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Interview mit Avital Ben-Chorin: „Wir geben nichts auf …“

Der von den Nazis aus München vertriebene israelische Religionsphilosoph und Schriftsteller Schalom Ben-Chorin (1913–1999) war der Wegbereiter des christlich-jüdischen Dialogs nach dem Krieg, der über 30 Bücher auf Deutsch verfasste. Mit seiner Witwe Avital Ben-Chorin (ursprünglich aus Eisenach) sprach Tobias Raschke in Jerusalem.

Sie leben seit über 60 Jahren in Jerusalem. Gab es früher auch schon Anschläge?
Ben-Chorin: Als ich am 28. April 1936 ins Land kam, herrschten bereits sogenannte Unruhen, die neun Tage vorher begonnen hatten. Es gab Schießereien und Anschläge auch in Orten, wo es keine arabische Bevölkerung gab, wie in der Bucht von Haifa. Bis zum Beginn des Weltkrieges dauerten die Angriffe, dann wurden sie von den Engländern unterbunden, die sich wichtigeren Problemen widmen mußten. Anschläge und Terror hat es leider fast immer gegeben, wie den Pogrom 1929 in Hebron, wo unbewaffnete Juden einfach massakriert wurden. Nur das Phänomen dieser furchtbaren Selbstmordanschläge gab es früher noch nicht.

Terroranschläge gehören in der Hauptstadt Israels fast schon zur Tagesordnung. Haben Sie seitdem Ihren Tagesablauf verändert?
Ben-Chorin: Ich persönlich nicht, weil ich schon einiges miterlebt habe, insbesondere die Belagerung von Jerusalem im Unabhängigkeitskrieg 1948 gehe ich damit gelassener um.

Ins Haus von Avital und Schalom Ben-Chorin kamen immer viele Besucher aus Deutschland. Fürchten sich die Menschen jetzt nach Jerusalem zu kommen?
Ben-Chorin: Gruppen kommen derzeit nicht, weil befreundete Reiseleiter zwar alleine kommen würden, aber die Verantwortung für andere nicht tragen können. Jedoch einzelne gute Freunde kommen mich – trotz der fast täglichen Anschläge und der damit verbundenen Anspannung weiter Teile der Bevölkerung – nach wie vor besuchen.

Den Oslo-Friedensprozeß und die Etablierung der Autonomie unter Arafat …
Ben-Chorin: … habe ich von Anfang an skeptisch ablehnend gesehen, weil ich den Eindruck hatte, daß unsere Verhandlungsführer wie Peres oder Beilin Träume und Illusionen vom „neuen Nahen Osten“ hatten, den ich nirgends am Horizont erkennen konnte. Insbesondere fand ich bedenklich Arafat vom Meeresgrund der Weltgeschichte hervorzuholen. Mir war klar, daß das ein alter Terrorist ist, der sich nicht ändern wird und mit dem man nicht verhandeln kann, weil er sich an nichts halten wird. So war das leider und viele Freunde geben mittlerweile zu, daß ich mit meinen Warnungen vor diesem Terroristen, der nur die Zerstörung Israels zum Ziel hat Recht gehabt habe.

Was ist das Ziel Arafats in diesem Konflikt?
Ben-Chorin: Das Ziel ist es offensichtlich nicht einen Staat zu gründen. In Europa wird es immer so dargestellt, daß alles gut und friedlich wird, wenn Arafat seinen Staat bekommt. Diesen Staat hätten die Palästinenser schon lange haben können, und zwar bereits 1947, wenn sie den Teilungsplan der Vereinten Nationen anerkannt hätten. Aber damals wollten sie das Ganze und haben den Krieg angefangen. Mehrmals hatten sie die Möglichkeit einen Staat zu errichten, aber während der jordanischen Besatzung 1948 bis 1967 wollten sie das gar nicht. Auch nach den Verhandlungen in Camp David im Juli 2000 hätte es den Staat Palästina schnell geben können. Doch sie haben das beste Angebot, das sie je bekommen haben, wieder abgelehnt und haben seitdem auf die Karte des Terrorismus gesetzt.

Wie soll man das verstehen?
Ben-Chorin: Ich habe den Eindruck, daß sie diesen Staat gar nicht wollen, sonst hätten sie ja wie wir vor der Staatsgründung angefangen einen Staat aufzubauen und hätten das nicht mit dieser Intifada aufs Spiel gesetzt. Als 1948 der Staat Israel ausgerufen wurde, war alles vom Schulsystem bis zur Verwaltung vorbereitet. Ich habe den Eindruck, daß es ihnen nicht darum geht einen Staat in der Westbank und Gaza zu bekommen, sondern sie wollen Groß-Palästina errichten, einen islamischen Staat an dessen Seite es keinen Platz gibt für Israel. Mit anderen Worten: Israel steht dem Palästinensischen Staat im Weg und muß erst vernichtet werden.

Wie wird es weiter gehen?
Ben-Chorin: Ich hoffe, daß sie bald zur Einsicht kommen – so wie bei uns -, daß man Kompromisse eingehen muß. Wir haben das seit dem UN-Teilungsplan verstanden, der auch nicht unseren Erwartungen entsprach. Wenn sie feststellen, daß sie mit Gewalt, Terror und Selbstmordanschlägen nichts erreichen, dann werden sie auf dem Verhandlungswege ihren Staat bekommen und hoffentlich in Frieden mit uns leben. Darauf warten wir.

Geben die Medien in Europa ein angemessenes Bild der Situation wieder?
Ben-Chorin: Soweit ich sehe nur ganz selten. Es wird immer die Reaktion Israels betont, aber nicht, was vorher passierte. Von den Selbstmordanschlägen mit unzähligen unschuldigen Frauen, Kindern und alten Menschen als Opfern wird unter Ferner liefen berichtet. „Nach einigen Selbstmordanschlägen“ heißt es beispielsweise im Fernsehen und es werden israelische Panzer gezeigt, ohne das klar wird, was diese Selbstmordanschläge gegen Israel eigentlich bedeuten. Die Reaktion wird groß herausgestellt, so daß ich den Eindruck habe, hier wird mit zweierlei Maß gemessen und nicht objektiv geurteilt.

Worauf führen Sie das zurück?
Ben-Chorin: Das kommt daher, daß manche Journalisten zwar exzellente Kenntnisse der aktuellen Lage haben, aber die Hintergründe und Geschichte viel zu wenig kennen, und daher nicht verstehen wie es zu dieser Situation gekommen ist. Das habe ich sogar an den Artikel des mir gut bekannten Korrespondenten der FAZ gemerkt. Die meisten kennen die Geschichte nur von heute nach hinten aufgerollt – und das reicht einfach nicht.

Zum Beispiel.
Ben-Chorin: Die Leute reden dauernd von der Besatzung als Hindernis für den Frieden, die aber größtenteils schon aufgehoben wurde mit der Übergabe der Verantwortung für die Mehrheit der palästinensischen Bevölkerung an die Palästinensische Autonomiebehörde 1994. Seitdem ist Arafat dort verantwortlich, und ich glaube mit dieser Intifada möchte er vor allem von seinem korrupten Regime mit seinen 12 Geheimdiensten und Mafiamethoden ablenken. Prinzipiell ist das Interesse Israels die Besatzung vollständig aufzuheben, und in Camp David wurde das ja auch angeboten. Die Intifada hat das verhindert.

Aber derzeit befinden sich israelische Truppen im Autonomiegebiet.
Ben-Chorin: Der Einmarsch der israelischen Armee in die autonomen Gebiete im letzten Monat nach dem brutalen Anschlag in Netanja am Seder-Abend ist nur vorübergehend. Das Ziel ist Terroristen insbesondere die Rädelsführer festzunehmen, die –entgegen der Verträge – von Arafat freigelassen wurden. Die Autonomiebehörde fördert und finanziert den Terror, wie sich auch belegen läßt mit Dokumenten, die wir in Ramallah gefunden haben. Abgesehen von wenigen Israelis glauben jetzt alle, daß Arafat und seinen Leuten nicht zu trauen ist.

Die Siedlungen behindern den Frieden.
Ben-Chorin: Eigentlich wurde das Problem der Siedlungen längst in Camp David gelöst, und Israel ist zu Kompromissen bereit und hat sogar einen Landtausch angeboten. Die einzige Antwort von Arafat darauf war eine blutige, die fast jeden Tag unbeteiligte Zivilisten zu Opfern macht. Auch finde ich es schon komisch, wenn Juden nicht in Judäa siedeln dürfen sollen.

Was sagen Sie zu den Brandanschlägen auf Synagogen in Frankreich und dem wieder aufflackernden Antisemitismus?
Ben-Chorin: Es ist sehr bedauerlich, daß der Antisemitismus nicht auszulöschen ist, und sich jetzt in einer Anti-Israel-Haltung verkleidet. Auch in Deutschland spürt man, daß die Menschen Mitleid mit den armen schwachen Palästinensern „den Opfern“ haben. Auch ich habe Mitleid mit den Palästinensern, denen diese Intifada mehr von ihrem Diktator aufgezwungen wurde. Nur traut sich das keiner dort laut zu sagen, weil sein Leben sonst verwirkt ist. Arafats Geheimdienste schlagen schnell und brutal zu, vor allem gegen die eigene Bevölkerung.

Erinnert Sie das an die NS-Zeit?
Ben-Chorin: Ich habe mir angesichts meiner Erfahrungen in den 30er Jahren in Deutschland nicht vorstellen können, daß wir so etwas wieder erleben müssen. Ich glaube, daß Äußerungen und Hetze gegen Israel oft von Arabern und Muslimen in Europa geschürt werden. Die vielen Fahnen und das Geschrei bei solchen Demonstrationen ist fürchterlich und erinnert mich stark an das Dritte Reich. Das Schlimmste ist jedoch, wie die Araber die Shoah leugnen, und arabische Zeitungen sind in ihrer Aufhetzung gegen Juden und Israel bösartig wie das NS-Hetzblatt „Der Stürmer“. Das schlimmste aber ist die Hetze in den palästinensischen Schulbüchern – finanziert von der EU übrigens – die weitere Generationen zu Haß und Krieg anstatt Toleranz und Frieden erziehen.

Die Menschen in Israel sind ziemlich niedergeschlagen.
Ben-Chorin: Das stimmt, aber wir geben nicht auf, denn es geht um unser Leben, um unsere Existenz in einem freien demokratischen Staat Israel. In Deutschland bin ich dagegen ziemlich neidisch, wenn ich die vollen Lokale, sehe, denn bei uns fürchten sich angesichts der Selbstmordanschläge viele Cafes oder Restaurants aufzusuchen. Die wirtschaftliche Situation hat sich auch verschlechtert.

Es gibt ein gewaltiges soziales Problem angesichts der steigenden Arbeitslosigkeit, so daß sich die Leute auch weniger leisten können.
Der am Boden liegende Tourismus schadet Israel sehr, aber ebenso den Palästinensern. Von arabischen Händlern in der Altstadt von Jerusalem, die ich schon lange kenne, habe ich bereits in der ersten Intifada gehört, daß diese Terroristen „verrückt sind“ und vor allem das Geschäft und damit einen wirtschaftlichen Aufschwung in der ganzen Region verhindern.

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