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Interview: Efi Oshaya – „Mann der kleinen Leute“

Die Israelische Arbeitspartei (Avoda) steckt in der Krise. Streit über den Kurs und das Personal werden öffentlich ausgetragen, jede Umfrage ist ein Alptraum. Ein Spitzenpolitiker hält sich mit Stellungnahmen auffällig zurück: Efi Oshaya, der Fraktionsvorsitzende. Grund genug für „Israelnetz“, einmal nachzufragen. Unser Korrespondent Johannes Gerloff sprach mit dem Politiker aus Netanya.

inn: Gewerkschaftsvorsitzender, Knessetabgeordneter, stellvertretender Sprecher des israelischen Parlaments, Fraktionsvorsitzender – das sind Stationen Ihrer Karriere. Was für ein Mensch verbirgt sich dahinter? Wer ist Efi Oshaya?

Oshaya: Ich wurde 1956 geboren und habe vier Kinder zwischen 18 Jahren und neun Monaten. Meine Frau hat neun, ich selbst habe vier Geschwister. Wir wohnen noch immer in Vatikim, einem kleinen Arbeiterviertel in Netanya. Meine Eltern sind 1955 aus Persien eingewandert. Sie haben bei Null angefangen. Wer ist Efi Oshaya? Ein Mann der einfachen Leute. Der Hauptteil meiner Zeit gehört den sozialen Nöten der Einzelnen.

inn: Wirkt sich dies auf Ihre Politik aus?

Oshaya: Meine politische Einstellung würde ich als „pragmatisch links“ bezeichnen. Ich sehe keine politische Lösung im Nahen Osten ohne zwei Staaten für zwei Völker: einen palästinensischen und einen israelischen Staat. Dabei rede ich bewußt von einem „israelischen Staat“ und nicht von einem „jüdischen Staat“, denn wir haben auch 20 Prozent arabische Israelis.

inn: Was treibt Sie an?

Oshaya: Ich setze mich für Frieden ein, nicht aufgrund einer Theorie von einem „neuen Nahen Osten“, wie Shimon Peres sie vertritt. Sondern weil wir Israelis den Frieden ebenso brauchen wie die Araber. Deshalb müssen wir alles tun, um dieses Problem zu lösen. Das heißt: Solange es keine wirtschaftliche Sicherheit für die Palästinenser gibt, wird es auch keine Sicherheit für den Staat Israel geben. Auf der anderen Seite bin ich für einen harten Krieg gegen den Terror. Er ist eine Krankheit, die man von der Wurzel her ausrotten muß. Ich bin außerdem für die Räumung aller Siedlungen …

inn: ….auch der Stadtteile Jerusalems, die nach 1967 gebaut wurden? Also Gilo, Ost-Talpiot, Ramot, Pisgat Ze’ev, Neve Ja’akov? Bedeutet „alle Siedlungen“ auch die großen Siedlungsblöcke Ma´ale Adumim, Givat Ze´ev, Ariel, Gush Etzion?

Oshaya: Das mögen nach Ihrer Ansicht nach „Siedlungen“ sein – für mich nicht! Mit „Siedlungen“ meine ich die Orte, die inmitten palästinensischer Wohngebiete liegen. Überall wo es eine arabische Bevölkerungsmehrheit gibt, sollten wir dieses Gebiet räumen und den Palästinensern geben.

Die großen Siedlungsblöcke wird kein israelischer Premierminister räumen können. Das würde die israelische Gesellschaft zerreißen. Deshalb bezeichne ich mich als „pragmatisch links“. Es gibt Dinge, die nicht durchsetzbar sind, auch wenn ich sie verwirklichen wollte, weil sie eine Bedrohung für die Existenz der israelischen Gesellschaft bedeuten. Nicht, daß ich es nicht wollte, aber es ist unmöglich! Gilo und Ma´ale Adumim, Ariel kann man nicht räumen.

Deshalb schlage ich vor, drei oder vier große Siedlungsblöcke sollten bleiben. Aber natürlich müssen wir den Palästinensern eine Ausgleich für die Gebiete geben, die wir ihnen wegnehmen, das können andere Gebiete sein, oder auch eine wirtschaftliche Entschädigung.

inn: Wie würden Sie mit einem Satz das aktuelle Profil Ihrer Partei beschreiben?

Oshaya: Sie müssen verstehen, daß sich die Avoda in einer Zerreißprobe befindet. Einerseits sind wir zu weitreichenden Kompromissen mit den Palästinensern bereit. Andererseits gehören wir zur Regierung Sharon, die die Palästinensergebiete wieder neu besetzt hat. Ich würde sofort aus der nationalen Einheitsregierung austreten. Avoda ist eine zionistische Partei, patriotisch, die den Frieden sucht und daran glaubt, daß dieser Frieden nur durch Verhandlungen und Kompromisse zwischen beiden Völkern zu verwirklichen ist.

inn: Die Likud-Partei Ariel Sharons würde genau dasselbe für sich behaupten: zionistisch, patriotisch, friedliebend…

Oshaya: …aber das ist es dann auch schon. Sie sind nicht zu Kompromissen bereit. Wenn überhaupt, wollen sie höchstens ein paar wenige, einsam gelegene Siedlungen räumen. Ich bin bereit, mehr als 95 Prozent der Gebiete herzugeben. Ich bin für die Vorschläge Clintons und der Saudis. Das kann der Likud nicht sagen. Wenn er es sagen würde, würden die extremen Rechten ihn noch am selben Tag absetzen. So war es auch mit Sharon: Als er etwas über einen Palästinenserstaat sagen wollte, wurde er vom Likud-Parteitag ausgepfiffen.

inn: Sie bezeichnen sich als „Mann der kleinen Leute“. Was bewegt den Mann auf der Straße?

Oshaya: Die Sehnsucht nach Frieden. Die Leute wollen ein ganz normales Leben führen. Aber das können sie nicht verwirklichen. Wenn ich meine Tochter am morgen in die Schule schicke, kann es vorkommen, daß die Batterie ihres Mobiltelefons leer ist. Dann bekomme ich schon Angst, daß etwas geschehen ist. Die Menschen hier leben in einer ständigen Furcht. Wir leiden unter einem ständigen Gefühl der Unsicherheit, seit der Gründung des Staates Israel.

inn: Fühlt sich Israel allein gelassen?

Oshaya: Man muß wissen, daß die Juden eine gewaltige historische Belastung mit sich herumtragen. Wir sind ein Volk, das zweitausend Jahre herumgeirrt ist. Nach einer furchtbaren Katastrophe, in der sechs Millionen Juden ermordet wurden, haben wir einen Staat errichtet. Doch die Furcht, daß die ganze Welt gegen uns ist, ist uns immer geblieben.

inn: Auch Europa?

Oshaya: Europa hilft uns nicht gerade, die Selbstsicherheit wiederzugewinnen, wenn dort heute zum Boykott israelischer Produkte aufgerufen wird. Vor zwei Monaten habe ich mit dem deutschen Außenminister darüber gesprochen, daß Deutschland sich weigert, weiterhin die Getriebe für den israelischen Panzer „Merkava“ zu liefern. Ich habe ihm erklärt, daß wir aufgrund der Vergangenheit ein Vertrauensproblem mit den Deutschen haben. „Wie können Sie erwarten“, habe ich ihn gefragt, „daß wir eine Vermittlerrolle Deutschlands im Nahostkonflikt ernst nehmen können?“ Wir haben gegenüber den Europäern ein grundsätzliches Vertrauensproblem.

inn: Zurück zur Innenpolitik. Wie kommt es, daß ein unbekannter Außenseiter wie Amran Mitzna, der Bürgermeister von Haifa, jetzt beste Chancen zu haben scheint?

Oshaya: Benjamin Ben-Eliezer hat sich entschieden in der nationalen Einheitsregierung zu bleiben. Deshalb wird er als Verteidigungsminister in Pension gehen. Denn es gibt keinen Unterschied mehr zwischen ihm und Sharon. Damit hat Ben-Eliezer seiner eigenen Karriere geschadet. Haim Ramon hat einen großen Einfluß, kann aber das Vertrauen der Wählerschaft nicht gewinnen. Das Erscheinen Amran Mitznas war für mich keine Überraschung. Er gehört nicht zum politischen Establishment. Jedes andere Labour-Mitglied auf seinem Niveau hätte in dieser Krisensituation ebenso kommen können.

inn: Hätten Sie nicht als junger, aber doch in der politischen Landschaft Israels erfahrener Hoffnungsträger auftreten können?

Oshaya: Israel ist im Krieg. In dieser Situation hat nur ein Kandidat eine Chance, der einen militärischen Hintergrund im Generalsrang hat. Wenn jemand wie ich oder Ofir Pines in Israel eine Chance hat, Regierungschef zu werden, kann man ruhig sagen: Der Messias ist gekommen, die israelische Gesellschaft ist zu einer normalen Gesellschaft geworden.

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