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Schwindet Israels Image als Innovationsschmiede?

Israel hat viele bahnbrechende Innovationen vorzuweisen. Inzwischen sind Warnungen zu vernehmen: Andere Länder ringen Israel das Image als einzigartige Jungunternehmer-Nation mit beispielloser Ideen-Aufgeschlossenheit ab. Deshalb sollte sich die israelische Ideenschmiede schleunigst Gedanken über die eigene Neuerfindung machen. Eine Analyse von Antje C. Naujoks, Be'er Scheva
Tel Aviv gilt international als der wichtigste Startup-Standort außerhalb der USA

Die nichtprofitorientierte Organisation „Vibe Israel“ möchte dazu beitragen, dass Menschen in aller Welt positiv über Israel denken. Der Organisation geht es vor allem um das Israel-Bild der jungen Generation, der Erwachsenen von Morgen. Daher befasst sich „Vibe Israel“ intensiv mit der Frage, welche Reputation Israel als Land genießt. Geht es um das Image eines Landes, sind vielseitige Aspekte relevant, auch die Wirtschaft. Gerade in dieser Hinsicht wurde Israel im Ausland auch noch längere Zeit nach der Staatsgründung mit Jaffa-Orangen assoziiert.

Als Israel Mangel- und Entwicklungswirtschaft überwunden und nach fast vier Jahrzehnten den Integrationssprung in die Weltwirtschaft gemeistert hatte, wandelte sich auch das. Nachfolgend assoziierte die Welt Israels Wirtschaft zunächst mit der in den 1980er Jahren aufkommenden Computertechnologie. Bis heute sind noch etliche andere Sektoren der Hochtechnologie hinzugekommen.

Israelische Jungunternehmer: Risikobereit und experimentierfreudig

Langsam aber sicher wurde in Israel der Sektor der Hochtechnologie wirtschaftlich tonangebend. Aufgrund mehrerer zusammenwirkender Faktoren etablierte sich schon vor vielen Jahren eine ganz besondere Kultur, die auch der Gründung von risikobereiten und experimentierfreudigen Jungunternehmen Vorschub leistete. Sie schossen wie Pilze nach dem Regen aus dem Boden. Das brachte dem Land das Image als „Start-up-Nation“ ein, das weitaus mehr als ein ausschließlich ökonomisches Aushängeschild ist. Seit rund 15 Jahren hegt und pflegt Israel dieses Image als dynamische, ideen- und innovationsfreudige Jungunternehmernation. Nach wie vor machen israelische Unternehmen international Schlagzeilen, weil sie ungewöhnliche Ideen aufwerfen, abwegige Lösungen ausklügeln und etwa revolutionäre Dinge erfinden, die vielfach andere Unternehmen in die angewandte Forschung tragen und kommerzialisieren. Auch die aufsehenerregenden Firmenverkäufe zu schwindelerregenden Summen sind immer wieder Meldungen wert.

Trotzdem war „Vibe Israel“ davon überzeugt, dass das Land aufwachen sollte. Das schnelllebige Israel sollte eine Runde innehalten, um sich zu fragen, ob seine vielgepriesene „nationale Handelsmarke“ tatsächlich noch relevant ist.

Um dies näher zu ergründen, beauftragte die gemeinnützige Organisation eine Expertenfirma mit einer Großumfrage. Das 2003 im spanischen Madrid gegründete, längst jedoch international aktive Beratungsunternehmen „Bloom Consulting“ widmet sich unter anderen Image-Fragen von Staaten. Um zu ermitteln, wie es um Israels Innovations-Weltruf wirklich steht, wurden die Leitungsspitzen von 3.000 führenden Unternehmen befragt, die gemeinsam zehn für Israel relevante Zielmärkte repräsentieren. Dabei berücksichtigte „Bloom Consulting“ Ergebnisse von Interviews mit israelischen Unternehmern wie auch mit Regierungsrepräsentanten relevanter Ministerien des Landes. Der gegenwärtige „Wert der Wirtschaftsmarke Israel“ wurde mit den USA, Großbritannien, Finnland, Singapur, Südkorea und Estland verglichen.

Besonders gefragt: Cybertechnologie aus Israel

Unterm Strich lässt sich zusammenfassen: Andere Länder dürfen sich mit Fug und Recht „Start-up-Nation“ nennen. Teilweise übertrumpfen sie Israel sogar. Während in Israel die Jungunternehmerlandschaft bereits seit vier Jahren kaum mehr wächst, verzeichnen Länder wie Südkorea in diesem Bereich eine Wachstumsrate von 30 Prozent. Estland bringt es sogar auf stolze 71 Prozent. Somit darf nicht verwundern, dass die überwältigende Mehrheit der befragten Unternehmer Israel nicht mehr par excellence mit dem Terminus „Jungunternehmernation“ in Verbindung bringt.

Rund Dreiviertel der befragten international agierenden Unternehmer und Investoren gaben dennoch an, Israels Hochtechnologie große Wertschätzung und viel Vertrauen entgegenzubringen. Deshalb würden sie auch nicht zögern, mit Israel Geschäfte zu machen. Sollte das Land im Vergleich zu seinen Konkurrenten jedoch stagnieren, würden sie sich selbstverständlich anders orientieren. Israelische Produkte blieben in einem solchen Fall nur dann noch attraktiv, wenn sie kostengünstiger als die der nicht-israelischen Konkurrenten wären. Ein Bereich der israelischen Hochtechnologie ist von diesen Aussagen nicht betroffen: Für Produkte oder Dienstleistungen des Bereiches Cyber-Sicherheit würden die befragten Unternehmer im Durchschnitt nicht nur mehr, sondern sogar bedeutend mehr hinblättern.

Nahostkonflikt spielt für viele Unternehmen keine Rolle

Die Studie deckte weitere Aspekte auf, die für Israels Image als Technologie-Innovations-Hochburg wenig schmeichelhaft sind. Wenn auch beruhigend ist, dass Sicherheitsbedenken, der israelisch-palästinensische Konflikt oder die Israel-Boykott-Bewegung BDS so gut wie keine oder gar keine Rolle beim Blick von Unternehmern wie Investoren nach Israel spielen, so nimmt die Welt viele Firmen von Israels Hochtechnologiebranche überhaupt nicht als israelisch wahr. Dazu sagte die „Vibe Israel“-Gründerin Joanna Landau, die 2013 von dem US-amerikanischen Wirtschaftsmagazin „Forbes“ zu einer der einflussreichsten Frauen des Landes erklärt wurde: „Israel ist wie ein weißes Etikett. Wir kreieren Technologien für multinationale Konzerne, bekommen dafür aber nicht die Anerkennung.“

„Vibe Israel“ deckte im Zuge der in Auftrag gegebenen Studie noch einen weiteren bedeutsamen Aspekt auf. Zwar hat Israel sowohl die Digitalisierung als auch das Internet maßgeblich mitgeprägt. Aber ausgerechnet dieses Land wartet mit wenigen Treffern auf, wenn man das Internet nach Schlüsselbegriffen wie „Firmengründung“, „Unternehmenssteuer“ und „Investitionen“ in Kombination mit dem Schlagwort „Israel“ durchforstet. Auch hier scheint rund um Israel alles zu stagnieren. Des Weiteren hielten die Experten von „Bloom Consulting“ in ihrem Abschlussbericht fest: Die Internetsuche technologischer Termini in Verbindung mit Finnland, Südkorea und Estland bringe hohe Trefferquoten, die alleine in den letzten vier Jahren zwischen 26 und 54 Prozent zunahmen. Daher dürfe nicht verwundern, dass „Bloom Consulting“ die Empfehlung aussprach, „Israel sollte seine Botschaften und deren Relevanz dringend neu bewerten“.

Nichts an Relevanz verloren

Doch dem unterliegt auch eine gute Nachricht: Israel als innovatives Land, dessen Entwicklungen nicht nur der eigenen Wirtschaft, sondern der gesamten Welt viel Gutes bringen, hat nicht an Relevanz verloren. Im Gegenteil, wie keineswegs nur der Sektor der Cyber-Sicherheit unterstreicht. Zu benennen sind unter anderem die unzähligen bahnbrechenden Forschungen der Biotechnologie wie auch der sogenannten Sauberen Technologien. Doch zu erwähnen sind ebenfalls die israelischen Innovationen rund um das moderne Auto – dies umso mehr angesichts der Tatsache, dass Israel nie über eine eigene Automobilindustrie verfügte. Außerdem machen sich medizinische und medizintechnische Innovationen aus Israel einen zunehmend guten Namen.

In Anbetracht der Covid-19-Pandemie erlebt gerade auch dieser Sektor einen enormen Schub nach vorne. Auch „Vibe Israel“ sieht nicht nur die Versäumnisse, sondern die Chancen, die sich dem Land bieten. Gerade auch an den Privatsektor richtet die gemeinnützige Organisation daher den Aufruf: „Sagt laut und deutlich, dass ihr israelisch seid, erzählt eure Geschichte und besonders wichtig: investiert in die Erarbeitung eines Markenzeichens, jetzt und sofort, denn eure Konkurrenz schläft nicht.“

Dabei sollte es nicht nur um die Produkte und die Firmen als solche gehen. Vor allem die israelischen Besonderheiten sollten hervorgehoben werden. Diesen der Wiedererfindung der israelischen Ideenschmiede zuträglichen Erzählstrang sollte laut Empfehlung von „Bloom Consulting“ auch der Staat Israel übernehmen, der immerhin maßgeblich in Forschung und Entwicklung investiert und diesbezüglich an weltweiter Spitze steht.

Das Quäntchen Unverfrorenheit

Es geht hier, wie eingangs angedeutet, auch um das Quäntchen Unverfrorenheit, das Israelis einbringen, wenn sie ein Ziel verfolgen. Zum Tragen kommt in Israel durchweg Risikobereitschaft gekoppelt mit der Fähigkeit, Lösungen nicht nur zu suchen, sondern zu finden, wenn andere längst aufgegeben haben. Israel bietet zudem eine außergewöhnliche Kultur der weichen Hierarchie- und Autoritätsstrukturen, in der ausgerechnet Misserfolge positiv gewertet werden. Ein gestrauchelter Unternehmer gilt nicht zwangsläufig als Verlierer, schließlich hat er jede Menge Erfahrungen gesammelt.

In Israel wird nicht der Absturz eines Erfinders mit seinem gerade erst gegründeten Unternehmen wahrgenommen, sondern beobachtet, wie er wieder auf die Beine kommt und weitermacht. Diese und andere Aspekte sind in Israel mit einer dynamischen Investitionslandschaft gekoppelt, die ausländische Geldgeber anzieht und Regierungsförderungen selbst bei den verrücktesten Ideen in Aussicht stellt. Das trägt dazu bei, dass Israel als „Start-up-Nation“ zwar Konkurrenz bekommen haben mag, aber keineswegs irrelevant geworden ist.

Der Staat wie auch die Unternehmen müssen allerdings aus ihrem Dornröschenschlaf aufwachen. Sie müssen endlich nicht nur bei der Entwicklung ihrer Innovationen über den Tellerrand blicken, sondern ebenso unkonventionell denken, wenn es um das frühzeitige Finden von Markennamen und Handelszeichen geht. Diese weisen die Produkte als genauso einzigartig aus, wie die Menschen, die sie entwickelt haben, und die Kultur, die ihre Innovation begünstigt hat, ihresgleichen suchen.

Ultra-Orthodoxe und Beduinen im Hightechbereich

Dass Israel die Fähigkeit besitzt, Innovationen zu innovieren, veranschaulicht unter anderen der Erfolg der beduinisch-muslimischen wie auch der ultra-orthodoxen Gemeinschaft im Sektor der Hochtechnologie. Dass an der einsamen Spitze einer der führenden Cloud-Sicherheitsfirmen Israels eine ultra-orthodoxe Jüdin steht, ist ebenso wenig Zufall wie die vielen beduinischen Jungunternehmer, die sich in diversen Technologiebereichen tummeln, obwohl nicht wenige von ihnen noch in Zelten zur Welt kamen und Eltern haben, die Analphabeten sind.

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