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In neuem Glanz: Die zarentreue Präsenz der Auslandsrussen in Jerusalem

Die Kapelle des Heiligen Alexander Nevsky wenige Meter südlich der Grabeskirche in der Altstadt von Jerusalem ist eines der letzten Zeugnisse im Heiligen Land von der verflossenen Pracht des kaiserlichen Russlands. Seit Pfingsten erstrahlt das ehemalige Hospiz „Alexander Podvorie“ in neuem Glanz. Die „imperiale orthodoxe Palästina-Gesellschaft“ (IOPS) hofft, dass künftig wieder Pilger die „Schwelle des Gerichtstores“ besuchen, über die einst Jesus sein Kreuz geschleppt haben soll.

Vor hundert Jahren hat die IOPS, die 1882 vom Großfürsten Sergej als „Imperiale Pravoslawische Gesellschaft“ gegründet worden war, noch mehr als einhundert Kirchen, Klöster, Hospize und Schulen im Gebiet des heutigen Libanon, Syrien, Israel und der palästinensischen Gebiete verwaltet. Damit sollte den russischen Pilgerströmen vor allem zur Osterzeit Rechnung getragen werden. Infolge der Kriege und Umwälzungen des 20. Jahrhunderts ging das alles verloren. Entscheidend war dabei die Spaltung zwischen den zarentreuen Weißrussen und der russisch-orthodoxen Kirche, die sich mit dem Sowjetregime arrangierte.

1964 kaufte der Staat Israel von der UdSSR 22 Immobilien auf einer Gesamtfläche von 167.000 Quadratmetern für 4,5 Millionen US-Dollar im Rahmen des so genannten „Orangen-Handels“, weil nur eine Million Dollar in Bar ausgezahlt, der Rest aber in Orangen-Lieferungen abgegolten wurde. Damals fielen die Ansprüche der zarentreuen IOPS den Annäherungsversuchen des jüdischen Staates an Sowjetrussland zum Opfer. Lediglich die Liegenschaften im damals jordanisch besetzten Westjordanland und Ostjerusalem blieben den Weißrussen erhalten, weil König Abdallah deren Rechte anerkannte – darunter die Alexander Podvorie in der Altstadt und die goldene Maria-Magdalenen-Kirche auf dem Ölberg, wo bis heute die Zarennachfahren ihre Toten bestatten.

Als Israel im Sechstagekrieg von 1967 die Jerusalemer Altstadt eroberte, hatte sich seine Einstellung zur UdSSR verändert, und somit blieb den Weißrussen ihr Besitz erhalten. Bis 1994 Jasser Arafat den ansonsten heiligen Status Quo antastete und die weißrussischen Klöster in Jericho und Hebron beschlagnahmte, um sie Moskau zu übergeben. Auch die persönliche Intervention des damaligen Bundespräsidenten Johannes Rau konnte dies nicht verhindern.

Der Münchner Nikolai Worontsow ist heute Präsident der IOPS und führt stolz durch die verstaubte Atmosphäre des kaiserlich-orthodoxen Russlands, die im Komplex der Alexander-Nevsky-Kapelle erhalten bleibt. Da stehen museumsreife Einrichtungsgegenstände aus der Kolonialzeit herum und vergilbte Papierschilder erzählen, dass der Eintritt zu den heiligen Hallen einst 20 Fils gekostet hat, und dass die Pilger nichts an die Wände schreiben und nicht rauchen sollten.

Für nicht-russische Pilger dürften die antiken Fundamente am interessantesten sein, die Mitte des 19. Jahrhunderts bei Ausgrabungen zutage kamen. Der Beauftragte der israelischen Altertumsbehörde bezeichnet diese Forschungen als „unprofessionell“, aber immerhin waren an ihnen Experten der damaligen Zeit beteiligt, wie etwa der französische Baron de Vogue, der Brite Charles Warren und der Schwabe Conrad Schick. Heute streiten sich die Gelehrten über die genaue Datierung der Funde.

In einem Nebenraum der geräumigen Kapelle sind Kapitelle und Säulenbruchstücke aus ganz unterschiedlichen Epochen an den Wänden entlang aus dem Weg geräumt. An einer Stelle in der Wand, an der offensichtlich früher ein Fenster war, sind auf einem Stein, der dort nachträglich eingefügt wurde, einige lateinische Buchstaben eingemeißelt. Was mit bloßem Auge nur sehr schwer erkennbar ist, wird durch das seitliche Blitzlicht deutlicher: „IMP“ und „PART“.

Ein Torbogen stammt höchstwahrscheinlich aus der Zeit des römischen Kaisers Hadrian. Nach der Niederschlagung des Bar-Kochba-Aufstands im Jahre 135 nach Christus hatte er die jüdische Stadt Jerusalem als römische Kolonie mit dem Namen „Aelia Capitolina“ wieder aufgebaut und Juden den Zugang zur Stadt bei Todesstrafe verboten. An die Stelle jüdischer Heiligtümer baute er römische Tempel. So stand damals auf dem Tempelberg ein Jupiter-Tempel. Die Reste, auf denen die Alexander-Nevsky-Kapelle gebaut wurde, gehören wahrscheinlich zu einem Venus-Tempel, der im Bereich der Grabeskirche stand. Die dicken Mauern aus riesigen Quadern könnten aber auch zu einem Forum, einem Markt- und Beratungsplatz nach römischer Tradition, gehört haben.

Doch in der Wand der russisch-orthodoxen Kirche sind auch eindeutig Mauerreste zu erkennen, die an die Umfassungsmauer der Höhle Machpela in Hebron erinnern, die wiederum genauso konstruiert ist, wie einst die Umfassungsmauer des herodianischen Tempels. Damit wären die archäologischen Überreste in der Alexander Podvorie dann noch einmal mehr als 100 Jahre älter und stammten aus der Zeit, in der Jesus Christus durch die Straßen Jerusalems ging.

Den Wiedereinweihungsgottesdienst der Kapelle zelebrierte am Pfingstsamstag Metropolit Mark von Berlin und Deutschland, der zweite Mann in der Hierarchie der weißrussisch-orthodoxen Kirche, dessen Stammsitz in München ist. „Vollkommen unerwartet“, erzählen begeisterte Gläubige, „ist dann Kyrill, der Metropolit von Smolensk und Stellvertreter des Patriarchen der rotrussischen Kirche in Moskau erschienen.“ Metropolit Kyrill fungiert als „Außenminister“ der russisch-orthodoxen Kirche und Stellvertreter des Patriarchen. „Zufällig“ sei er für einen Tag in Jerusalem gewesen und habe von der 110-Jahr-Feier in der Alexander-Nevsky-Kapelle erfahren. Spontan schloss sich Kyrill seinem Amtsbruder Mark im Gebet vor dem Altar der neu geweihten Kapelle an. Die weißrussischen Gläubigen, die aus der Ukraine und aus Moskau angereist sind, werten das als Geste des guten Willens und Ausdruck dafür, dass die beiden verfeindeten Schwesterkirchen wieder aufeinander zugehen.

Bis vor kurzem hat man in der weißrussischen Kirche noch eine spezielle Weihe vorgenommen, wenn man Gottesdienst in einer Kirche feierte, die zuvor von Rotrussen benutzt worden war. Zu tief war der Graben aufgrund „der unnatürlichen Union der Kirche Russlands mit der gottlosen Obrigkeit“ der kommunistischen Sowjetunion. Für die begeisterten Exilrussen hat der Überraschungsbesuch des rotrussisch-orthodoxen Außenminister-Metropoliten historische Ausmaße und birgt auch eine aktuelle Botschaft: „Angesichts der Gefahr eines erstarkten Islam und des daraus resultierenden Terrorismus ist es wichtig, dass wir Christen den Herausforderungen vereint begegnen.“

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