Die aus europäischer Sicht offensichtlich wichtigen Themen – die atomare Aufrüstung des Iran, das Verhältnis zu den Palästinensern, der Friedensprozess – stehen im israelischen Wahlkampf eher im Hintergrund. Eigentlich ist man sich in diesen Fragen durch das politische Spektrum im Großen und Ganzen einig: Der Iran darf keine Atombombe bekommen; ein Palästinenserstaat ist unumgänglich, aus demografischen Gründen sogar wünschenswert; darüber hinaus will man seine Ruhe.
Einigkeit über Gaza-Offensive
Im Blick auf den Gazastreifen und die mehr oder weniger abgeschlossene Operation „Gegossenes Blei“ ist sich die israelische Bevölkerung selten einig. Die Friedensbewegung protestierte wenn überhaupt nur marginal. Die Verlautbarungen der Wahlkämpfer sind martialisch. Oppositionsführer Benjamin Netanjahu verspricht: „Ich werde die Hamas-Herrschaft in Gaza beenden.“ Und Verteidigungsminister Ehud Barak: „Israel wird die Hamas zerschlagen und zermalmen, wenn sie weiterhin Raketen auf den Süden abfeuert.“
Nur wenn jemand Aufmerksamkeit braucht, wie etwa Kadima-Chefin Zippi Livni, wird geheizt: „Es geht bei diesen Wahlen um Krieg oder Frieden… Frieden ist in unserem Interesse… Wir dürfen diese Gelegenheit nicht verpassen…“ Aber irgendwie scheint sich niemand mehr so richtig für diese hundertund-xte Gelegenheit zum Frieden seit Erfindung des Friedensprozesses zu interessieren. Auch Livnis „Die Wahl ist zwischen einem jüdischen oder bi-nationalen Staat!“ ist eine Binsenweisheit, die keinen müden Kater hinter dem Ofen hervorlockt. Niemand hat eine Idee, was noch nicht ausprobiert worden wäre, um die Palästinenser zu befrieden oder den jüdischen Charakter des Staates Israel zu garantieren.
Avoda wirbt mit Baraks mangelnder Sympathie
Den Avoda-Vorsitzenden Ehud Barak können sich nur wenige als Regierungschef oder gar Leitfigur vorstellen. Seine Partei machte seine Steifheit gar zur Tugend und versuchte den Werbeslogan: „Unsympathisch – aber ein Anführer!“ Immerhin scheint man sich durch das politische Spektrum hindurch einig, dass Barak der ideale Verteidigungsminister ist – obwohl er wohl kaum in den Wahlkampf gezogen ist, um das zu werden.
Eigentlich sollten sich die Wähler im linken politischen Spektrum zwischen der links-liberalen Meretz-Partei und der sozialdemokratischen „Avoda“ hin- und hergerissen sehen. Aber der „NeuenBewegung-Meretz“ laufen die Wähler in Richtung „Kadima“ davon, und das trotz dem Slogan: „Wem die Umwelt, das Bildungssystem, das Gesundheitssystem und die Wirtschaft wichtig sind, sollte Meretz wählen.“ Vor allem weibliche Wähler sehen Außenministerin Zippi Livni als „frisch, sauber und Frau“. Immerhin 70 Prozent der wahlberechtigten Israelinnen haben sich laut Umfragen noch nicht entschieden, wem sie ihre Stimme geben werden.
Die ultra-orthodox-sephardische Schas-Partei setzt diesem Trend die Schwiegertochter ihres geistlichen Führers, Rabbi Ovadia Josef, entgegen. Jehudit Josef ist neunfache Mutter und verkündet: „Wir Frauen müssen stolz darauf sein, dass unsere Karriere das Haus, unsere Kinder und unser Mann“ sind. Gegen Ende einer Rede, zu der ultra-orthodoxe Frauen aus dem ganzen Land nach Jerusalem gebracht worden waren, rief Josef: „Durch den Verdienst einer gerechten Frau wurde Israel errettet. Wenn man das von uns sagt, dann bedeutet das: ‚Yes, we can!‘ Gelobt sei Gott.“
Schas unterstützt Likud
Der Vorsitzende der konservativen Likud-Partei Benjamin Netanjahu hat versprochen, das Kindergeld zu erhöhen. Deshalb hat der Schas-Vorsitzende Eli Jischai bereits zugesagt, Netanjahus Kandidatur zum Premierminister zu unterstützen. Schas bewirbt sich als Stimme der sozial Schwachen und will jüdische Werte und Tradition stärken. „Livni“, so Jischai in einem Interview mit Radio Israel, „weigert sich nicht nur, das Kindergeld zu erhöhen, sondern will außerdem Jerusalem teilen.“ In seinen TV-Spots kündigte die orientalisch-orthodoxe Partei eine breite Koalition an, mit einem sozialen Schwerpunkt und jüdischen Werten. Dabei werde Schas „die Mesusa der Regierung.“ „Mesusa“ ist das kleine Kästchen, das an jeder jüdischen Haustür angebracht ist, das „Schemah Israel“ aus 5. Mose 6 enthält und die Erinnerung an das Wort Gottes bei jedem Eingang und Ausgang garantiert.
Für viele erschreckend: Laut Umfragen bekommt die als rechtsradikal verschriene Partei „Israel Beiteinu“ („Israel, unsere Heimat“) des Avigdor Lieberman 18 Sitze – wohl weitgehend auf Kosten der konservativen Likud-Partei, der Umfragen 20 Sitze in der nächsten Knesset zugestehen wollen. Lieberman ist vor allem wegen radikaler Äußerungen über die arabischen Staatsbürger des Staates Israel aufgefallen. Um den jüdischen Charakter des Staates Israel zu bewahren, befürwortet er, israelische Araber in die Palästinensische Autonomie abzuschieben – besonders diejenigen, die sich nicht loyal gegenüber dem Staat zeigen.
Die linksliberale Tageszeitung „Ha´aretz“ führt ehemalige Mitglieder der rechtsradikalen Kach-Bewegung ins Feld, die behaupten, Lieberman sei Mitglied der Gruppierung gewesen. „Ha´aretz“ hat aus ihren politischen Zielsetzungen nie ein Hehl gemacht, und führt so wohl Berichterstattungswahlkampf. Kach wurde 1988 von den Knessetwahlen ausgeschlossen, mit der Begründung, sie würde zum Rassismus hetzen.
Mit schwerem russischem Akzent hatte Avigdor Lieberman keine zwei Wochen vor der Wahl verkündet, es gebe nur eine künftige Regierung. Die beiden Namen Netanjahu und Lieberman seien untrennbar verbunden. Jetzt bemüht sich der Likud, die Bärenumarmung von Israel Beiteinu loszuwerden. Das Problem: Sollten die Konservativen um Benjamin Netanjahu auch nur einige Sitze an Israel Beiteinu verlieren, könnte dadurch die bislang regierende Kadima auf Platz Eins vorrücken. Netanjahu hält sich zurück. Aber aus seinem Umfeld wird unmissverständlich laut: „Wer Lieberman wählt, ist verantwortlich dafür, wenn Livni Premier wird.“
Viele Optionen für Lieberman
Dabei bleiben für Avigdor Lieberman alle Optionen offen. Er könnte sich auch einer Regierung Livni anschließen. Genau wie Kadima befürwortet er eine Veränderung des Regierungssystems und die Einführung einer Zivilehe. Beides wollen der Likud und Schas verhindern. Lieberman hat sich auch für weit reichende Kompromisse mit den Palästinensern ausgesprochen. Er ist bereit, arabische Viertel in Ostjerusalem an einen Palästinenserstaat abzutreten. Israelische Siedlungen im Westjordanland will er gar gegen mit israelischen Arabern besiedelten Gebieten aus Israel tauschen. Insofern könnten Lieberman und Livni durchaus einen gemeinsamen Nenner finden.
So radikal Lieberman im Blick auf seine arabischen Landsleute ist – so offen ist er im Blick auf diplomatische Lösungen mit den arabischen Nachbarn. Im Blick auf die stringente Visumspolitik der gegenwärtigen Regierung, die dazu geführt hat, dass ungefähr 50 Prozent der christlichen Volontäre Israel in den vergangenen sechs Monaten verlassen mussten, verspricht der ehemalige israelische Botschafter in den USA, Danny Ajalon, der für Israel Beiteinu antritt, eine Wende.
Schwere Aufgabe für Wahlkomitee
Das Zentrale Wahlkomitee unter Leitung des pensionierten obersten Richters Mischael Cheschin bemüht sich derweil, den orientalischen Wahlkampf in gewissen Schranken einer westlichen Demokratie zu halten. So verbot das Komitee eine Wahlwerbung der Schas, in der Rabbi Ovadia Josef versprach: „Segen wird zu all denen kommen, die Schas wählen, zu ihren Frauen, Söhnen, Studenten und Familien. Er wird Wohlstand, Ehre, Gesundheit, Jugend, Glück und alle guten Dinge verleihen.“ Der Schas-Vorsitzende Eli Jischai reagierte, die „Diktatur der Richter“ könne Rabbi Josef nicht aufhalten, seinen Segen zu erteilen.