Suche
Close this search box.

„Wir haben nur dieses eine Land“

Wer mit Dan Goren durch Israel reist, macht eine Reise durch die Geschichte des jüdischen Staates. Der 90-jährige Reiseleiter erzählt die Geschichte seines Heimatlandes autobiographisch. Von Christoph Zehendner
Zeigt das Land, das er liebt: Dan Goren
Ein Wüstentag im Negev, südlich von Be‘er Scheva. Die Sonne brennt auf die Köpfe unserer Reisegruppe herab, die Luft ist trocken, kein Lüftchen bringt Kühlung. War es wirklich eine gute Idee, meine Reisegruppe aus Deutschland hierher in das anstrengende Klima des Kibbutz Revivim zu lotsen, frage ich mich. Doch ich sehe den Gesichtern an: Die Besucher sind fasziniert. Ausgerechnet hier eine blühende Landwirtschaft – darüber können sie nur staunen. Unserem israelischen Reiseleiter Dan Goren kann die Hitze offenbar nichts anhaben. Topfit eilt er voraus, berichtet von den schwierigen Anfängen des Kibbutz inmitten des Zweiten Weltkrieges, schildert die feindlichen Angriffe und die extremen Mühen bei dem Versuch, hier in der Wüste Landwirtschaft zu betreiben. Schließlich landet Dan vor einem Museumsstück aus den Anfängen des Kibbutz, einer Sämaschine. Er zeigt uns ein historisches Foto in schwarz-weiß: drei Männer auf eben dieser Maschine. „Einer von den jungen Kerlen bin ich“, lacht er. „Es war für mich eine Ehre, die Maschine vor etwa 70 Jahren zu ihrem Einsatz hierher in den Süden zu begleiten“. Der kleine, drahtige Mann mit der unerschöpflichen Energie bringt mich mal wieder zum Staunen. Dan ist für mich ein lebendiges Stück Geschichte Israels. Seit mehr als zwei Jahrzehnten schon kenne und schätze ich diesen außergewöhnlichen Menschen. Durch viele gemeinsame Reisen sind wir gute Freunde geworden.

Kindheit in Deutschland

Dan Goren, heute 90 Jahre alt, lebt seit 77 Jahren in Israel. Er hat für dieses Land gekämpft und es mit aufgebaut. Sein Herzensanliegen: Er möchte sein Land den Besuchern vor allem aus deutschsprachigen Ländern lieb machen. Geboren ist er 1925. „Ich bin eine echte Aachener Printe“, schmunzelt er und lässt ganz bewusst die rheinische Mundart mitklingen. Dans Familie ist nicht streng religiös, aber mit großer Selbstverständlichkeit wächst er in die jüdischen Traditionen hinein. Im Alter von 13 Jahren erlebt Dan die Reichspogromnacht. Den Morgen des 10. November erlebt er auf dem Dach des Hauses in Köln, wo er inzwischen mit seiner Familie lebt. Mit Schrecken beobachtet er, wie Flammen aus der Synagoge schlagen. Polizei und Feuerwehr greifen nicht ein. Die deutschen Nachbarn rundherum johlen und feixen. „Ein schrecklicher Tag “, sagt Dan, als er mir davon erzählt.

Doppelleben in Eretz Israel

Wenige Monate nach diesem ersten Pogrom schicken Dans Eltern ihren Sohn nach „Eretz Israel“ in Sicherheit. 13 Jahre jung ist er da. Gemeinsam mit einigen hundert weiteren Jugendlichen reist er mit dem Zug von Köln nach Genua und von dort per Schiff in die neue Heimat. Im Hafen von Jaffa betritt er zum ersten Mal den Boden Palästinas. Ein eigener Staat Israel ist damals noch ein vager Traum. Die ersten Jahre sind für den Jugendlichen aus Deutschland eine schier unglaubliche Herausforderung. Alles ist fremd: Die Kultur, die Sprache, die Umgebung, das Klima, die Lebensbedingungen und vor allem: Die ständige Bedrohung durch die benachbarten arabischen Staaten, die alle Juden ins Meer jagen wollen. Während in Europa Hitler den Zweiten Weltkrieg vom Zaun bricht, beginnt Dan in Palästina ein Doppelleben: Tagsüber arbeitet er am Aufbau landwirtschaftlicher Siedlungen mit. Beete und Felder werden angelegt, Sümpfe entwässert, Kanäle gezogen, Häuser und Straßen gebaut. Dan lernt den Beruf des Landmaschinenschlossers. Nach drei Jahren Ausbildung in der Nähe von Haifa liefert er sein „Gesellenstück“ ab – eine Sämaschine. Genau diese Maschine bringt er höchstpersönlich zu einem Kibbutz in den fernen Süden – eben nach Revivim. Auch ein Menschenleben später sehe ich ihm an, wie stolz ihn das macht.

Im Untergrund aktiv

In den Nächten ist der Teenager als Mitglied der „Haganah“ aktiv. Die Haganah ist eine zionistische, paramilitärische Untergrundorganisation. Gemeinsam mit anderen jungen Kämpfern wird Dan im Umgang mit Waffen ausgebildet. Er schützt jüdische Siedlungen und versteckt illegal eingereiste KZ-Überlebende aus Europa in landwirtschaftlichen Ortschaften. Die eine Hand am Pflug, die andere am Gewehr – auch nach der Gründung des Staates Israel bleibt das Dans Alltag. Er kämpft im Unabhängigkeitskrieg und trägt dabei als Unteroffizier Verantwortung. Wenn er nicht sein Land verteidigen muss, arbeitet er am Aufbau eines Kibbutz mit. Nach der Hochzeit 1948 bezieht Dan mit seiner Frau ein Zelt in einem Kibbutz, ihre ganze Habe passt in eine Kiste. Später zieht die kleine Familie in den Moschav Beit Jitzchak in der Nähe von Netanja. Inzwischen sind ein Sohn und eine Tochter geboren. Seine Eltern – die dem Holocaust in letzter Minute entflohen waren – gründeten mit anderen aus Deutschland stammenden Akademikerfamilien diese Siedlung. Dan wohnt bis heute dort, umgeben von Kindern, Enkelkindern, Urenkeln.

„Meine Liebe zum Land wuchs durch die Füße“

In einem Alter, in dem andere Menschen sich in den Ruhestand verabschieden, entdeckt Dan seine Passion als Reiseleiter. Schon als Jugendlicher hatte er auf Wanderungen das Land erkundet. Arie Ben-Gurion, ein Neffe des späteren Premierministers David Ben-Gurion, führte ihn und andere junge Leute quer durchs Land und weckte ihr Interesse für Archäologie und Geschichte. Besonders beeindruckten Dan mehrere Märsche zur Felsenfestung Massada. „Meine Liebe zu Israel ist durch die Füße gewachsen. Bei den Wanderungen habe ich das Land immer mehr kennen und lieben gelernt“, erinnert er sich. Seine Liebe zum Land und seine umfangreichen Kenntnisse führen dazu, dass er Jahrzehnte später gebeten wird, eine Gruppe von deutschen Besuchern durch Israel zu begleiten. Er lässt sich darauf ein und fängt Feuer. Aus dem Hobby wird ein neuer Beruf. Mitte 60 ist Dan, als er die Ausbildung zum staatlichen geprüften Reiseleiter abschließt.

Reiseleiter aus Passion

Seitdem führt er mit großem persönlichen Einsatz Gruppen durch Israel. Engagiert und kompetent teilt er sein Wissen mit den Gästen, bringt ihnen Land und Leute näher, spricht verständlich über Religion, Kultur, Politik, Archäologie, Landwirtschaft, Geschichte und Gegenwart. Und er beantwortet Fragen über Fragen, zu solch unterschiedlichen Themen wie Lebensmittelpreisen und Siedlerdemonstrationen, arabischem Kaffee und Falafel-Gewürzen, Terrorismus und Zugverbindungen, die Kleidung orthodoxer Juden oder die Aufteilung der Wasserreserven im Land. Immer wieder wird Dan auch nach der Bibel gefragt, nach dem Alten wie dem Neuen Testament und nach seinem jüdischen Glauben. Die Menschen, die sich erkundigen, stammen größtenteils aus christlichen Gemeinden unterschiedlicher Couleur. Sie staunen, dass der Jude Dan sich im Neuen Testament besser auskennt als viele Christen. Viele erleben: Die Reise durch Israel und die hilfreichen Erklärungen Dans öffnen ihnen Fenster zum besseren Verständnis mancher Bibelstelle.

Die einzigartige Heimat

Unzählige christliche Andachten, Bibelarbeiten, Gottesdienste, Konzerte hat er inzwischen miterlebt. Hat ihn das beeindruckt? Dan antwortet diplomatisch: „Ihr seid Christen, ich bin Jude. Wir haben sehr viel gemeinsam. Ich respektiere euren Glauben und freue mich, dass die meisten von euch meinen akzeptieren. Aber ich freue mich jedes Mal riesig, wenn ich von früheren Reiseteilnehmern höre: Die Reise mit dir durch Israel hat meinen Glauben gestärkt!“ „Ich liebe meinen Beruf“, sagt Dan Goren mir noch, als wir uns nach der Führung durch Revivim an einem schattigen Plätzchen unterhalten. „Ich möchte, dass ihr Besucher verstehen könnt, warum Israel für uns so wichtig ist. Ja, dieses Land macht manche Fehler, bei uns gibt es Halunken wie überall in der Welt. Aber dieses Land ist das einzige, das wir jüdischen Menschen haben. Wir lieben es, es ist unsere Heimat. Und deswegen möchte ich es euch zeigen. Ich hoffe, dass ihr uns und unser Land nach der Reise ein bisschen besser verstehen könnt. Dass ihr anderen davon berichtet und wiederkommt“.

Christoph Zehendner (54) ist verheiratet, hat zwei erwachsene Kinder und drei Enkeltöchter. Gemeinsam mit seiner Frau Ingrid (Kunsttherapeutin) arbeitet der Journalist und Liedermacher im Kloster Triefenstein bei Würzburg. Seit seiner ersten Reise nach Israel 1979 ist er oft hierher zurückgekehrt. Gerne führt er Gruppen durch das Heilige Land und zeigt ihnen, was ihn selbst hier so fasziniert.

Bitte beachten Sie unsere Kommentar-Richtlinien

Schreiben Sie einen Kommentar

Offline, Inhalt evtl. nicht aktuell

Israelnetz-App installieren
und nichts mehr verpassen

So geht's:

1.  Auf „Teilen“ tippen
2. „Zum Home-Bildschirm“ wählen