Das Hinom-Tal, südlich der heutigen Altstadt Jerusalems, hat in mehreren Sprachen, darunter Hebräisch, Englisch und Arabisch als „Gehenna“ der Hölle einen Namen verliehen. Das Tal heißt im Neuen Testament „Hakeldema“ (Blutacker). Das Grundstück war als „Töpferacker“ bekannt und wurde laut Matthäus für die 30 Silberlinge erworben, die der Jünger Judas ursprünglich für seinen Verrat erhalten hatte. Später zeigte er Reue und erhängte sich.
In diesem Tal hat der Archäologe Schimon Gibson im Jahr 2000 ein mit Gips versiegeltes Grab mit den Knochen eines in ein Grabtuch eingewickelten Mannes entdeckt, gleich neben dem Grab des Hohepriesters Annas, dem Schwiegervater des Hohepriesters Kaiphas. Der hatte Jesus dem römischen Prokurator Pontius Pilatus zwecks Verurteilung übergeben. Annas diente in den Jahren 6 bis 15 als Hohepriester und genau in dieser Zeit muss auch der Mann im Leichentuch begraben worden sein. Das ergaben C-14-Untersuchungen der organischen Überreste in der Grabkammer.
Kein zweites Begräbnis in Knochenkasten
Ungewöhnlich für die Periode Jesu war, dass der Mann kein Sekundärbegräbnis erhalten hatte. Üblicherweise wurden die Toten eingehüllt in Grabkammern aufgebahrt. Ein Jahr, nachdem alles Fleisch verwest war, wurden ihre Knochen eingesammelt und in vorgefertigte Knochenkästen gepackt, auf die dann ihr Name eingeritzt wurde. So blieben tausende Namen aus der Zeit Jesu erhalten, wobei Josef, Maria und Jesus damals so populär gewesen sein müssen wie heute Hans und Fritz. Auf einem besonders kostbar geschnitzten Ossuarium (Knochenkasten), in einer nicht-geplünderten Grabhöhle südlich von Jerusalem während des Irakkriegs von 1991 entdeckt, war der Name „Hohepriester Kaiphas“ eingeritzt. Es handelte sich dabei zweifellos um den historischen, in der Bibel erwähnten Kaiphas.
Moderne DNS-Untersuchungen an den Knochen und sogar an seinen Haaren ergaben, dass der unbekannte Zeitgenosse Jesu sowohl unter Lepra als auch unter Tuberkulose gelitten hatte und daran wohl auch verstorben sei. Das könnte erklären, wieso sich nach seinem Tod niemand mehr in die Grabhöhle wagte, um seine Knochen entsprechend der damaligen Sitte in einen Knochenkasten umzubetten.
Wie die Hebräische Universität in Jerusalem mitteilte, habe der namenlose Mann der Aristokratie und vielleicht sogar der Priesterkaste angehört, zumal er in einer Höhle „mit Blick auf den Tempel“ begraben worden sei.
Die Molekular-Untersuchungen an Haaren und Knochen des Mannes hat Professor Mark Spigelman vom Institut für tropische Krankheiten an der Jerusalemer Universität durchgeführt. Den Menschen entstellende Krankheiten wie Lepra hätten zu einem gesellschaftlichen Ausschluss geführt. Der Tote war offenbar ein angesehenes Mitglied der Jerusalemer Gesellschaft vor 2.000 Jahren. Das sei an seinem Leichentuch und den sauberen, vor seinem Tod „rituell“ geschorenen und im Grabtuch beigelegten Haaren zu erkennen. Der erstmalige Fund eines an Lepra erkrankten Mannes aus dieser Periode zeige, dass diese in der hellenistischen Periode aus Indien importierte Krankheit im ersten Jahrhundert auch Mitglieder der „hohen Gesellschaft“ infiziert habe.
Lepra häufig in Verbindung mit Tuberkulose
Nach Angaben von Spigelman sei die Erwähnung von „Lepra“ im Alten Testament vermutlich eher mit Psoriasis, einem unheilbaren Hautausschlag, zu identifizieren und nicht mit der damals im Vorderen Orient noch unbekannten Lepra. Die Lepra-Erkrankung des zu Lebzeiten Jesu verstorbenen Mannes habe eine Lücke zur Geschichte der Verbreitung dieser Krankheit im Altertum gefüllt. Typisch sei nach Angaben von Spigelman auch die doppelte Infizierung an Lepra wie an Tuberkulose. Im mittelalterlichen Europa wurde Lepra auf natürlichem Wege ausgemerzt, weil etwa 30 Prozent der Kranken an TBC erkrankten und verstarben, als die Menschen in Europa zunehmend in Städten lebten. Das hätten DNS-Untersuchungen aus dem Altertum und der modernen Zeit in Israel wie in Europa ergeben.
Die Textil-Historikerin Orit Schamir widmete dem ersten Leichentuch aus der Zeit Jesu, das jemals in Jerusalem „in situ“ in einem Grab gefunden wurde, besondere Aufmerksamkeit. Nach Angaben der Universität sei Schamir zum Schluss gekommen, dass das berühmte Turiner Leichentuch mit ziemlicher Gewissheit weder aus der Zeit Jesu noch aus Jerusalem stammen könne. Das bei dem Toten im Höllental gefundene Leichentuch sei ein einfach gewebter Stoff, während das Turiner Leichentuch, in das angeblich Jesus nach der Kreuzigung eingehüllt wurde, aus einem sehr komplizierten Gewebe beschaffen sei. Die Forscher vermuten, dass der Tote im Höllental ein damals „typisches“ Begräbnis erhalten habe. Das lege nahe, dass das Turiner Leichentuch nicht „echt“ sein könne. Der im Grabtuch im Höllental gefundene Haarklumpen sei „einmalig“, weil in Jerusalem wegen der hohen Feuchtigkeit – anders als am Toten Meer – solche organischen Materialien zerfallen seien.