Suche
Close this search box.

Jüdische Scheidung in Israel

Etwa jede dritte jüdische Ehe in Israel wird geschieden. Die Tendenz steigt jedes Jahr. Nur während des zweiten Libanonkrieges sank die Zahl der Scheidungsanträge um 30 Prozent. Ein Teil der bereits gestellten Scheidungsanträge wurde sogar zurückgezogen, vor allem an Orten, die unter dem Raketenbeschuss der Hisbollah litten. Die lebensbedrohliche Situation hat anscheinend manchen Menschen geholfen, sich darüber klar zu werden, worauf es im Leben eigentlich ankommt. Außerdem: Als die Familien Tage und Nächte miteinander im Bunker verbringen mussten, erübrigte sich offensichtlich das Problem, keine Zeit füreinander zu haben.

Der orthodoxe Rabbiner Schraga Simons, der in Israel lebt, äußerte sich zu Scheidung in einer Internetberatung für jüdische Paare folgendermaßen: „Die Tora sagt, dass durch eine Ehe Mann und Frau ‚ein Leib’ werden (1. Mose 2,24). ‚Ein Leib’ bedeutet, dass die Verpflichtung in der Ehe dasselbe ist, wie die Verpflichtung gegenüber der eigenen Hand. Was für eine Verpflichtung habe ich meiner eigenen Hand gegenüber? ‚Ich bin‘ meine Hand! Ich werde die Verpflichtung meiner Hand gegenüber nicht anzweifeln, wenn sie gebrochen, hässlich oder vernarbt wird oder wenn ich jemandem mit schöneren Händen begegne. Ich werde diese Verpflichtung nur in Erwägung ziehen, wenn sie mein Leben in Gefahr bringt, das heißt, wenn meine Hand mich umbringen könnte, beispielsweise durch Wundbrand. Die Eheverpflichtung ist gültig, solange sie nicht tötet. Es gibt Ehen, die in eine destruktive Situation des Missbrauchs verfallen. In solchen Fällen ist Scheidung angemessen. Das ist aber nicht der Fall bei den meisten Ehen, die heute geschieden werden.“

Eheschließungen und Scheidungen sind im Staat Israel eine Angelegenheit der jeweiligen Religionsgemeinschaften. So war es seit der osmanischen Herrschaft. Das Rabbinat ist für jüdische Eheschließungen, islamische Scharia-Gerichte für moslemische, drusische Gerichte für die Hochzeiten der Drusen und Geistliche verschiedener Denominationen für die entsprechenden christlichen Eheschließungen zuständig. So sind in Israel für die Ehescheidungen von Juden auch die rabbinischen Autoritäten auf der Grundlage des jüdischen Gesetzes verantwortlich. Außer in Fragen des Eigentums halten sich staatliche Gerichte aus dieser Privatsphäre heraus.

Im Jahr 1994 hat das Oberste Gericht beschlossen, dass die rabbinischen Gerichte im Falle einer Scheidung bei der Teilung des Besitzes das Gleichheitsprinzip anzuwenden haben, auch wenn das dem jüdischen Recht widersprechen sollte. Über Erziehungsrechte und Unterhaltszahlungen entscheiden die rabbinischen Gerichte, falls die Beteiligten nicht vorher Anträge bei einem zivilen Familiengericht gestellt haben. Die Familiengerichte geben den religiösen Gerichten den Vorrang und werden nicht eingreifen, wenn die religiösen Gerichte schon eine Entscheidung getroffen haben. Deswegen eilen die Parteien zu der Instanz, von der sie sich die bessere Vertretung ihrer jeweiligen Interessen erhoffen.

Nach jüdischem Gesetz ist Scheidung möglich und kann unter bestimmten Umständen sogar notwendig sein. Deswegen gehört sie zu den 613 Geboten. Unausweichlich ist Scheidung im Falle von so genannten verbotenen Ehen, beispielsweise unter nahen Verwandten. In 5. Mose 22,20-21 wird geboten, eine Frau, die bei ihrer Hochzeit nicht mehr Jungfrau ist, aus dem Haus zu führen und zu steinigen. Heute ist im orthodoxen Judentum eine Frau, die Ehebruch begangen hat, für ihren Mann verboten, woraus die Notwendigkeit der Scheidung erfolgt. Nach rabbinischem Gesetz darf eine Frau auch nicht den Mann heiraten, mit dem sie Ehebruch begangen hat. Im Vergleich zu der in der Bibel angeordneten Steinigung, die auch für Männer gilt, ist das eine Erleichterung (5. Mose 22,20-27).

Verboten ist in der Heiligen Schrift eine Scheidung einem Mann, der seine Ehefrau falsch beschuldigt hat, sie sei bei der Hochzeit keine Jungfrau gewesen. Den Eltern des Mädchens, über das er ein böses Gerücht gebracht hat, muss er eine Geldbuße zahlen „und er soll sie als Frau behalten und darf sie sein Leben lang nicht entlassen“ (5. Mose 22,13-19). Dasselbe gilt für einen Mann, der eine Jungfrau „ergreift und ihr beiwohnt“. Er „soll sie zu Frau haben… er darf sie nicht entlassen sein Leben lang“ (5. Mose 22,28-29). In diesen beiden Fällen kommt Scheidung nicht mehr in Frage.

Im Buch Esra wird die Rückkehr des israelischen Volkes aus der babylonischen Gefangenschaft geschildert. Esra, „ein Schriftgelehrter, kundig im Gesetz des Mose, das der Herr der Gott Israels gegeben hatte“ (Esra 7,6), entscheidet auf Rat des Schechanja, alle zurückgekehrten Männer aufzufordern, sich von ihren heidnischen Frauen und Kindern zu trennen. „Das Volk Israel und die Priester und Leviten haben sich nicht abgesondert von den Völkern des Landes mit ihren Gräueln, nämlich von den Kanaanitern, Hethitern, Perisitern, Jebusitern, Ammonitern, Moabitern, Ägyptern und Amoritern; denn sie haben deren Töchter genommen für sich und für ihre Söhne, und das heilige Volk hat sich vermischt mit den Völkern des Landes.“ In 5. Mose 7,3-4 heißt es ausdrücklich: „Eure Töchter sollt ihr nicht geben ihren Söhnen, und ihre Töchter sollt ihr nicht nehmen für eure Söhne. Denn sie werden eure Söhne mir abtrünnig machen…“

Aus dem Babylonischen Talmud, Traktat Ketuboth 2,9, geht hervor, dass ein Priester namens Sacharia ben HaKazav auf Grunde des Gesetzes zur Scheidung gezwungen wurde. Ein Priester darf nicht eine Frau heiraten, die in fremder Gefangenschaft war. Zacharia ben HaKazav und seine Frau befanden sich im belagerten Jerusalem. Obwohl er geschworen hatte, dass sie die ganze Zeit zusammen waren, wurde ihm entgegnet, dass niemand ein Zeuge für sich selbst sein kann. Und in 3. Mose 21,7 wird Priestern ausdrücklich verboten eine geschiedene Frau zu heiraten.

Aus 5. Mose 24,1 und anderen Stellen in der Bibel geht hervor, dass ein Mann, der sich entschieden hat, „seine Frau zu entlassen“, ihr einen Scheidebrief geben soll. Der Scheidebrief, hebräisch „Get“, ist bis heute für orthodoxe Juden sehr wichtig. Ein „Get“ kann nur für ein bestimmtes Paar ausgestellt werden, von einer Person, die sich im jüdischen Gesetz auskennt. Der „Get“ muss vor Zeugen geschrieben werden. Ein vorgedrucktes Formular ist nicht gültig. Der Mann ist derjenige, der den Scheidebrief gibt und die Frau diejenige, die ihn annimmt. In dem Moment, in dem der „Get“ übergeben wurde – was auch durch eine dritte Person geschehen kann –, ist die Ehe geschieden. Beide Parteien sind dann frei, jemanden anderen zu heiraten.

Jüdische Frauen, ob kinderlos oder mit Kind geschieden, äußern oft den Wunsch, weitere Kinder zur Welt zu bringen. Sie wollen mit einer neuen Ehe meist nicht lange warten. In Israel gibt es Fälle, in denen der Mann seine Frau unter Druck setzt, indem er ihr den unterschriebenen „Get“ nicht übergibt. So bleibt sie an ihn gebunden. Wenn sie trotzdem heiratet, bevor sie den Scheidebrief bekommen hat, ist ihre Ehe aus religiöser Sicht Ehebruch und ihre Kinder illegitim, das heißt, „Mamserim“. Das rabbinische Gericht hat theoretisch die Autorität Druck auf den Ehemann auszuüben, etwa indem der Führerschein, der Reisepass, oder die Kreditkarte eingezogen wird. Sogar eine Gefängnisstrafe ist möglich. Aber diese Mittel werden nur selten eingesetzt.

Wenn die Frau ihrerseits das Einverständnis zur Scheidung versagt und den Scheidebrief nicht annimmt, ist sie offiziell nicht geschieden. Der Mann ist dann nach jüdischem Gesetz verpflichtet, sie materiell zu unterstützen. Sanktionen gegen solche scheidungsunwilligen Frauen müssen vom Präsidenten des höchsten rabbinischen Gerichts bestätigt werden. Wenn ein geschiedenes jüdisches Paar die religiösen Gesetze nicht beachtet hat, wird es im Falle einer Wiederheirat mit einem jüdischem Partner gezwungen, nachträglich den Scheidebrief zu besorgen.

Zur heutigen Form des jüdischen religiösen Scheidungsrechts haben zwei mittelalterliche Rabbiner entscheidend beigetragen. Rabbi Gerschom aus Mainz schrieb, dass es nicht erlaubt sei, eine Frau ohne ihr Einverständnis zu entlassen, außer im Falle von Ehebruch. Und Rabbi Mosche ben Maimon gibt im Falle einer gegenseitigen Abneigung auch der Frau das Recht zur Scheidung. Eine der ersten jüdischen Frauen, die in der Habsburger Monarchie im Jahre 1796 eine zivile und rabbinische Scheidung aufgrund einer ansteckenden Geschlechtskrankheit ihres Mannes erreicht hat, war Rachele Morschene aus Triest. Ihr Fall führte zu einer neuen Beurteilung des Scheidungsprozesses bei religiösen und staatlichen Autoritäten und hat den Frauen mehr Möglichkeiten verschafft.

Nach heutigem rabbinischem Recht kann ein Mann oder eine Frau die Scheidung beantragen. Beide müssen zustimmen, außer in Fällen, wo ein Ehepartner das Recht auf Scheidung hat. In 2. Mose 21,11 wird der Fall behandelt, wenn ein jüdisches Mädchen als Sklavin verkauft wurde und dem Sohn des Besitzers zur Frau gegeben wurde. Wenn dieser sich dann noch eine andere Frau nimmt, „so soll er der ersten an Nahrung, Kleidung und ehelichem Recht nichts abbrechen. Erfüllt er an ihr diese drei Pflichten nicht, so soll sie umsonst freigelassen werden.“ Bis heute gelten die genannten drei Pflichten des Ehemannes seiner Frau gegenüber und ihre Nicht-Erfüllung ist ein berechtigter Scheidungsgrund.

Der Babylonische Talmud überliefert im Traktat „Gittin“ – übersetzt „Scheidebriefe“ – Diskussionen über mögliche Gründe, eine Frau zu entlassen auf Grunde von 5. Mose 24,1: „Wenn jemand eine Frau zur Ehe nimmt und sie nicht Gnade findet vor seinen Augen, weil er etwas Schändliches an ihr gefunden hat, und er einen Scheidebrief schreibt und ihr in die Hand gibt und sie aus seinem Hause entlässt.“ Dieser Vers steht in einem ganz bestimmten Zusammenhang: ein geschiedener Mann darf seine erste Frau nicht wieder heiraten, wenn sie dazwischen verheiratet und wieder geschieden oder verwitwet war. In der Bibel selbst geht es dabei eher um die Beschreibung einer Tatsache als um die Bestimmung möglicher Gründe.

Sehr liberal äußerte sich in dieser Diskussion Rabbi Akiva. Er betonte die Aussage, dass „sie nicht Gnade findet vor seinen Augen“ und übersetzte das Verbindungswort nicht mit „und“, sondern mit „oder“: „oder er etwas Schändliches an ihr gefunden hat.“ Daraus folgerte er, dass schon das Erscheinen einer schöneren Frau ein Scheidungsgrund sei. Der Ausdruck „etwas Schändliches“, hebräisch „Erwat Dawar“, kommt auch in 5. Mose 23,15 vor: „Denn der Herr, dein Gott, zieht mit dir inmitten deines Lagers, um dich zu erretten und deine Feinde vor dir dahinzugeben. Darum soll dein Lager heilig sein, dass nichts Schändliches unter dir gesehen werde und er sich von dir wende.“ Aus diesem Zusammenhang schließt das „Beit Hillel, die Schule des Rabbi Hillel, dass es sich nicht unbedingt um ein sexuelles Vergehen handeln muss, sondern um eine Abneigung, die sich entwickelt hat. So kann dann selbst eine verdorbene Mahlzeit zum Scheidungsgrund werden. Das „Beit Schammai“, die Schule des Rabbi Schammai, sah in dem Ausdruck „etwas Schändliches“ dagegen nur Ehebruch und verstand dieses Vergehen als einzig gültigen Scheidungsgrund.

Ganz offensichtlich schaltete sich Jesus in diese Diskussion seiner Zeitgenossen ein und stellte sich auf die Seite des radikalen Schammai: „Es ist auch gesagt: Wer sich von seiner Frau scheidet, der soll ihr geben einen Scheidebrief. Ich aber sage euch: Wer sich von seiner Frau scheidet, es sei denn wegen Ehebruchs, der macht, dass sie die Ehe bricht und wer eine Geschiedene heiratet, der bricht die Ehe“ (Matthäus 5,31-32). Jesus äußerte sich auch zu der Einstellung, dass man seine Frau entlassen könne, weil sie das Essen verbrannt hat oder aufgrund des Vergehens „nicht mehr die schönste aller Frauen zu sein“: „Ist’s auch recht, dass sich ein Mann scheide von seiner Frau um irgendeiner Ursache willen? Er antwortete aber und sprach: ‚Habt ihr nicht gelesen, dass der am Anfang den Menschen geschaffen hat, schuf sie als Mann und Weib? … Was nun Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden… Mose hat euch erlaubt, euch zu scheiden von euren Frauen, um eures Herzens Härtigkeit willen; von Anfang aber ist’s nicht so gewesen. Ich aber sage euch: Wer sich von seiner Frau scheidet, es sei denn um der Hurerei willen, und heiratet eine andere, der bricht die Ehe“ (Matthäus 19,3-9).

Im Vorwort zu der Londoner Ausgabe des Babylonischen Talmud aus dem Jahr 1994 schreibt Rabbi Dr. J. H. Hertz: „Die jüdischen Sektierer (Essener, Sadduzäer aus Damaskus, Samariter und jüdische Christen) waren auch gegen eine Wiederheirat solange die geschiedene Frau lebte.“

Jüdische Quellen zitieren zum Thema der Scheidung in der Regel den Propheten Maleachi 2,15-16: „an der Frau deiner Jugend handle nicht treulos. Denn ich hasse Scheidung, spricht der Herr, der Gott Israels.“ Und der Talmud meint: „Selbst der Altar vergießt Tränen, wenn ein Mann die Frau seiner Jugend entlässt.“

In der Bibel wird die Beziehung Gottes zu seinem Volk mit einer Ehe verglichen. Gott lässt sich von Israel wegen ihrer Sünden scheiden. In seiner Gnade bietet er ihr aber wieder an zurückzukommen: „…wie ich Israel, die Abtrünnige, wegen ihres Ehebruchs gestraft und sie entlassen und ihr einen Scheidebrief gegeben habe… Kehre zurück, du abtrünniges Israel, spricht der Herr, so will ich nicht zornig auf euch blicken. Denn ich bin gnädig, spricht der Herr, und ich will nicht ewig zürnen. Allein erkenne deine Schuld, dass du wider den Herrn, deinen Gott gesündigt hast“ (Jeremia 3,8.12-13).

Bitte beachten Sie unsere Kommentar-Richtlinien

Schreiben Sie einen Kommentar

Offline, Inhalt evtl. nicht aktuell

Israelnetz-App installieren
und nichts mehr verpassen

So geht's:

1.  Auf „Teilen“ tippen
2. „Zum Home-Bildschirm“ wählen