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Schueftan klärt hippen YouTuber über Nahen Osten auf

Das populäre Interviewformat „Jung & Naiv“ steht für die Auswahl seiner Gesprächspartner in Israel und den palästinensischen Autonomiegebieten in der Kritik. Das Interview mit dem israelischen Sicherheitsberater Schueftan hat aber Mehrwert. Eine Analyse von Michael Müller
Der israelische Sicherheitsberater Schueftan, der „Jung & Naiv“ ein Interview gegeben hat, ist auch Vorsitzender des Zentrums für nationale Sicherheit an der Universität in Haifa

Angesichts der Liste seiner Gesprächspartner war Schlimmes zu befürchten: Der deutsche Journalist Tilo Jung, der mit seinem Interviewformat „Jung & Naiv“ Hunderttausende Menschen auf der Videoplattform YouTube erreicht, kündigte in den Sozialen Medien seine Reise durch Israel und die palästinensischen Autonomiegebiete an. Sein prinzipielles Interesse am israelisch-palästinensischen Konflikt ist gut, weil seine teils zweistündigen Interviews gerade viele junge Leute erreichen. Seine Gästeliste hinterließ allerdings einen überhaupt nicht ausgewogenen Eindruck.

Gleich mit drei Journalisten der linksgerichteten Tageszeitung „Ha’aretz“ traf sich der 32-Jährige: Gideon Levi, Amira Hass und Benni Ziffer. Es hätten sicherlich auch Reporter der „Jerusalem Post“ oder der „Times of Israel“ bereit gestanden. Die Auswahl wäre in etwa so, als ob sich ein ausländischer Journalist Deutschland ausschließlich durch Redakteure von „Der Freitag“ und „Neues Deutschland“ erklären ließe. Dazu sprach Jung mit dem PLO-Vertreter Adnan al-Husajni, dem UNRWA-Direktor Matthias Schmale in Gaza, Jehuda Schaul von der armeekritischen Organisation „Breaking the Silence“, Marc Frings von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Ramallah und dem israelischen Historiker Mosche Zimmermann.

Kritik für Tamimi-Beitrag

Besondere Aufregung und zahlreiche Kritik erntete Jung, als er auf Twitter ein Foto mit seiner 17-jährigen Gesprächspartnerin Ahed Tamimi teilte. Die Palästinenserin war gerade aus dem Gefängnis freigelassen worden, wo sie mehrere Monate saß, weil sie einen israelischen Soldaten geschlagen hatte. Jung schrieb zu dem Bild: „Habe gerade mit der palästinischen Teenagerikone und Friedensaktivistin Ahed Tamimi für Jung & Naiv gesprochen. Sie träumt von einer Ein-Staat-Lösung.“ Der Grünen-Politiker Volker Beck kommentierte kritisch: „Also zu deutsch: Sie träumt vom Ende der jüdischen Heimstatt, vom Ende Israels.“

Tatsächlich finden sich auf der Liste der Gesprächspartner von Jung und seiner Redaktion nur wenige Menschen wieder, die Israel positiv zugewandt sind, nämlich der israelische Siedler Israel Medad in Schilo und der israelische Sicherheitsberater Daniel Schueftan, der Vorsitzender des Zentrums für nationale Sicherheit an der Universität in Haifa ist. Das Gespräch mit Schueftan kündigte Jung über Twitter folgendermaßen an: „140 Minuten geballte Radikalität.“

Es ist das erste Video, das die „Jung & Naiv“-Redaktion von ihrer Reise in den Nahen Osten hochgeladen hat. Die Auswahl der Interviewpartner mag generell sehr unausgewogen sein. Aber diese zwei Stunden in englischer Sprache sind eine unterhaltsame und zugespitzte Lehrstunde für Menschen in Europa, die sich mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt, dem Nahen Osten und weltweiter Außenpolitik beschäftigen wollen.

Trump merzt Obamas Fehler aus

Über den ehemaligen amerikanischen Präsidenten Barack Obama sagt Schueftan zum Beispiel: „Der amerikanische Präsident muss Macht und Führung ausstrahlen. Was Obama ausstrahlte, war Schwäche und Verwirrung. Ich denke, er war der inkompetenteste Präsident in der US-Außenpolitik seit dem Zweiten Weltkrieg. Er hat großen Schaden angerichtet.“

Donald Trump bewertet Schueftan anders. Die meisten außenpolitischen Entscheidungen, die er in den vergangenen Monaten getroffen hat, seien „produktiv“ gewesen. „Ich weiß, das klingt für die Ohren der Europäer und mindestens die Hälfte der amerikanischen Bevölkerung schrecklich, aber man muss analytisch genau sein, auch wenn man es persönlich nicht mag.“ Trump habe eben nicht wie Obama mit seinen Entscheidungen die Feinde der USA unterstützt und die Verbündeten geschwächt, sondern es genau umgekehrt gemacht.

„Obama hat den Iran gestärkt und unterstützt. Er hat ihnen mit dem Atomabkommen den Traum-Deal gegeben“, sagt Schueftan. Obama habe abgewartet, bis die Iraner ihre atomare Anreicherung abschließen konnten. „Als sie dann zehn Jahre brauchten, um heimlich an der Ballistik ihrer Raketen zu arbeiten, gab Obama ihnen das Abkommen, das nicht die Ballistik kontrolliert“, erklärt der israelische Sicherheitsberater.

„Wenn ich daran denke, schlottern mir die Knie“

Der Iran sei mit Abstand das gefährlichste Element im Nahen Osten. Es könne katastrophale Folgen haben, wenn der Iran in dieser Region die Dominanz übernimmt. Das Mullah-Regime versuche arabische Länder zu destabilisieren, was nicht so schwer sei, weil die Länder geschwächt seien. Die einzigen Mächte, die den Iran aufhalten könnten, seien Israel und die USA.

„Jetzt, wo die USA Israel, Ägypten, Saudi-Arabien und Jordanien wirtschaftlich und auf anderen Wegen unterstützen, gibt es eine Möglichkeit, die iranische Dominanz einzudämmen“, sagt Schueftan, der sich aber auch keine Illusionen zu Trump macht. Der sei gefährlich, wenn das Schicksal der Menschheit von einem einzigen gesunden Verstand, nämlich dem des US-Präsidenten, abhänge. Diese Situation habe es im Kalten Krieg mehrere Male gegeben. „Wenn ich daran denke, schlottern mir die Knie“, differenziert er.

In den mehr als zwei Stunden spricht Schueftan über Israel, Benjamin Netanjahu als Premier, den Gazastreifen, arabische Staaten, die Zwei-Staaten-Lösung, den politischen Umgang mit radikalen Regimen und die zu idealistische Sicht Europas auf die Weltpolitik. Jung macht das, was er immer macht, nämlich sein Puschel-Mikrofon dem Interviewten hinzuhalten und scheinbar naive Fragen zu stellen, hinter denen aber ein Gesamtkonzept steckt. Das wird in den nächsten Interviews aus dem Nahen Osten mit aller Wahrscheinlichkeit nach gefährliche Inhalte an deutsche Zuschauer befördern. Aber zumindest das Interview mit Schueftan ist jede Minute wert.

Von: Michael Müller

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