Als Völkerrecht gilt die 4. Genfer Konvention, Kapitel 49 § 4, in der einem Besatzer-Staat ausdrücklich verboten wird, seine Bevölkerung in besetztes Staatsgebiet zu „deportieren oder zu transferieren“. Da das von Israel besetzte „Westjordanland“ mitsamt Ostjerusalem seit dem Fall des Osmanischen Reiches 1917 keinem Staat gehört hat, stellt sich die Frage, ob es wohl einen „jüdischen Siedler“ gibt, der in die südlichen Stadtviertel von Jerusalem oder anderswohin „deportiert“ worden wäre. Das haben bisher selbst die Palästinenser noch nie behauptet.
Der Osten Jerusalems, mitsamt dem alten jüdischen Viertel in der Altstadt, der Klagemauer und dem 3.000 Jahre alten jüdischen Friedhof mit etwa einer halben Million Gräbern, sowie die zuletzt von europäischen Kreuzfahrern errichtete Grabeskirche, werden als „traditionell arabisch“ bezeichnet. Die „Tradition“ entstand, weil dieser Stadtteil 19 Jahre lang unter jordanischer Okkupation stand. Jordanien hatte zwischen 1949 und 1967 den Osten der Stadt besetzt und dann ebenso völkerrechtswidrig annektiert, wie es Israel später getan hat. Allein Pakistan erkannte die jordanische Annexion Ost-Jerusalems an.
EU: Israelische Annexion Ost-Jerusalems nie anerkannt
Wie die Europäische Union in einer Erklärung ihrer Präsidentschaft am Mittwoch offiziell mitteilte, habe sie niemals die (israelische) Annexion Ost-Jerusalems 1967 anerkannt. „Vorhaben der israelischen Regierung“ widersprächen deshalb wiederholten Aufrufen der internationalen Gemeinschaft. Die EU bezeichnet in ihrer Erklärung den Bau von 900 Wohneinheiten im Süden Jerusalems als „Vorhaben der israelischen Regierung“. Obgleich die Jerusalemer Stadtverwaltung dafür die Verantwortung trägt, ist anzunehmen, dass auch der Bau von Hunderten Wohnungen im angrenzenden Viertel Beth Safafa ebenfalls als „Aktion der israelischen Regierung“ gilt und genauso den internationalen Aufrufen widerspricht.
Nachdem sogar der Amerikaner-Präsident Barack Obama (in Anlehnung an die Formulierung Palästinenser-Präsident) in China öffentlich den geplanten Bau von 900 Wohnungen in der „Siedlung“ Gilo kritisiert hat, erneuerte der Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas seine Weigerung, mit dem als „Hardliner“ verrufenen Premierminister Benjamin Netanjahu die Friedensverhandlungen zu erneuern.
Mit der Veröffentlichung der geplanten Errichtung weiterer 5.000 Wohneinheiten im widerrechtlich annektierten Ost-Jerusalem ist vermutlich nicht mit zusätzlichen internationalen Protesten zu rechnen, da die Wohnungen für Araber und nicht für Juden bestimmt sind. Die Wohnungen sind in den arabischen Siedlungen (früher nannte man das Dörfer oder Stadtviertel) Tel Edasa, Aswahara, Beit Zafafa, Dschebel Mukaber sowie in Abu Tor und Zur Bacher geplant. Bürgermeister Nir Barkat widersprach erbost dem US-Präsidenten: „Israelisches Gesetz diskriminiert nicht zwischen Juden, Moslems und Christen oder zwischen West- und Ost-Jerusalem. Die Forderung eines Baustopps gemäß der Religionszugehörigkeit (gemeint sind Juden) ist weder in den USA noch in anderen Ländern der freien Welt legal. Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendeine Regierung einen Baustopp in den USA wegen Rasse, Religion oder Geschlecht fordern würde. Dieses in Jerusalem einzufordern ist doppelzüngig und undenkbar.“
Sind christliche Wohnungen ein Friedenshindernis?
Da der israelischen Regierung laut EU-Erklärung jegliche „Aktionen” verboten sind, müsste auch der Bau von 5.000 neuen Wohneinheiten für arabische Bewohner der Stadt als ein Hindernis für den Frieden gesehen werden. Es sei denn, dass wirklich nur jüdische oder vielleicht auch christliche Wohnungen, nicht aber muslimische, ein Friedenshindernis sind.
Die neueste EU-Erklärung erwähnt nicht, dass auch das „traditionell jüdische West-Jerusalem“ niemals als Teil des Staates Israel anerkannt worden ist. Grundsätzlich betrachten die EU-Staaten und sogar die USA immer noch den von arabischen Staaten abgelehnten Teilungsplan der UNO von 1947 als Grundlage für die Grenzziehung zwischen einem „jüdischen Staat“ (den nicht einmal die Palästinenser in dieser Formulierung akzeptieren) und einem „arabischen“ Staat (den Begriff „Palästinenser“ gibt es erst seit 1968).
In jüngster Zeit erklärte der Luxemburger Generalstaatsanwalt der EU, Yves Bot, bei einem Rechtsstreit wegen Zollfragen die im Teilungsplan von 1947 vorgesehenen Grenzen für „international anerkannt“. Das bedeutet freilich, dass der Süden von Tel Aviv, Be´er Scheva, Nazareth, Akko und Naharija nicht Teile des Staates Israel wären. Jerusalem und Bethlehem sollten laut Teilungsplan weder zum jüdischen noch zum arabischen Staat gehören, sondern internationalisiert werden.
Das ist der Grund, weshalb alle Staaten der Welt ihre Botschaften in Tel Aviv eingerichtet haben und sich weigern, nach Jerusalem umzuziehen. Unklar ist, weshalb die Völkergemeinschaft die Forderung der Palästinenser, Ost-Jerusalem als ihre Hauptstadt einzufordern, unwidersprochen akzeptiert, obgleich laut Völkerrecht ganz Jerusalem weder Juden noch Moslems zusteht, sondern nur dem christlichen dominierten UNO-Sicherheitsrat. Immerhin halten sich die Staaten der Welt an das Völkerrecht, indem sie den Juden seit 1949 jegliche Anrechte auf den „jüdischen“ Westen der Stadt konsequent verweigern.
„Was 1965 geschehen ist, interessiert heute nicht mehr“
Mitteleuropäische Diplomaten kannten diese Komplikationen gar nicht. Obgleich die deutsche Botschaft schon 1965 in Tel Aviv eingerichtet wurde, also noch bevor Israel Ost-Jerusalem eroberte, meinte ein Diplomat im Privatgespräch, dass die Bundesrepublik nicht die israelische Selbstdarstellung von 1980 akzeptiere, Jerusalem mitsamt dem Osten als „ewige und unteilbare Hauptstadt“ zu betrachten. Was 1965 geschehen sei, also lange vor dieser israelischen Verkündigung, sei „Geschichte und interessiert heute nicht mehr“.
Die Frage, wieso die „illegale Besetzung“ Ost-Jerusalems politisch oder qualitativ schlimmer sei, als die ebenfalls niemals anerkannte und deshalb illegale Besetzung des Westens der Stadt, wo sich Israels Regierung und Parlament befinden, konnten die Diplomaten nicht beantworten. Falls der Bau von 5.000 Wohneinheiten für Araber in Jerusalem (mit dem Segen der israelischen Regierung) kein Hindernis für den Frieden bedeutet, im Gegensatz zu 900 neuen Wohnungen für Juden, dann sollten die Amerikaner und die EU (von Arabern und Anderen ganz zu schweigen) endlich mal ihr wahres Ziel formulieren.
Meinen sie es ernst mit der 1947 vorgeschlagenen „Internationalisierung“ Jerusalems, wobei der von christlichen Staaten kontrollierte Sicherheitsrat das Sagen in der Heiligen Stadt haben sollte, keinesfalls aber Juden oder Moslems? Dann sollten sie konsequent auch die Forderungen der Palästinenser ablehnen, in Ost-Jerusalem ihre Hauptstadt einzurichten. Oder aber geht es ihnen nur darum, Jerusalem „judenfrei“ zu machen, zumal sie nicht einmal West-Jerusalem als Teil Israels anerkannten und Ost-Jerusalem schon gar nicht? Dann mögen Präsident Obama und die EU-Präsidentschaft das doch offenherzig eingestehen und kein doppelzüngiges Theater um illegal besetztes (West-Jerusalem) und noch illegaler besetztes Gebiet (Ost-Jerusalem) betreiben. Die USA und die EU sollten entscheiden, was sie als Völkerrecht betrachten: den Teilungsplan von 1947, die Waffenstillstandslinien von 1949 (auch Grüne Linie oder „Grenzen von 1967“ bezeichnet), die grundlegende UNO-Resolution 242 von 1967 oder die Osloer Verträge.
Auch Palästinenser betreiben Siedlungspolitik
Solange die internationale Gemeinschaft selbst nicht beschlossen hat, was sie für gültiges Recht hält, schürt sie den Konflikt, indem Palästinenser wie Israelis jede Gelegenheit nutzen, mit „Fakten“ ihre jeweiligen widersprüchlichen Interessen in die Gegend zu betonieren. Denn nicht nur die Israelis betreiben eine „Siedlungspolitik“, sondern genauso die Palästinenser. Sie bauen wild und ohne Baugenehmigung ihre Häuser und mobilisieren dann die internationale Gemeinschaft, den Abriss dieser illegal errichteten Häuser als Schikane, Diskriminierung und israelischen Verstoß gegen Völkerrecht zu verurteilen.