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Jerusalem als Persönlichkeit

Über Jerusalem sind schon viele Bücher verfasst worden - doch diesmal ist die Stadt, die so viele Kriege durchlitten hat, die Protagonistin. Von der Eroberung durch König David bis zum Ende der Teilung im Sechstagekrieg schildert Simon Sebag Montefiore Höhen und Tiefen der wechselvollen Jerusalemer Geschichte.

In dieser Biographie steht Jerusalem nicht nur im Zentrum der Handlung. Montefiore schreibt ihr auch menschliche Empfindungen und Attribute zu. So trägt das Kapitel über die Jüdischen Kriege vor der Zerstörung des zweiten Tempels durch Titus, das die Zeit zwischen 66 und 70 darstellt, den zusätzlichen Titel "Der Tod Jerusalems". Und trotz vieler "Ausflüge" in andere Teile der Region, in die er handelnde Personen begleitet, kehrt er immer wieder in die zentrale Stadt zurück.

Eine Geschichte Jerusalems müsse "sowohl Wahrheit als auch Legenden schildern", schreibt der Verfasser in seinem Vorwort. "Es gibt jedoch Tatsachen, und dieses Buch ist bestrebt, sie zu schildern, so wenig sie der einen oder anderen Seite auch schmecken mögen." Eine große Aufgabe, die sich Montefiore da gestellt hat. Und in der Tat hat er weitreichend recherchiert. Dennoch ist es in einem solchen Buch wohl nicht möglich, persönliche Deutungen der Ereignisse völlig auszuschließen. Seine Quellen umfassen unter anderen römische, muslimische, christliche und jüdische Berichterstatter. Einige von ihnen waren offiziell als Historiker tätig, andere führten privat aufschlussreiche Tagebücher. Diese Zitate machen das Buch lebendig. An die Bibel geht Montefiore kritisch heran. Im Zweifelsfall entscheidet er sich meist für eine Version, die von der biblischen Überlieferung abweicht.

Anschaulich beschreibt der Autor, wie die Stadt unzählige Male zerstört und wiederaufgebaut wurde. Durch den Wechsel jüdischer, christlicher, muslimischer und andersgläubiger Herrscher wurden oft religiöse Gebäude wie die Grabeskirche umgedeutet oder umgewidmet. In jeder Epoche, vor allem nach der Umbenennung in "Aelia Capitolina" im Jahr 135 nach Christus, geht Montefiore speziell auf die jeweilige Lage der Juden ein. Mal war ihnen der Zugang zu Jerusalem verwehrt, oder nur zwei jüdische Brüder durften in der Stadt wohnen. Dann hatten sie wieder die Erlaubnis, in der Nähe der Überreste ihres Tempels zu beten. Und ihre Glaubensgenossen im Exil kultivierten die Sehnsucht nach Jerusalem durch religiöse Riten und liturgische Elemente. Nach Ansicht des Schriftstellers nähme die Stadt ohne die Vertreibung möglicherweise nicht den zentralen Platz im kollektiven jüdischen Bewusstsein ein, den sie im Laufe der Jahrhunderte gewonnen hat. Ausführlich geht er auf die Einwanderung der Juden ein. Dass auch viele Araber erst ab dem Jahr 1880 in die Region zwischen Mittelmeer und Jordan kamen, angelockt durch verbesserte Lebensumstände und Arbeitsplätze, erwähnt er immerhin am Rande.

Die eindringlich geschilderte Brutalität der jeweiligen Herrscher und ihrer Handlanger gehört wohl zu einem solchen Buch. Sie verdeutlicht noch, was Jerusalem allesdurch die Jahrhunderte hindurch erleiden musste. Die Beschreibung ihrer sexuellen Vorlieben hätte der Autor hingegen auf wenige Zeilen reduzieren können – dadurch hätte die Biographie nur gewonnen. Davon abgesehen ist ein spannendes Werk entstanden, aus dem auch fachkundige Leser noch dazulernen können.

Simon Sebag Montefiore: Jerusalem. Die Biographie, S. Fischer, 912 Seiten, 28 Euro, ISBN: 978-3-10-050611-5

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