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Leiden und Streit ohne Ende: Holocaustüberlebende in Israel

Für keinen Überlebenden der Schoah hat das Leiden mit dem Zweiten Weltkrieg ein Ende gefunden. Manche Rückkehrer aus den Konzentrationslagern wurden mit Hass in ihrer alten Heimat empfangen. In Polen kam es zu regelrechten Pogromen. In der Tschechoslowakei waren sie von den Nazis als Juden verfolgt worden - Ende der 40er Jahre wurden sie von den Tschechen als "Sudetendeutsche" vertrieben.

So sahen viele nur den Ausweg, nach Eretz Israel, in das damalige Mandatsgebiet Palästina auszuwandern. Doch auf dem Weg dorthin wurden sie von den Briten abgefangen und auf Zypern oder Mauritius interniert. Im Unterschied zu den deutschen KZs waren die britischen keine Vernichtungslager. Als dann im Mai 1948 der Staat Israel gegründet wurde, waren sie zwar willkommen – aber der Kampf ums nackte Überleben, zuerst militärisch und dann wirtschaftlich, war unendlich hart.

Flüchtlinge mit Vorwürfen empfangen

Von „Alt-Israelis“, die in den Jahrzehnten vor dem Holocaust nach Palästina eingewandert oder dort schon geboren worden waren, wurden die Flüchtlinge aus der europäischen Hölle auch nicht bedingungslos mit offenen Armen oder gar als Helden empfangen. „Warum habt Ihr euch widerstandslos in die Gaskammern treiben lassen? Warum habt Ihr nicht wenigstens sechs Millionen Nazis mitgenommen?“, ist ein Vorwurf, der bis heute nicht verstummt ist. Die israelische Mentalität, die sich auf nichts als sich selbst meint verlassen zu können und zu ihrem Recht nur mit hartem Durchsetzungsvermögen kommt, hat kein Verständnis für das stille Leiden, verurteilt dieses manchmal gar als Ausdruck von Schwäche.

Diese Umstände waren nicht dazu angetan, die psychischen Folgen der Vernichtungsstrategie des Dritten Reiches zu bewältigen. Kinder und Enkel von Holocaustüberlebenden müssen mit ihren Eltern und Großeltern und deren Traumata leben. Wenn diese nicht nur in zerbrochenen Persönlichkeiten und Familien, sondern auch in sexuellem Missbrauch münden, tut sich selbst die ansonsten schonungslos selbstkritische israelische Presse schwer, damit umzugehen.

Auch 60 Jahre nach der Gründung des modernen jüdischen Staates sind die schmerzhaften Folgen der nationalsozialistischen Judenverfolgung noch immer greifbar. Wenn man die Zahl der Überlebenden aus Nazikonzentrationslagern in Nordafrika mit einbezieht, leben heute noch ungefähr 430.000 Holocaustüberlebende in Israel. Offiziell gehen israelische Institutionen von 230.000 bis 280.000 israelischen Bürgern aus, die die Schoah überlebt haben.

40 Prozent aller heute noch in Israel lebenden Schoah-Opfer leben unter der Armutsgrenze. In einer Umfrage aus dem Jahr 2005 gaben 25 Prozent der Befragten an, sie müssten sich beim Einkauf zwischen Grundnahrungsmitteln und lebensnotwendigen Medikamenten entscheiden. 20 Prozent beklagten, sie hätten kein Geld, um ihre Kinder anzurufen oder zu besuchen. Und ein Drittel von ihnen kann seine Wohnung im Winter nicht heizen.

Heftige Diskussionen

In den vergangenen Monaten gab es in der israelischen Öffentlichkeit immer wieder heftige Diskussionen darüber, wer für das Schicksal dieser Ärmsten der Armen verantwortlich ist. Dabei hat der Staat Israel nicht etwa nur 60 Jahre lang das Elend der Naziopfer ignoriert. Vielmehr hat das Problem im vergangenen Jahrzehnt eine neue Dimension gewonnen. Ungefähr die Hälfte der Holocaustüberlebenden, die heute in Israel leben, kam erst mit der großen Einwanderungswelle aus der ehemaligen Sowjetunion in den 90er Jahren ins Land. Im Unterschied zu den Menschen, die direkt nach dem Zweiten Weltkrieg nach Israel kamen, haben diese Einwanderer keinerlei Anspruch auf Renten aus europäischen oder israelischen Kassen.

Trotzdem hat sich die Sprecherin der Knesset, Dalia Itzik, Mitte August für ihre Regierung entschuldigt, weil diese die speziellen Bedürfnisse der Holocaustüberlebenden ignoriert habe. „Israel hat Reparationen von Deutschland verlangt“, so Itzik, „aber diese dann nicht in gerechter und logischer Weise den Bedürftigen zukommen lassen.“ Dann fuhr die Parlamentssprecherin fort: „Wir sind hier, um das in Ordnung zu bringen, damit wir den Überlebenden in die Augen sehen können. Im Namen der israelischen Gesellschaft bitten wir um Entschuldigung.“

Einen Tag zuvor hatte sich Premierminister Ehud Olmert mit Vertretern der Holocaustüberlebenden in Israel geeinigt, dass künftig jeder, der ein Nazighetto oder Konzentrationslager überlebt hat und lediglich die staatliche Sozialhilfe bekommt, einen Zuschlag von umgerechnet ca. 220 Euro monatlich erhalten soll. Insgesamt 8.500 Menschen sollen diese Hilfe erhalten. Die Frage, welche Hilfe 85.000 weitere jüdische Menschen, die vor dem Naziregime geflohen sind, aber niemals inhaftiert waren, erhalten sollen, wurde aufgeschoben.

Indes schwelt ein weiterer Streit um das Vermögen von Holocaustopfern, die vor und während des Zweiten Weltkriegs in Palästina investiert hatten. Dieses Vermögen wird auf über 270 Millionen Euro geschätzt und befindet sich unter anderem in den Händen verschiedener israelischer Banken, des Jüdischen Nationalfonds und der israelischen Landverwaltungsbehörde. Organisationen, die Holocaustüberlebende vertreten, wünschen, dass diese Gelder an Überlebende ausgezahlt werden, während Vertreter von Erben der Naziopfer, die auf etwa zwei Millionen geschätzt werden, es als „Chutzpa“ bezeichnen, dass jetzt die Erben von Holocaustopfern für die Überlebenden des Holocaust bezahlen müssen. Als die Regierung Olmert ankündigte, sie wolle ein Budget zur Verfügung stellen, um jedem Holocaustüberlebenden pro Jahr umgerechnet etwa 20 Euro zu zahlen, führte das zu empörten Demonstrationen von Naziopfern.

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