„Frau Merkel, Sie gratulieren dem palästinensischen Volk und bedrohen es mit dem Hungertod!“ Wütend macht der Journalist seiner Seele Luft und bringt auf den Punkt, was die Fan-Gemeinde der palästinensischen Sache nach dem 24-Stunden-Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel in Israel und der Palästinensischen Autonomie bedrücken muss: Werden Sanktionen gegen die Hamas nicht das palästinensische Volk bestrafen? – Doch die deutsche Regierungschefin hatte bereits den Raum verlassen und sich auf den Heimweg begeben.
„Ich pflege meine Meinung nicht von einem Tag auf den anderen zu ändern“, enttäuschte die Kanzlerin Journalistenhoffnungen, diplomatische Überlegungen würden sie dazu bewegen, in Ramallah mit Palästinenserpräsident Mahmud Abbas anders aufzutreten als am Abend zuvor in Jerusalem mit dem israelischen Vizepremier Ehud Olmert. Doch Merkel sprach bei Israelis wie Palästinensern in derselben Tonart und vermittelte ihre Botschaft unmissverständlich: Eine Zusammenarbeit mit einer Hamas-geführten Palästinensischen Autonomiebehörde wird es aus deutscher Sicht nur geben, wenn die Hamas eindeutig das Existenzrecht Israels anerkennt, sich unmissverständlich von der Gewalt verabschiedet und die bereits erreichten Schritte im Friedensprozess akzeptiert.
Angela Merkel möchte den Friedensprozess vorantreiben, den Palästinensern auf dem Weg zu einem eigenen Staat helfen und ihnen eine wirtschaftliche Perspektive eröffnen. Aber die deutsche Unterstützung der Palästinenser ist nicht bedingungslos. Immer wieder spricht die Bundeskanzlerin von dem Fundament, den Werten und Prinzipien, die ihre Politik bestimmen und scheut sich nicht, die Bewegung, die von der palästinensischen Wählerschaft mit überwältigender Mehrheit in das Parlament gewählt wurde, als Terrororganisation zu bezeichnen.
In Jerusalem hätte die Atmosphäre kaum wärmer sein können. Der Arm des israelischen Regierungschefs um die Schulter seiner deutschen Kollegin zum Abschluss der Pressekonferenz berührte schon fast die Grenze der Nähe, die höchste Volksvertreter in aller Öffentlichkeit zeigen dürfen. Vollkommene Übereinstimmung demonstrierten Gastgeber Olmert und Blitzbesucherin Merkel nicht nur gegenüber der Hamas, sondern auch in der Iranfrage und im Blick auf die deutsch-israelischen Beziehungen. Ein Novum bei deutschen Bundeskanzlerbesuchen in Israel war der Verweis Merkels darauf, dass sie bis zu ihrem 35. Lebensjahr in dem Teil Deutschlands gelebt hat, der keine diplomatischen Beziehungen zum Staat Israel unterhielt, den Staat Israel nicht anerkannte und sich so der historischen Verantwortung gegenüber dem jüdischen Volk entzog.
In Ramallah dagegen kam es keine 24 Stunden später mit Palästinenserpräsident Abbas kaum zu einem öffentlichen Händedruck. Offensichtlich in die Enge gedrängt benötigte „Abu Masen“ mehrere Anläufe, um sich für die deutsche Unterstützung, „politisch und finanziell“, „direkt und indirekt“, und die „wichtigen Gespräche in freundschaftlicher Atmosphäre“ „über Themen, die für Deutsche und Palästinenser interessant sind“ zu bedanken, bevor er auf die altbekannten Politfloskeln der vergangenen Jahre zurückgriff.
Angela Merkel hat zweifellos den Ton gefunden, den die Islamisten des Nahen Ostens verstehen. Geschickt hat sie eine klare Antwort auf die immer wieder hervorgezerrte Mitleidsschiene vermieden und dadurch indirekt klar gemacht, dass die palästinensische Wählerschaft zu ihrer Entscheidung für die Hamas stehen muss. Abzuwarten bleibt, inwieweit sie ihre Position im Kreis der Europäischen Union durchsetzen kann, inwieweit das Fundament, die Werte und Prinzipien der ersten deutschen Kanzlerin prägend in der europäischen Staatengemeinschaft Widerhall finden und ob den Worten jetzt auch Taten folgen.