttäuschungen, zunehmender Hetze und Gewaltausbrüchen.
Zum Friedensprozess auffällig geschwiegen hat die Arbeitspartei. Die hatte unter Jitzhak Rabin den Osloer Prozess in Gang gesetzt. Jair Lapid hatte seinen Wahlkampf demonstrativ in der Siedlerstadt Ariel im Westjordanland gestartet. Ist der als „gemäßigt“ abgestempelte Lapid etwa ein verkappter „Rechter“, schlimmer noch als Netanjahu und Lieberman, zumal sich Lapid zur Zwei-Staaten-Lösung öffentlich nicht äußern wollte?
Die Wahlen und ihr Ergebnis haben herausgestellt, dass die Israelis zur Zeit ganz andere Sorgen haben, als weitere unerquickliche Verhandlungen ohne Ende. Die inneren sozialen Probleme, überteuerte Wohnungen und explodierende Lebensmittelpreise interessieren die Israelis mehr. In den Vordergrund gerückt ist auch das dringend zu renovierende Wahlsystem. Die niedrige Sperrklausel und 34 zum Wahlkampf angetretene Parteien haben dazu geführt, dass zusammen mit 40.000 ungültigen Stimmzetteln über 300.000 Stimmen in den Papierkorb gewandert sind. Sie gingen an Witzparteien, die an der Hürde gescheitert sind. Das wären umgerechnet acht Mandate.
Viele Koalitionsbündnisse möglich
In die Knesset mit insgesamt 120 Abgeordneten eingezogen sind am Ende 12 Parteien, von denen alle, bis auf die drei arabischen Miniparteien, potentielle Koalitionspartner sein könnten. Mit allen Parteichefs hat der mutmaßliche künftige Premierminister, Netanjahu, schon telefoniert und sie zu einem Gespräch eingeladen. Wie schon 2009, als sich die linke Arbeitspartei unter Ehud Barak der Regierung angeschlossen hat, ist Netanjahu frei in der Auswahl, solange er die recht unterschiedlichen künftigen Partner unter einem Dach vereinen kann. Das wird nicht leicht sein, da jede Partei in eine andere Richtung zerrt.
Neben einer Reform des Wahlsystems wird die gleichmäßige Verteilung der Pflichten für alle Staatsbürger ein schwieriges Thema sein. Im Klartext bedeutet das Militär- oder Zivildienst für die bisher entbundenen orthodoxen Juden und die Araber. Das jedenfalls ist ein Hauptanliegen von Jair Lapid, dessen Partei die zweitstärkste Kraft in der Knesset geworden ist und mit hoher Gewissheit künftig mitregieren will.
Neben inhaltlichen Fragen müssen auch noch Egotrips der „Wahlsieger“ und der alten Getreuen Netanjahus befriedigt werden. Schon wurde dem ehemaligen Innenminister der frommen Schasspartei empfohlen, sich doch als Tourismusminister zu bewerben und möglichst viel ins Ausland zu reisen. Ein Machtkampf steht dem ehemaligen israelischen Boxmeister Jair Lapid mit dem früheren Rauswerfer aus Nachtklubs, Avigdor Lieberman, bevor. Dabei geht es um den Posten des Außenministers. Spannend wird auch das Gerangel um andere Ressorts werden, etwa das Verteidigungsministerium oder das allmächtige Finanzministerium, wo eine Finanzierung der gewünschten Sozialreformen und schmerzhafte Kürzungen beschlossen werden müssen.

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