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Kommentar: Koscher lügen

"Der Iran ist hier" steht auf den blauen Stahltüren am alten Bahnhof in der deutschen Kolonie in Jerusalem. Ein paar Meter daneben hat eine Sprühschablone im selben Stil die Worte "Nürnberger Gesetze 2011" hinterlassen. Hintergrund dieser Graffiti ist die seit Jahren schwelende Auseinandersetzung zwischen religiösen und säkularen Teilen der israelischen Gesellschaft.

Säkulare befürchten ein Diktat orthodoxer Maßstäbe im Blick auf Kleidung, Geschlechtertrennung, Sabbatruhe und Pressefreiheit – um nur einige strittige Bereiche zu nennen. Das Schreckgespenst, das sie für ihre propagandistischen Zwecke an die Wand malen, ist ein theokratischer Mullahstaat, der jede Freiheit im Keim erstickt. Religiöse Israelis haben Angst vor einer Bevormundung durch den säkularen Staat und eine Überschwemmung durch weltliche Einflüsse, die zur Verwässerung der eigenen strikt gelebten Lebensweise führen könnten. Deshalb prangern Plakate im ultraorthodoxen Jerusalemer Viertel Mea Schearim den "Zionismus als Holocaust des jüdischen Volkes" an, fordern: "Zionisten und ihre Kollaborateure raus!" und eine "Abschaffung des gotteslästerlichen Staates".

Wenn man Hebräisch und Jiddisch und den entsprechenden wirren Mischmasch aus beiden und mehr Sprachen entziffern kann, sind die "Paschkawilim" – wie die Wandzeitungen im ultraorthodoxen Jerusalemer Viertel Mea Schearim heißen – eine wahre Fundgrube. Ein Fenster in die Denkweise unter den schwarzbehüteten Köpfen tut sich auf. Hemmungslos wird das gesamte Arsenal der Antisemitismusvorwürfe gegen das säkulare Israel angewandt, von mittelalterlichen Ritualmordlügen bis hin zur nationalsozialistischen Judenvernichtung.

Geschlechtertrennung verboten

Um die Fakten klar beim Namen zu nennen: In Israel ist die Geschlechtertrennung im öffentlichen Raum verboten. Aufkleber in Jerusalemer Buslinien mahnen die Einhaltung dieses Verbots an. Im Gegensatz zur Bundesrepublik Deutschland gibt es in Israel keinen gesetzlichen Feiertag und aus Lebensbereichen, die religiös bestimmt sind, wie etwa Eheschließungen oder Beerdigungen, hält sich der Staat strikt heraus.

Ein paar Tage bevor ich die Aufnahmen von den Graffiti an Jerusalems altem Bahnhof machte, hatten jüdische Extremisten an eine Wand im alten muslimischen Friedhof von Mamilla geschmiert: "Nur ein toter Araber ist ein guter Araber". Innerhalb weniger Stunden reinigten Mitarbeiter der Stadtverwaltung die Kalksteinwand in Mamilla mit Sandstrahl. Die Aussage, "Der Iran ist hier", ziert aber noch Tage später den alten deutschen Bahnhof Jerusalems. Dabei ist der Satz vom Friedhof eigentlich lediglich eine Meinungsäußerung – die ich als gefährliche Hetze betrachte! -, und der Sandstrahl der Stadtverwaltung hat streng genommen der Freiheit auf Meinungsäußerung Grenzen gesetzt, während der Vergleich mit dem Iran oder Nazideutschland schlicht die Unwahrheit ist.

Für den Fall, dass dies nicht klar sein sollte, sei betont: In Israel wird niemand hingerichtet, weil er die Ehe gebrochen, eine Demonstration gefilmt oder einen wie auch immer gearteten ideellen "Krieg gegen Gott" initiiert hat – alles Gründe, um im Iran zum Tode verurteilt zu werden. Wir haben hier in Israel eine größere Freiheit zur Äußerung unserer Meinung, als in Deutschland. Auch gibt es in Israel keine Gesetzgebung, die jemanden – vergleichbar mit den Nürnberger Gesetzen von 1935 – aufgrund seiner Abstammung oder rassischen Zugehörigkeit diskriminieren würde.

Unangebrachte Vergleiche

Die Vergleiche des modernen jüdischen Staates Israel mit dem nationalsozialistischen Deutschland, dem Mullahregime in Teheran oder dem Apartheidsystem Südafrikas sind falsch, unwahr und – falls wider besseres Wissen und mit propagandistischer Absicht verbreitet! – gelogen. Dass diese und viele andere Unwahrheiten von Menschen jüdischen Glaubens oder jüdischer Abstammung verbreitet werden, macht sie noch lange nicht wahr. Vielmehr belegen diese schamlos übertriebenen Aussagen von Juden über ihre eigene Gesellschaft und ihren eigenen Staat, dass uns keine Wahl bleibt, als den alten Ratschlag des Juden Saul aus Tarsus zu beherzigen: "Prüft aber alles und das Gute behaltet" (1. Thessalonicher 5,21).

Vielleicht sollten wir uns aber auch zuerst an die eigene Nase fassen und fragen, warum Juden, die sich kritisch über ihr eigenes Volk äußern, in nichtjüdischen Kreisen ein so übertriebenes Maß an Glaubwürdigkeit besitzen. Warum haben Behauptungen von ethnischen Säuberungen Israels, angeblichen Gräueltaten von israelischen Soldaten – oder noch besser "Siedlern"! – und deren rassistischen Absichten eine Qualität, die man nur als sakrosankt bezeichnen kann, wenn sie aus jüdischem Mund stammen? Und schließlich: Werden Lügen über Juden tatsächlich koscher, wenn sie von Juden geäußert werden?

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