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Kadim und Ganim vor der Räumung – Eine Lagebeschreibung aus dem Norden Samarias

Ganz genau erklärt der Soldat an der Dschalameh-Straßensperre den Weg. Er will sicher gehen, dass niemand, dem er Durchlass gewährt, aus Versehen nach Dschenin hineinfährt, in die Hochburg palästinensischen Terrors. In Sichtweite liegt auf einem bewaldeten Hügel die Siedlung Kadim. Der Wegweiser an der letzten Abzweigung den Berg hinauf steht leicht vorn übergebeugt, zeigt nach unten, so als wolle er etwas über die Zukunft des Ortes sagen. Kadim gehört neben Ganim, Sanur und Chomesch zu den vier israelischen Ortschaften in Nordsamaria, die im Laufe des Sommers geräumt werden sollen – wenn es nach den Plänen der Regierung Scharon geht.

Debbi Drori ist am 19. Februar 1984 mit ihrem Mann und zwei Kindern als erste Familie nach Kadim gezogen. „Der damalige Verteidigungsminister Jitzhak Rabin hat uns als Gesandte des Staates Israel hierher geschickt, um durch die Besiedlung des Landes das Recht Israels auszudehnen“, erklärt sie. Die Anfangszeit in den provisorischen Caravans war schwer. Wenige Tage nach den Droris kamen noch vier Familien. Bald wurde auch das dritte Kind der Familie Drori geboren, die Tochter Schiran, das erste Kind von Kadim. „Ganz, ganz langsam sind wir gewachsen“, erinnert sich Debbi, bis auf eine Gemeinschaft von heute 33 Familien mit insgesamt etwa 150 Mitgliedern.

„Ich glaube, dass dies das Land Israel ist!“ Debbi Drori bemüht sich als Sprecherin der Dorfgemeinschaft ihre Sicht der Dinge zu erklären. Sie verweist auf die historischen Wurzeln. Im benachbarten arabischen Dorf mit dem Namen „Beit Kad“ wurden alte jüdische „Kadim“, zu Deutsch „Krüge“, gefunden. „Die Araber haben 24 Staaten, wir Juden haben nur diesen einen.“ Debbi schildert engagiert ihre Beziehung zu der ihr lieb gewordenen Heimat, von der aus man bei klarer Sicht den syrischen Hermon und die Mittelmeerstadt Haifa sieht, und versteigt sich dann zu dem Satz: „Ein Volk ohne Land hat kein Existenzrecht!“ Und: „Es gibt kein Land für zwei Völker!“

Auch wenn Debbi Drori den Platz und die Zukunft der Palästinenser in den umliegenden arabischen Staaten sieht, zählt sie sich doch nicht zu den Extremisten. Die Beziehungen zu den arabischen Nachbarn seien bis zum Ausbruch der Intifada gut gewesen, beteuert sie, und noch heute ruft man sich an, wenn es zu Kampfhandlungen in der Gegend kommt, um sich zu versichern, dass alles okay ist. „Die Palästinenser können hier bleiben“, meint Debbi und spricht sogar davon, ihnen israelische Staatsbürgerschaft zu geben. „Sie können hier leben, wenn sie uns hier auch leben lassen.“

Während die Siedlersprecherin all das erzählt, liegt ihre kleine Ortschaft wie ausgestorben da, und das trotz der Schulferien zum jüdischen Purimfest. Irgendwann tauchen zwei Kinder auf und fangen an, auf dem Spielplatz herum zu turnen. Eine Trommel ruft, fast wie im afrikanischen Busch, die Soldaten zum Mittagessen. Ansonsten Stille.

Entlang den Betonfassaden, die den direkten Beschuss der Bewohner von Kadim unmöglich machen sollen, vorbei am gerade erst fertig gestellten, elektronischen Hochsicherheitszaun, geht der Weg zurück zur Hauptstraße. Der Wegweiser nach Ganim, der benachbarten Siedlung, ist ganz „auf die Schnauze gefallen“ und im Gestrüpp verschwunden. Die Situation dort ist nicht viel anders. Bauruinen und nicht fertig gestellte Straßen bezeugen, dass auch hier die Bewohner seit Jahren in Ungewissheit über ihre Zukunft leben.

Debbi Drori hatte die Formbriefe vorgezeigt, die von der Räumungsbehörde der israelischen Regierung an die Bewohner der Siedlungen versandt worden war. Ein Offizier der israelischen Armee hatte ihnen vor einiger Zeit erklärt, dass die Gegend am 21. April 2005 zur geschlossenen militärischen Zone erklärt werden soll. Bis um Mitternacht des 20. Juli soll dann alles geräumt werden. Aber den vom Gesetz geforderten persönlichen Räumungsbescheid hat bislang noch niemand bekommen – und danach sollte man, so erklärt Debbi Drori, eigentlich noch fünf Monate Zeit haben. Auch weiß niemand genau, welche Reparationen wer wann bekommt. „Und wie sollen wir ohne Geld eine Alternative aufbauen?“ Drori erzählt, wie die Familien von Kadim jedes Wochenende im Land unterwegs sind – und dann enttäuscht zurückkommen, weil es keine Alternative gibt. Ist die ganze Räumungsdiskussion vielleicht doch nur ein politisches Täuschungsmanöver?

Zwischen Kadim und Ganim liegt das „Machane Kadim“, ein Stützpunkt der israelischen Armee. Weder in dem hochmodernen, kugelsicheren Wachturm direkt daneben, noch in den verfallenden Baracken ist eine Soldatenseele zu entdecken. Das schwere eiserne Eingangstor hängt schief und halb offen. So eine ähnliche Atmosphäre muss hier wohl herrschen, wenn die Palästinenser das Gebiet übernehmen. Das „Machane Kadim“, zumindest, hat die Armee bereits sich selbst überlassen. Ist das ein Hinweis darauf, dass der Rückzug vielleicht schon begonnen hat?

Auf dem Rückweg stehen da wieder die schiefen Straßenschilder. Wo die Wegweiser nach Kadim und Ganim abwärts zeigen, weist das Schild nach Afula, der nahe gelegenen israelischen Stadt in der Jesreel-Ebene, steil nach oben. Debbi Drori bezweifelt, dass die Zukunft Afulas nach einem Rückzug aus Kadim rosig ist. „Afula wird zu Sderot werden“, munkelt sie mit Verweis auf die Stadt am Rande des Gazastreifens, die seit Monaten unter dem Beschuss palästinensischer Kassam-Raketen leidet. Die Festnahme einer Zelle des Islamischen Dschihad in der letzten Märzwoche in Dschenin durch israelische Sicherheitskräfte, scheint diese Befürchtungen zu bestätigen. Die palästinensischen Aktivisten waren beim Bau von Raketen erwischt worden.

Debbi Drori ist notfalls bereit, ihr Lebenswerk in Kadim einem Frieden zu opfern. „Wir sind keine Extremisten“, betont sie. Außerdem hat ihre mittlerweile 21jährige Schiran, die zur Zeit beim Militär ist, erfahren, dass ihre Brigade zur Räumung von Kadim und Ganim eingesetzt werden soll. „Diese Soldaten sind unsere Kinder“, erklärt Debbi leidenschaftlich, „und wir werden uns nicht gegen unsere Kinder zur Wehr setzen! – Aber wenn wir hier weg müssen, dann wollen wir etwas dafür bekommen, wenigstens Ruhe und Frieden. Und das haben wir bisher noch nie erlebt!“ Debbi Drori erinnert sich nur zu gut an die Zeit im Moschav Olesch, wo sie in den 50er Jahren aufgewachsen ist: „Damals waren alle heute besetzten Gebiete in arabischer Hand – und trotzdem haben wir ständig mit der Bedrohung des arabischen Terrors leben müssen…“

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