Bekanntlich ist Wohnungsnot in Israel ein zentrales Thema. Ashton störte es, dass die geplanten 1.100 neuen Wohnungen in Ostjerusalem entstehen sollen. Jerusalem befindet sich in einem weitgehenden Konsens der israelischen Gesellschaft, so auch die Wohnviertel jenseits der „Grünen Linie“ in Ostjerusalem. In ihnen leben etwa 300.000 Menschen.
Israel macht keinen Hehl aus seinen Bauplänen. Sie werden öffentlich angekündigt vor der Planung, vor der Ausschreibung und bei Baubeginn. So bietet sich für Frau Ashton die Gelegenheit, ein und dasselbe Projekt mehrmals zu verurteilen. Ashton lässt keine Gelegenheit aus, Israel daran zu erinnern, dass „Siedlungen“ nach internationalem Völkerrecht illegal seien. Dabei beruft sich die internationale Gemeinschaft auf den 49. Artikel der Genfer Konvention. Die verbietet einem Besatzerstaat, seine Bevölkerung in besetztes Gebiet zu „deportieren“ oder zwangsweise umzusiedeln („transfer“ im englischen Wortlaut). Bis heute hat sich allerdings noch kein Siedler gemeldet, nach Ostjerusalem oder in eine Siedlung im Westjordanland „deportiert“ worden zu sein.
Falls es Ashton wirklich nur um die Erfüllung dieses Völkerrechts geht, können die Europäer beruhigt sein, dass derartige Verbrechen nur von Israel verübt werden. Denn besetzte Gebiete gibt es viele, von Tibet über Kaschmir bis Nordzypern und Nordafrika. Offenbar hat sich kein Chinese in Tibet niedergelassen. Gewiss ist auch kein Türke nach Nordzypern umgezogen.
Diplomatischer Schnitzer
Ashton hat sich in ihrer offiziellen „Nötigung“ sogar einen peinlichen diplomatischen Schnitzer geleistet. Sie erwähnt „pre-1967 borders“; also „Grenzen vor 1967“. Doch jeder Nahostkenner weiß, dass es vor 1967 nur Waffenstillstandslinien und keine anerkannten Staatsgrenzen gab.
Normalerweise protestieren Regierungen gegen offizielle Beschlüsse fremder Staaten. Erstaunlicherweise fühlte sich die Hohe Kommissarin der europäischen Außenpolitik, also im Prinzip die Außenministerin der EU, sogar durch einen Fernsehbericht über ein „seit vielen Jahren geplantes Bauprojekt“ genötigt. Ein israelischer Regierungssprecher sagte einmal: „Wenn wir auf jeden Zeitungsbericht reagieren müssten, hätten wir bald nichts anderes mehr zu tun.“ Ashton scheint viel Zeit und Muße zu haben.
Die genötigte Ashton erwähnte die israelischen Verpflichtungen gemäß der „Roadmap“ aus dem Jahr 2003, jenem „Ergebnisorientierten Fahrplan für eine dauerhafte Zwei-Staaten-Regelung zur Beilegung des israelisch-palästinensischen Konflikts des Quartetts (EU, USA, Russische Förderation und die UN)“. Mit vielen Paragraphen werden da erst mal die Palästinenser in die Pflicht genommen. Fast nichts wurde erfüllt. Ohnehin ist der vorgegebene Zeitplan seit einem Jahrzehnt überfällig. Im Vergleich dazu ist die Deutsche Bahn vorbildlich pünktlich.
Laut Ashton werde die internationale Gemeinschaft keine „unilaterale Aktionen“ einer der Parteien anerkennen, die den Ausgang von Verhandlungen präjudizieren könnten. Eine krasse „einseitige Aktion“ zwecks Umgehung von Verhandlungen war zum Beispiel der palästinensische Vorstoß, in der UNO als Beobachterstaat anerkannt zu werden. Genauso zählen laut „Roadmap“ palästinensische Terrorattacken zu jenen abgelehnten „unilateralen Aktionen“. Aber darüber erfährt Ashton wohl nur selten aus dem Fernsehen.
Da es sonst in der Welt und schon gar nicht im Nahen Osten erkennbare Verletzungen von Völkerrecht gibt, weder in Syrien noch im Libanon oder auf Zypern, hat Ashton offenbar viel Freizeit, sich durch israelische Fernsehberichte „genötigt zu fühlen“.
Ermutigung für palästinensischen Unterhändler
Aber vielleicht wollte sie den Palästinensern auch nur Schützenhilfe leisten. Denn dank Ashtons Empörung fühlte sich der palästinensische Verhandlungschef Saeb Erekat ermutigt, eine Erneuerung der seit vier Jahren ohnehin ruhenden Friedensverhandlungen für „unmöglich“ zu halten. Damit fallen freilich die Palästinenser mit Ashtons Hilfe dem amerikanischen Außenminister John Kerry in den Rücken. In jüngster Zeit ist der mehrmals in den Nahen Osten gereist, um Israelis und Palästinenser wieder an den Verhandlungstisch zu drängen. Am Samstag hat Kerry laut Medienberichten deswegen sogar zwei Mal mit dem palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas telefoniert.