Was Israel durch diesen Krieg erreichen will, ist im Grunde genommen ganz selbstverständlich: Ruhe für den Norden des Landes. Dass in Metulla, Menara, Avivim oder Schetula die Hisbollah auf Sichtweite ihre gelbe Flagge hisste, den Israelis praktisch in den Suppentopf schaute, war vielen unheimlich. Denn die Hisbollah hat sich die Vernichtung des jüdischen Staates Israel auf die Fahne geschrieben und ihr Großsponsor, der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad, forderte dann auch noch offen, „den Schandfleck Israel von der Landkarte zu wischen“.
Seit sechs Jahren wartet Israel darauf, dass der Libanon seinen Verpflichtungen im Rahmen der UNO-Resolution 1559 nachkommt, nämlich der Stationierung seiner Armee auf dem gesamten Territorium der Zedernrepublik und der Entwaffnung aller Milizen. Stattdessen hat die Hisbollah in den vergangenen Jahren den Südlibanon zum militärischen Bollwerk ausgebaut und ein Arsenal von schätzungsweise 13.000 Raketen angesammelt. Fünf Monate nach dem israelischen Rückzug entführte die Hisbollah drei israelische Soldaten und den zwielichtigen israelischen Geschäftsmann Elhanan Tennenbaum. Israel ließ sich auf eine Verhandlungslösung ein und erreichte dadurch, dass Scheich Hassan Nasrallah zum palästinensischen Nationalhelden wurde, weil der Deal mit den israelischen Soldatenleichen Hunderte von Palästinensern befreite.
Spätestens seit der Entführung Tennenbaums, an der dessen arabischer Freund Kais Obeid aus dem arabischen-israelischen Dorf Taibe entscheidend beteiligt war, haben israelische Militärs und Geheimdienstler immer wieder die Verbindung der palästinensisch-sunnitischen Terrororganisationen Hamas, Palästinensischer Islamischer Dschihad und der Al-Aksa-Märtyrer-Brigaden, die aus der Fatah hervorgegangen waren, mit der schiitischen Hisbollah und ihren Sponsoren in Damaskus und Teheran betont. Israelische Militärs und Politiker haben in den vergangenen Jahren kein Hehl aus ihrer Absicht gemacht, die Drahtzieher palästinensischer Anschläge im Libanon, in Syrien und im Iran zur Verantwortung zu ziehen.
Insofern kam die israelische Reaktion auf die höchst professionell durchgeführte Entführungsaktion der Hisbollah am 12. Juli 2006 nur bedingt überraschend. Dass täglich zwischen 100 und 200 Raketen und Granaten auf Nordisrael niedergehen, bestärkt die israelische Führung in der Ansicht, dass eine Rückkehr zum Status quo ante, zum Zustand vor Beginn des Krieges, nicht sein darf. Nicht nur dem Raketenhagel, der eine Million Israelis seit fast einem Monat in den Bunkern hält, muss Einhalt geboten werden. Der Hisbollah muss an sich die Möglichkeit genommen werden, die israelische Bevölkerung zu bedrohen.
Aber wie will die israelische Armee gegen eine arabische Guerillaarmee siegen, die in einem großen Teil der libanesischen Bevölkerung fest verankert ist? Die Hisbollah nährt sich nicht nur durch großzügige Spenden und Waffenlieferungen aus dem Iran, sondern auch durch ein weltweit verzweigtes Wirtschaftsimperium. Die skrupellose Verwendung der libanesischen Zivilbevölkerung als Schutzschild und die ausgeprägte Märtyrerideologie machen die Hisbollah für eine demokratisch kontrollierte Volksarmee praktisch unbesiegbar.
Außerdem muss Israel, um die Abschreckung seiner Armee wiederherzustellen, diesen Krieg zu einem solchen Ende führen, dass die Welt, die Araber, die Palästinenser, die Hisbollah und vor allem auch die israelische Bevölkerung sehen: Israel hat gesiegt. „Lasst Zahal siegen!“ ist ein Slogan, der seit Jahren als Aufkleber und Plakate in der israelischen Öffentlichkeit gegenwärtig ist.
Seit dem Sechstagekrieg im Juni 1967 hat die israelische Armee keinen unbestrittenen Sieg mehr errungen. Der Jom-Kippur-Krieg von 1973 wird in der arabischen Welt als Sieg der Araber gefeiert. Den Feldzug „Frieden für Galiläa“ vom Sommer 1982 beendete die israelische Armee mit einem einseitigen Rückzug im Mai 2000 – eine Niederlage in den Augen der arabischen Nachbarn Israels, die im Oktober desselben Jahres zur Al-Aksa-Intifada führte.
Durch die Palästinenseraufstände – die erste Intifada Ende der 80er Jahre und die Al-Aksa-Intifada – hat Israel den palästinensischen Nachbarn Land abgegeben und dafür nichts als Krieg und mehr Krieg bekommen. Dass die Welle der Selbstmordattentate, die im April 1994 begann und die blutigsten Jahre in der Geschichte des jüdischen Staates verursachte, die Antwort der Palästinenser auf die Abkommen von Oslo seit September 1993 war, spricht eine deutliche Sprache. Den Erfolg der Palästinenser schließlich unterstreicht im Rückblick die Tatsache, dass Anfang der 90er Jahre die Stimmen gegen die Gründung eines Palästinenserstaates innerhalb der israelischen Gesellschaft noch allgegenwärtig waren, heute ein Palästinenserstaat jedoch als unumgänglich praktisch von allen Seiten akzeptiert ist.
Der Haken an einem überwältigenden Sieg Israels ist allerdings, dass ein Sieg der israelischen Armee noch nie zu einem Friedensabkommen geführt hat. Dass der Jom-Kippur-Krieg in der arabischen Welt als Sieg über Israel verkauft werden konnte, war der Grund dafür, dass Ende desselben Jahrzehnts Anwar el-Sadat erhobenen Hauptes nach Jerusalem kommen und den Durchbruch in den arabisch-israelischen Beziehungen wagen konnte.
Genau das ist die Zwickmühle, in der sich Israel heute befindet. Um arabischen Extremisten jede Lust auf weitere Angriffe zu nehmen, ist ein überragender Sieg unumgänglich. Frieden und Sicherheit sind aber letztendlich nur durch Gespräche und diplomatische Abkommen zu erreichen. Zu einem Abkommen mit Israel ist aber nur ein arabischer Führer in der Lage, der seinem Gegner stolz begegnen kann, und dessen Ehre nicht zuvor in Grund und Boden gebombt wurde. Das gebietet der Ehrenkodex in der arabischen Welt, der bis in die Gegenwart hinein dem persönlichen Ansehen mehr Gewicht verleiht, als menschlichem Leben.