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Ein merkwürdiger Kontrapunkt

In einem Seminar wirbt der Nordkirchen-Bischof Abromeit für einen binationalen Staat als Friedenslösung für Nahost. Wer sich den Text näher anschaut, stößt auf Einseitigkeiten und Lücken in der Darstellung des israelisch-palästinensischen Konflikts. Eine Analyse von Daniel Frick
Bischof Abromeit sorgte mit seinen Thesen zum israelisch-palästinensischen Konflikt für Diskussionen

Die Jahreskonferenz der Deutschen Evangelischen Allianz im beschaulichen Bad Blankenburg läuft in der Regel ohne größeres mediales Aufsehen ab. In diesem Jahr schaffte sie es aber sogar in die „Bild“-Zeitung. Anlass war ein Vortrag von Hans-Jürgen Abromeit. Am 1. August hielt der inzwischen in den Ruhestand verabschiedete Greifswalder Bischof ein Seminar zu dem Thema „Zwei Völker – ein Land. Eine biblische Vision für Frieden zwischen Israel und Palästina“ – und provozierte damit Widerspruch.

Über das Gesagte hatte zunächst die christliche Nachrichtenagentur „idea“ berichtet. Die „Bild“-Zeitung sprach darauf aufbauend am 5. August von einer „Anti-Israel-Rede“. Der Grundgedanke dabei: Indem Abromeit für einen binationalen Staat als Friedenslösung warb, redete er der Abschaffung des jüdischen Staates Israel das Wort. Der Grünen-Politiker Volker Beck, vor Jahren Vorsitzender der Israel-Gruppe im Bundestag, stufte die Aussagen Abromeits zudem als „theologisch wirres Zeug“ ein. Unter anderem warf er ihm auf Twitter vor, sich in die Tradition der kirchlichen Enterbungslehre einzureihen. Und die Nord­kirche distanzierte sich gar von den Aussagen, indem sie diese zur „Privatmeinung“ des Bischofs erklärte.

Vortrag in bestimmter Absicht

Tatsächlich sind beim aufmerksamen Lesen des Redemanuskripts Lücken und Falschbehauptungen in der Darstellung des Konfliktes erkennbar – und zwar gerade dann, wenn es um Israel geht. Damit entsteht der Eindruck, dass es Abromeit, der auch Vorsitzender des kirchlichen Jerusalemvereins ist, darum gegangen ist, den Zionismus – und damit auch Israel als jüdischen Staat – in ein schlechtes Licht zu rücken.

Dass dieser Eindruck nicht weit hergeholt ist, zeigen auch die widersprüchlichen Äußerungen Abromeits. Im Vortrag selbst sagte er einleitend, ihm gehe es um einen „möglichst neutralen Standpunkt“. Die Hörer sollen also davon ausgehen: Hier spricht ein neutraler Beobachter, der alle Seiten berücksichtigt, um die Ursprünge des Konfliktes zu erklären. Im Interview der „Zeit“-Beilage „Christ & Welt“ vom 5. September hört sich das dann aber anders an: Dort sagte Abromeit zunächst, seine Thesen seien bei den Besuchern der Allianzkonferenz „keinesfalls Mehrheitsmeinung“. Zum Beispiel begründe die Gruppe der Sächsischen Israelfreunde mit der Verheißung Gottes an Abraham „die Vertreibung der Palästinenser“. Er habe „einen Kontrapunkt setzen“ wollen, beschreibt Abromeit die Absicht seines Vortrages.

Auffällige Auslassungen

Nun ist es legitim, auch einmal „Kontrapunkte“ zu setzen. Festzuhalten ist aber, dass Abromeit dies im Vortrag so nicht kenntlich machte und stattdessen seinen Hörern Neutralität versprach. Darüber hinaus können sich die Sächsischen Israelfreunde in der Aussage nicht wiederfinden. Geschäftsführer Wilfried Gotter betonte gegenüber Israelnetz, Vertreibung niemals gerechtfertigt zu haben. „Wir stehen auf dem Standpunkt, dass Juden und Nicht-Juden in Frieden miteinander leben müssen. Das ist die Ausrichtung der Bibel.“ Der Vorsitzende Lothar Klein spricht von einer „bösen Unterstellung“: „Wenn Abromeit aus der biblischen Landverheißung an Israel fälschlicherweise die Vertreibung der Palästinenser herleitet, zeugt es obendrein von schlechtem Stil, uns seine eigenen falschen Schlüsse in den Mund zu legen.“

Die genannte Absicht, einen Kontrapunkt zu setzen, liefert jedenfalls eine Erklärung dafür, wie es zu den Lücken in dem Vortrag kommt, wenn es um Israel geht. An einer Stelle spricht Abromeit etwa von der „Abriegelung“ des Gazastreifens; diese verhindere den Aufbau einer palästinensischen Zivilgesellschaft. Mit keinem Wort erwähnt er hierbei die Rolle Ägyptens, den Terror der Hamas oder den Umstand, dass Israel durch die Kontrolle des Personen- und Warenverkehrs genau diesen Terror unterbinden möchte. Wer diesen Hintergrund nicht kennt, muss zur Auffassung kommen, Israel sei ein böswilliger Akteur, der die Bewohner des Gazastreifens grundlos drangsaliert.

Erst auf Nachfrage betont Abromeit, dass ein Beschuss israelischer Wohngebiete aus dem Gazastreifen durch nichts zu rechtfertigen sei, „auch nicht durch die Abriegelung des Gazastreifens“ – so als ob die „Abriegelung“ die Ursache des Terrors wäre. Im Übrigen habe er „immer gesagt, dass die Probleme von beiden Seiten, von der israelischen und der palästinensischen Seite, herrühren“.

Historische Ungenauigkeiten

Dass dies so nicht stimmt, zeigt das Beispiel des Gazastreifens. Auslassungen dieser Art sind aber nicht das einzige Mittel, dessen sich Abromeit bedient, um einen Kontrapunkt zu setzen. Dazu gesellen sich Behauptungen, die nicht den Tatsachen entsprechen – etwa dann, wenn er Zionisten den Spruch „Ein Land ohne Volk für ein Volk ohne Land“ in den Mund legt. Für Abromeit ist diese Auffassung einer der „Geburtsfehler“ des Zionismus. Nur haben sich die Zionisten diesen Spruch nie auf die Fahnen geschrieben. Er stammt vielmehr von britischen Theologen, ursprünglich vermutlich vom freikirchlichen Prediger Alexander Keith (1781–1880). Zionisten rechneten fest mit dem Zusammenleben mit anderen Volksgruppen – das ist in der Balfour-Erklärung ebenso ersichtlich wie später in der Unabhängigkeitserklärung.

Durch die Behauptung gelingt es Abromeit, den Zionismus mit seiner Ausrichtung auf den jüdischen Staat als etwas darzustellen, das dem Wesen nach ungerecht ist. Hinzu kommt, dass er eine Begrifflichkeit verwendet, die die Deutung zulässt, der Zionismus sei eine völkische Bewegung: Erst sagt er, das Ziel des Zionismus sei es gewesen, „homogene Siedlungsgebiete“ zu schaffen. Später erklärt er, völkische Bewegungen seien mit dem Ziel von „ethnisch homogenen Siedlungsgebieten“ und einer „monoethnischen Nation“ aufgetreten. Das Mittel der Wahl sei dabei häufig die „ethnische Säuberung“ gewesen – genau diese „ethnische Säuberung“ wirft Abromeit auch Israel vor.

Spachliche Anspielungen

Hinzu kommt, dass er dieses Denken auch in der Bibel angelegt sieht, genauer im 5. Buch Mose. Die dort vertretene Weltsicht bringt er mit „Ein Gott, ein Volk, ein Land“ auf den Punkt. Das erinnert an die Parole „Ein Volk, ein Reich, ein Glauben“, der sich Christen verschrieben haben, die der Nazi-Ideologie zugewandt waren. Das 5. Buch Mose lässt sich so aber nicht zusammenfassen. Passagen, die von der Ausrottung der Völker im Land Kanaan sprechen, sind sicherlich schwierig und sollten auch nicht weggeglättet werden. Festzuhalten ist aber, dass hierbei das Kriterium der Ungehorsam gegen Gott ist und nicht völkischer Dünkel; die Androhung der Ausrottung gilt bei Ungehorsam ebenso für Israel.

Diese Deutung seiner Aussagen weist der Bischof zurück. Andererseits sorgte er im Vortrag auch nicht für die notwendige begriffliche Klarheit, um solchen Vorwürfen zuvorzukommen. Er selbst spricht lieber von „Nationalismus“ – wohl in dem Glauben, dies mache es besser. In Europa ist inzwischen eine Denkweise verbreitet, die alles als „Nationalismus“ diffamiert, was mit dem Eintreten für eine Nation zusammenhängt. Wenn er nun dieses Denken auf Israel überträgt, ist das nicht nur unpassend, es lässt auch Sensibilität vermissen: Das Eintreten für Israel als Nation bedeutet für dessen Bewohner in einer prinzipiell feindlich gesinnten Umgebung schlicht auch Überleben.

Was die „ethnischen Säuberungen“ anbelangt, zieht Abromeit als Gewährsmann Ilan Pappe heran. Dass der Historiker durchaus umstritten ist, ist Abromeit im Vortrag keine Erwähnung wert. Selbst im Kreis der Neuen Historiker, die die Staatsgründung Israels kritischer in den Blick genommen haben als ihre Vorgänger, ist Pappe mit seinen Thesen auf Skepsis gestoßen. So wirft ihm sein Kollege Benny Morris Einseitigkeit und methodische Mängel vor.

Problematische Theologie

Auch aus theologischer Sicht sind die Äußerungen Abromeits problematisch. Zur Bibelstelle Johannes 4,20 sagt er, „der räumlich-­materielle Aspekt des Alten Testaments“ werde im Neuen Testament „ganz aufgegeben“. „Das Neue Testament hebt nämlich die Bindung eines bestimmten Volkes an ein bestimmtes Land auf. Die im Alten Testament noch breit vertretene Auffassung, mit der Erwählung Israels verbinde sich auch der Anspruch auf das Land Israel, findet sich im Neuen Testament nicht, an keiner Stelle.“

Es dürften diese Aussagen sein, die Volker Beck dazu veranlasst haben, von einer Enterbungstheologie zu sprechen, also einer Denkweise, die die Verheißungen Gottes an Israel auf die Christen überträgt. Im Neuen Testament finden sich aber auch Bibelstellen, die eine „nationale Agenda“ nahelegen (etwa Lukas 1,68–75; Apostelgeschichte 1,6). Darauf angesprochen bleibt Abromeit bei seiner Sicht, nur fällt die Formulierung etwas weicher aus: „Nach christlichem Verständnis ist die alttestamentliche Verheißung des Landes nicht weggefallen, sondern transformiert worden.“

Damit fällt Abromeit hinter die Aussagen der EKD-Studie „Christen und Juden III“ aus dem Jahr 2000 zurück. Dort heißt es, dass „nach biblischem Befund Erwählung, Bund und dessen Landverheißung aufs Engste miteinander verknüpft sind“. Abromeit empfiehlt hingegen das höchst problematische Kairos-­Palästina-Dokument, das palästinensische Christen vor zehn Jahren verfasst haben und das durch unverblümte Einseitigkeit geprägt ist – etwa wenn es allein Israel die Schuld am Konflikt gibt und zum Israel-Boykott aufruft.

Der Charakter einer Konferenz

Es bleibt noch die Frage, warum so ein Seminar ausgerechnet auf der Allianzkonferenz gehalten wurde. Die Haltung Abromeits, etwa dessen Unterstützung des Kairos-Palästina-Denkens, ist leicht zu recherchieren und dürfte den Organisatoren bekannt gewesen sein. Jurek Schulz vom Vorstand der Deutschen Evangelischen Allianz betont, dass es normal sei, Redner unterschiedlicher Couleur einzuladen. Und er lobt Abromeits Bibelarbeit zum Hebräerbrief im Plenum der Konferenz.

Bezüglich des Israel-Vortrags gesteht er jedoch zu, dass hier Fairness gegenüber Juden und Israel fehlte; es handele sich um eine „sehr einseitige Darstellung zu Lasten Israels“. Dem Vortrag sei aber insofern etwas abzugewinnen, als es zu einer Diskussion über dessen Thesen gekommen sei. Wilfried Gotter sieht das anders. Er wirft ein, dass Bad Blankenburg eigentlich als glaubensstärkende Konferenz gedacht ist. „Da muss man nicht noch über Dinge streiten, über die man sich das ganze Jahr schon streitet.“

Beide Positionen mögen ihre Berechtigung haben. Das Seminar zeigt jedenfalls, dass es beim Themenkomplex Kirche und Israel noch viel zu klären gibt. Dabei kann es nur hilfreich sein, auf Einseitigkeiten zu verzichten.

Diesen Artikel finden Sie auch in der Ausgabe 5/2019 des Israelnetz Magazins. Sie können die Zeitschrift kostenlos und unverbindlich bestellen unter der Telefonnummer 06441/5 66 77 00, via E-Mail an info@israelnetz.com oder online. Gerne können Sie auch mehrere Exemplare zum Weitergeben oder Auslegen anfordern.

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