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Naomi Schemer

Ein Porträt auf den neuen israelischen Geldscheinen ist das der geschätzten und geliebten Liederdichterin Naomi Schemer. Nach wie vor fühlen sich viele durch ihre Verbundenheit mit dem Land Israel und mit dem Leben der normalen Menschen angesprochen. Genau wie die Lieder von Ehud Manor drücken Schemers Texte das aus, was man in Israel „Israeliut“ nennt, die israelische Mentalität, Gedanken- und Gefühlswelt, das israelische Dasein.
In Tel Aviv erinnert eine zweisprachige Tafel an die Liederdichterin Naomi Schemer.

Geboren wurde sie als Naomi Sapir am 13. Juli 1930. Aufgewachsen ist sie im Kibbutz Kinneret am Ufer des Sees Genezareth – dessen Eukalyptus-Haine sie genauso treffend besingt wie den Fluss Jordan. Ihre Familiengeschichte ist die Geschichte der jüdischen Pioniere. Sie haben die heute riesigen Eukalyptusbäume 1912 gepflanzt und die Kämpfe im Unabhängigkeitskrieg im Kibbutz Deganja durchstanden: „Als Mama hierher kam, so hübsch und jung, hat Papa ihr das Haus auf dem Hügel gebaut, …seither ist ein halbes Jahrhundert vergangen, der Eukalyptushain, die Brücke, das Boot, sind noch da… am anderen Ufer dröhnten die Kanonen. Zum Ende des Sommers ist die Ruhe wieder eingekehrt…“
Vom Kibbutz Kinneret ging Naomi Sapir über die Jordanbrücke in den Kibbutz Deganja zur Schule. Mit sechs Jahren fing sie an Klavier zu spielen, auf dem Instrument, das ihre Mutter als Geschenk bekommen hatte, und das allen Kindern im Kibbutz zur Verfügung stand. Später studierte sie auf Musikschulen in Tel Aviv und Jerusalem, um dann als Musik- und Rhythmiklehrerin in den Kibbutz zurückzukehren. Für Kinder schrieb sie ihre ersten Lieder. Im Militär diente sie in der Kulturabteilung der Einheit „Nachal“. Danach heiratete Naomi den Schauspieler Gideon Schemer und zog mit ihm nach Tel Aviv.
Eine Zeitlang arbeitete sie eng mit der Musikband von Nachal und anderen Militärkapellen zusammen. Dieses Umfeld war der fruchtbare Boden, aus dem einige berühmte israelische Sänger und Musiker gekommen sind. Nicht wenige der guten alten israelischen Schlager entstanden dort. Mancher sehnt sich beim Klang der modernen israelischen Popmusik nach diesen Zeiten zurück. Ein alter Filmstreifen hat festgehalten, wie Naomi Schemer bei einer Probe die hübsche, damals im Militär noch ganz neue und unerfahrene Jardena Arazi anleitet und erschreckt.

Ehrfurcht beim Verfassen des Jerusalem-Liedes

Einige Lieder von Naomi Schemer wurden international bekannt. Das Lied „Hoppa hey“, ursprünglich für die zentrale Kommandotruppe geschrieben, gewann 1960 den ersten Preis auf einem internationalen Festival in Italien. Am bekanntesten ist aber wohl ihr Lied „Jerusalem aus Gold“, dessen Titel aus alten jüdischen Legenden stammt. Als sie sich bereits für dieses Motiv entschieden hatte, überkamen sie Zweifel: „Wisst ihr noch, wie grau und wenig golden Jerusalem damals war; wie man überhaupt nicht erhaben über die Stadt reden konnte; wie weit sie von einem Paradies entfernt war; ganz wie im Hohenlied in der Bibel: ‚…nicht wecken und nicht stören…‘ (Hoheslied 2,7). Ich wurde von Ehrfurcht ergriffen und fragte mich: ‚Aus Gold? Bist du dir sicher: Gold? Und etwas in mir gab mir die Antwort: Ja natürlich, aus Gold![1]
„Jeruschalaim schel sahaw“ erklang zum ersten Mal im Rahmen des israelischen Gesangsfestivals („Festival haSemer vhaPismon“) 1967 in Jerusalem, allerdings nicht als eines der Lieder, die dort miteinander wetteiferten. „Jeruschalaim schel sahaw“ war – mit anderen vier Liedern – im Auftrag des Jerusalemer Bürgermeisters Teddy Kollek geschrieben worden und dazu gedacht, die Beratungszeit der Preisrichter zu überbrücken. Es sollte von Anfang an ein Lied über Jerusalem sein und Naomi Schemer hatte sich damit nicht leichtgetan; sie wollte schon aufgeben. Das Festival war Teil der Unabhängigkeitsfeierlichkeiten. Drei Wochen später, im Sechstagekrieg, fielen die Altstadt mit dem Tempelberg und der Klagemauer wieder in jüdische Hände. Schemer fügte unter diesem Eindruck ihrem Lied noch eine weitere Strophe hinzu.
Später wurde sie beschuldigt, die Melodie abgeschrieben zu haben. Anfangs wehrte sie sich vehement gegen diesen Vorwurf. Erst gegen Ende ihres Lebens schrieb sie an ihren Freund Gil Aldama, man habe ihr einmal ein baskisches Volkslied vorgesungen. Das habe sie vergessen. Aber irgendwie war die Melodie ihr unbewusst im Kopf hängen geblieben. Später habe sie sich daran erinnert. Offensichtlich hat dieser Vorwurf Naomi Schemer sehr beschäftigt – wobei es aber eher natürlich ist und immer wieder vorkommt, dass Musiker sich von anderen Melodien beeinflussen und inspirieren lassen.

Hebräisches Festival durch Eurovision verdrängt

Das Festival der hebräischen Lieder, in dem es damals vor allem um Originalität ging, wurde erstmals im Jahr 1960 im Tel Aviver Kulturzentrum veranstaltet, im Radio „Kol Israel“ und später auch im Fernsehen übertragen. Dieses Festival gab es zwanzig Jahre lang, bevor es wegen der Eurovision, auf die sich israelische Sänger immer mehr konzentrierten, eingestellt wurde. Die Originalität hebräischer Lieder blieb noch eine Zeitlang erhalten und wurde in der Eurovision mit Preisen belohnt.
Eine viel längere Tradition hat das Festival Ein Gev. Die Kibbutzmitglieder hatten keine Möglichkeit, in die Stadt zu fahren oder Künstler einzuladen. Deshalb finden sie im April 1943 an, mit eigenen Mitteln vor Ort ein Festival zu veranstalten, auf dem klassische Musik, aber auch israelische Lieder vorgetragen wurden. Im Rahmen dieses Festivals stellte Naomi Schemer 1993 ihr Lied „Hakol patuach“ – „Alles ist möglich, solange wir hier so singen“ – vor. 2002 wurde das Ein Gev Festival ihren Liedern gewidmet. Das Programm moderierte ihr Freund Ehud Manor, ebenfalls ein Genie des israelisch-hebräischen Liedguts.
Naomi Schemer schrieb Lieder für ganz unterschiedliche Interpreten, die ihr Werk weltweit bekannt machten, wie etwa Schuli Natan, deren Stimme von Anfang an mit dem Lied „Jeruschalaim schel sahaw“ untrennbar verbunden ist. Doch Naomi hat immer wieder auch selbst gesungen und mitgesungen, wurde von ganz unterschiedlichem Publikum, seien es Kinder oder Erwachsene, mit viel Liebe empfangen. Mehrfach hat sie an Veranstaltungen der Kunstschule in Tel Aviv teilgenommen. Zum jüdischen Neujahr, Rosch haSchanah, schrieb sie das Lied „Schana Towa“: „Ob das Jahr gut wird, ob wir Enttäuschung vergessen, hängt letztendlich an uns…“
In Naomi Schemers Liedern entdeckt man immer wieder biblische Motive, etwa im oben erwähnten Lied über Jerusalem: „Vergesse ich dich Jerusalem…“ (Psalm 137,5). Die hebräische Aufforderung „Hallelu Jah!“ – „Lobet den Herrn!“ – ist selbstverständlicher Teil vieler ihrer Lieder. Die Bedrohung und der Militärdienst junger Israelis gehören zum Alltag in Israel und finden auch Ausdruck in einigen Liedern, sei es im fröhlichen „Mein Soldat ist zurückgekommen“, oder auch im traurigen „Wir sind beide aus dem gleichen Dorf“, einem Lied, das einem gefallenen Freund gewidmet ist.

Beatles-Song auf Hebräisch

Naomi Schemer schrieb viele eigene Texte und Melodien, konnte aber auch wunderbar Liedtexte aus anderen Sprachen übertragen. So hat sie einige französische Chansons aus ihrer Pariser Zeit ins Hebräische übersetzt, vor allem für den israelischen Schauspieler und Sänger Josi Banay, der seine Karriere ebenfalls in der Nachal-Militärband begonnen hat. Auf Anfrage der Sängerin Chawa Alberstein sollte sie zu dem Beatles-Lied „Let it be“ einen hebräischen Text verfassen. Das war zur Zeit des schweren Jom-Kippur-Kriegs und Naomi lag es am Herzen, etwas Ermutigendes zu schreiben. Sie entschied sich für den Titel „Lu yehi“, was so viel bedeutet wie „Lass sein!“, eher aber noch: „Lass es werden!“, was im Refrain zum Ausdruck kommt: „Alles, was wir bitten, möge geschehen!“ Als Mordechai Horowitz, ihr zweiter Mann, diesen Text hörte, fand er ihn zu schade für eine Melodie der Beatles, und bat seine Frau eine eigene Melodie zu schreiben. So entstand mit „Lu yehi“ ein vollkommen neues Lied.
Schemer übertrug das Gedicht „Oh Captain, my Captain“ von Walt Withman ins Hebräische, das er nach der Ermordung von Abraham Lincoln geschrieben hatte. Sie widmete es dem ermordeten israelischen Premierminister Jitzhak Rabin, obwohl sie dessen politische Ansichten nicht teilte. Meital Trabelski gab dem Lied seinen sehr dramatischen Ausdruck.
Naomi Schemer verstand sich selbst als Liedermacherin für alle. Und das war sie auch. Als Tochter jüdischer Siedler, die vor der Entstehung des Staates ins Land Israel gekommen waren, war sie Zionistin und liebte das Land. Deswegen war sie auch gegen jede Gebietsabgabe und die Räumung der israelischen Siedlungen auf der Sinaihalbinsel. Für sie gab es keinen Unterschied zwischen der jüdischen Besiedlung des Sinai, Judäas und Samarias oder der Gegend um den See Genezareth. Dadurch wurde sie, ob sie wollte oder nicht, politisch. Ihr Lied „Al kol ele“, das sie nach dem Tod ihres Schwagers geschrieben hat und in dem sie um Bewahrung Gottes bittet, wurde zum Protestlied gegen die Räumung des Sinai, vor allem auch wegen einer Aussage in der zweiten Strophe: „Entwurzele bitte nicht das Gepflanzte! Vergiss nicht die Hoffnung! Bring uns zurück und wir werden in das gute Land zurück kehren…“
1987 wurde ihr Lebenswerk mit dem Israelpreis gewürdigt. Dann wurde bekannt, dass Naomi Schemer an Krebs erkrankt war. Deshalb veranstalteten befreundete Kollegen 1991 ein Abschiedskonzert. Dort wurde auch das schwermütige Lied Schemers vorgetragen: „Es ist traurig, im Tamus zu sterben… wenn die Pfirsiche reifen…“ Tamus ist ein Sommermonat im hebräischen Kalender. Naomi meinte danach, es sei ihren Freunden nicht gelungen, sie zu verabschieden. Nicht nur, dass sie noch lebe, sondern sie werde noch viele Jahre leben. Ihrer Krankheit zum Trotz lebte sie tatsächlich noch 13 Jahre und starb dann doch im Monat Tamus, am 26. Juni 2004. Beerdigt wurde sie in ihrem Heimatort, im Kibbutz Kinneret.
[1] Aus http://jwa.org/encyclopedia/article/shemer-naomi (27.05.2013): “One needs to remember how gray and lacking in gold Jerusalem was then, and how one could not speak highly of it or have parades there. Like the saying ‘Do not wake or rouse’ [Song of Songs 2:7], I was awestruck and asked myself: Of gold? Are you sure about the gold? And something answered me: Absolutely, of gold.”
Einblicke in das Ein Gev-Festival 2002: http://www.youtube.com/watch?v=D-pvK7vwQ9A
„Wir sind beide aus dem gleichen Dorf“: http://www.youtube.com/watch?v=6hTkFqKThes.

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