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Kein Raum in der Herberge – Flüchtlingselend in Israel

Vor 2.000 Jahren irrte schon einmal eine Familie aus Galiläa durch Jerusalem. Das Fazit war: „Sie fanden keinen Raum in der Herberge.“ Fuad und René sind mit ihren Kindern Riham, Suheir, Laurence und Roger auf der Suche nach einer Bleibe. In das Haus, das sie in Haifa bewohnen, hat eine Rakete direkt eingeschlagen. Jetzt bekommen sie überall in Jerusalem, sei es in Luxushotels oder in Pilgerherbergen, in christlichen Klöstern, in Jugendherbergen oder Privatwohnungen immer dieselbe Antwort: „Es ist alles voll.“ Hunderttausende von Flüchtlingen aus dem Norden Israels haben sich nach Süden abgesetzt und sind bei Verwandten, Freunden oder eben auch in Hotels untergekommen.

Bei der Explosion in Haifa wurde die achtjährige Nichte von René schwer verletzt. Das Mädchen liegt im Tel HaSchomer-Krankenhaus und wird nie mehr sehen können. Die Rakete der Hisbollah, die eigentlich jüdische Existenz im Land Israel hätte auslöschen sollen, hat dem kleinen arabischen Mädchen das Augenlicht genommen. Hilflos sitzt ihr Onkel Ilia am Krankenbett. Auch er ist jetzt heimatlos.

Die Geschichte der Großfamilie Abu Hnim, zu der Fuad, René und Ilia gehören, ist doppelt tragisch. Im Februar 2005 mussten sie aus ihrem Heimatdorf Mrar in Galiläa fliehen. Durch Auseinandersetzungen mit der drusischen Bevölkerungsmehrheit in dem malerischen Bergdorf war das Leben dieser arabischen Christen bedroht. Haltlose Gerüchte, Christen hätten schamlose Bilder von Drusenmädchen ins Internet gestellt, hatten Unruhen ausgelöst. Das Ergebnis war, dass mehr als 50 Häuser und ungefähr 200 Autos zerstört wurden. Insgesamt entstand ein Sachschaden von mehr als 40 Millionen US-Dollar. Mehr als 100 Christen mussten Mrar verlassen.

Die Drusen sind eine Volksgruppe mit einer Geheimreligion, die sich im 10. Jahrhundert nach Christus vom Islam abgespalten hat. Sie leben heute im Libanon, in Syrien und in Israel. Man weiß nicht viel über ihre Glaubensinhalte, klar ist allerdings, dass sie ihrem jeweiligen Staat sehr loyal gegenüber stehen. Deshalb haben es Drusen im israelischen Sicherheitsapparat zu Positionen im Generalsrang gebracht. Der große Einfluss der Drusen im israelischen Sicherheitsapparat ist vermutlich der Grund dafür, dass die israelische Polizei das Problem von Mrar unter den Teppich wischt. Niemand wurde je angeklagt, geschweige denn verurteilt. Die Familie Abu Hnim lebt aus Angst vor Blutrache im Untergrund – und jetzt ist sie auch noch auf der Flucht vor den Raketen aus dem Norden.

Bei der Fahrt auf der Suche nach einer Bleibe in den arabischen Stadtteilen Jerusalems erinnert Fuad daran, dass „Arkadi, der russisch-israelische Milliardär, für 400 Familien aus Nordisrael“ eine Unterkunft gespendet hat. „Aber so etwas kommt bei uns nicht vor“, meint Abu Salim, wie Fuad gemeinhin nach seinem ältesten Sohn genannt wird, der in einem Hotel in Eilat arbeitet. Frustriert und vermutlich unbewusst spricht er damit ein Grundproblem im Nahostkonflikt an, das vielfach vergessen wird.

Seit Gründung des Staates Israel gab es nämlich nicht nur arabische, sondern immer wieder auch jüdische Flüchtlinge. In den Jahren 1948/49 während des Unabhängigkeitskrieges Israels hat tatsächlich zahlenmäßig ein Bevölkerungsaustausch zwischen dem jüdischen Staat und seinen arabischen Nachbarn stattgefunden. Der gravierende Unterschied war dabei immer, dass jüdische Flüchtlinge möglichst schnell und mit viel Privatinitiative integriert wurden, während auf arabischer Seite propagandistisch Kapital aus dem Elend der Heimatlosen geschlagen wurde.

Obwohl Fuad alias „Abu Salim“ sich darüber im Klaren ist und die Härte seiner eigenen Kultur bis zur Blutrache am eigenen Leibe erfahren hat, sucht er die Schuld für seine Misere beim Staat Israel. „Anstatt den Arabern zu geben, was ihnen zusteht, haben die Juden immer wieder genommen“, erklärt der christlich-arabische Israeli verbittert. „Und dann haben sie geschossen, so dass immer mehr Leute sich den Extremisten von der Hisbollah und der Hamas zuwenden.“

Boas Kehati lebt in einer der umstrittenen jüdischen Siedlungen in Samaria und ist einer der wenigen Freunde, die Fuad und seiner Familie effektiv helfen. Er hat vor eineinhalb Jahren den Blutrache-Flüchtlingen in Haifa eine Wohnung zur Verfügung gestellt und er setzt jetzt wieder alle Hebel in Bewegung, um für die von der Hisbollah ausgebombte Familie ein Dach über den Kopf zu bekommen. Boas stammt aus einer alten jüdischen Familie, die erst 1929 von ihren arabischen Nachbarn im Rahmen eines blutigen Pogroms aus Hebron vertrieben wurde. Er spricht so gut Arabisch und sieht so orientalisch aus, dass er sich unerkannt in der arabischen Gesellschaft bewegen kann.

„Die Araber haben Blut geschmeckt“, meint Boas, der um die Einstellung und den Seelenzustand seines arabischen Freundes weiß. „Nicht nur bei den Palästinensern und in den umliegenden arabischen Ländern, sondern auch bei den israelischen Arabern ist ein Stimmungsumschwung spürbar. Dass 5.000 Hisbollah-Kämpfer in vierzehn Tagen von der israelischen Armee nicht besiegt werden konnten, ist schon fast eine Niederlage. Was könnten dann Hunderttausende von Arabern ausrichten, fragen sich jetzt viele Araber.“

Ein Symptom dieser Einstellung dürfte auch die Tatsache sein, dass der Vater von zwei arabischen Jungen, die in Nazareth durch eine Rakete ums Leben kamen, nicht etwa den „Bruder Hassan Nasrallah“ anklagte, sondern den Staat Israel. Hisbollah-Chef Nasrallah hat sich mittlerweile bei der Nazarether Familie entschuldigt und die Jungen zu Märtyrern erklärt. Boas Kehati sieht ganz klar: „Wenn wir die Hisbollah jetzt nicht wirklich besiegen, steht der nächste Krieg schon vor der Tür.“

Riham, die älteste Tochter von Fuad, macht im nächsten Jahr Abitur und möchte dann Journalismus studieren. „Aber es gibt keine Gleichberechtigung in Israel und deshalb habe ich als Araberin auch keine Möglichkeit, meine Meinung frei zu äußern“, stimmt die Gymnasiastin in das alte arabische Klagelied mit der üblichen Schuldzuweisung ein: „Vielleicht werde ich doch lieber Sozialpädagogin.“ Den Einwand, dass sie wohl nirgends im Nahen Osten so viel Meinungsfreiheit genießt, wie im jüdischen Staat Israel, quittiert ihre Mutter René mit einem nickenden Lächeln: „Du musst sehen, es geht uns hier besser, als in jedem arabischen Land.“

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