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Israel entlässt 500 palästinensische Gefangene

Insgesamt 500 palästinensische Sicherheitsgefangene hat die israelische Regierung aus dem Keziot-Militärgefängnis im südlichen Negev entlassen: 53 am Grenzübergang Beitunia in das Gebiet Ramallah, 105 am Tarkumia-Grenzübergang in das Gebiet um Hebron, 137 am Salem-Übergang nach Dschenin, 169 in Be’erotaim nach Tulkarm, und 37 Palästinenser durften den Eres-Grenzübergang in den Gazastreifen überqueren. 180 der Häftlinge hatten noch nicht einmal die vor einer Begnadigung üblichen zwei Drittel ihrer Haftstrafen verbüßt.

In Beitunia wurden die entlassenen Häftlinge von Ahmed Dschubara Abu al-Sukker empfangen. Al-Sukker war 1970 an dem Kühlschrank-Anschlag auf dem Jerusalemer Zionsplatz beteiligt und vor einem Jahr als „am längsten inhaftierter Palästinenser“ freigelassen worden. Seit seiner Freilassung dient er als Berater des Palästinenserpräsidenten in Häftlingsfragen.

Verteidigungsminister Schaul Mofas versicherte seinen Landsleuten, dass keiner der Entlassenen „Blut an Händen“ habe. Vor ihrer Freilassung mussten die 380 Gefangenen und 120 Administrativhäftlinge, darunter Mitglieder der radikalen Al-Aksa-Märtyrer-Brigaden, der Hamas und des Islamischen Dschihad, eine Erklärung unterschreiben, sich künftig Terroraktivitäten zu enthalten. Allerdings war eine ganze Anzahl bei versuchten Terroranschlägen gegen Israel gefasst und deshalb verurteilt worden – und der Eindruck ist nicht von der Hand zu weisen, dass manche doch ganz gerne jüdisches Blut an ihren Händen hätten.

„Das Volk liebt seine Kämpfer und Märtyrer“, hatte der palästinensische Minister Kaddura Fares vor den Präsidentschaftswahlen betont – und das wurde am Tag der Freilassung in Ramallah nur zu deutlich. Mit nicht enden wollenden Umarmungen und den üblichen Freudenschüssen aus Schnellfeuergewehren entlud sich die Spannung der vorangegangenen Tage und Wochen. So mancher Gefangener sah seinen Namen auf der Liste derer, die freigelassen werden sollten – und musste später feststellen und dann auch seiner Familie mitteilen, dass er wieder von der Liste gestrichen wurde.

Muhammad Suleiman hat während seiner Haft ein Modell des Felsendoms gebastelt, das er stolz zur Schau trägt und damit fraglos die Fotografenblicke auf sich zieht. „Das habe ich gebaut, weil meine Sehnsucht dort liegt“, erklärt er mir. Bassam Barghuti, ein naher Verwandter des inhaftierten Chefs der Al-Aksa-Märtyrerbrigaden, Marwan Barghuti, hat nur wenige Monate in israelischer Haft verbracht. Er sieht mit dieser Freilassungsaktion den Beginn einer neuen Phase in den israelisch-palästinensischen Beziehungen. Nein, die Intifada werde dadurch nicht zu einem Ende kommen, aber vielleicht wird jetzt die Diplomatie die Überhand gewinnen.

Vor dem Grenzübergang Beitunia in der Nähe des Gefangenenlagers „Mahaneh Ofer“ standen einige wenige Vertreter der Terroropferorganisation Almagor. Auf einem großen Plakat zeigten sie die Bilder der Opfer des palästinensischen Terrors seit September 2000. Meir Indor, der selbst zweimal durch Terroranschläge verletzt wurde, bezeichnet die Freilassung der palästinensischen Gefangenen als „Ermutigung für den Terror“, die „nur weitere Anschläge verursachen wird“. „Dieser Vorgang ist ein furchtbarer Fehler des Staates Israel“, macht der israelische Oberstleutnant der Reserve seinem Ärger Luft. Im Vorfeld der Entlassung hatte sich die Terroropferorganisation Almagor vergeblich bemüht, durch eine Petition beim Obersten Gerichtshof in Israel die Gefangenenfreilassung zu unterbinden.

Vertreter des Internationalen Roten Kreuzes hatten vor der Freilassung alle palästinensischen Gefangenen besucht, um sicherzustellen – so eine palästinensische Vertreterin des IRK –, dass sie auch wirklich dorthin entlassen werden, wohin sie wollen. Das IRK wollte durch diese Nachforschungen einer verdeckten Deportationspolitik Israels vorbeugen. Auf die Frage, ob durch die Besuche dann Unregelmäßigkeiten festgestellt wurden, wollte sie keine weiteren Auskünfte erteilen: „Wir sagen, was wir tun, aber wir sagen nicht, was wir sehen.“ Das IRK geht mit seinen Erkenntnissen nicht an die Öffentlichkeit, sondern wendet sich damit direkt an die beteiligten Parteien.

In der Mukata’a, dem Amtssitz des Vorsitzenden der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA), wie der „Palästinenserpräsident“ offiziell heißt, empfing Mahmud Abbas die aus israelischer Haft entlassenen Intifada-Helden, nachdem sie dem Grabmal Jasser Arafats ihren Respekt erwiesen hatten. „Es ist wichtig, euch als freie Männer zuhause begrüßen zu dürfen,“ erklärte der PA-Vorsitzende, „aber das ist nicht genug. Dies hier ist nur eine kleine Gruppe. Unser Ziel ist es, alle jetzt noch in israelischen Gefängnissen Inhaftierten als freie Bürger in einem unabhängigen Palästina mit Jerusalem als Hauptstadt empfangen zu dürfen.“ Dafür, so Abu Masen, setze er sich ein. Sein Einsatz gelte nicht nur den Gefangenen und in den vergangenen Tagen in den Gazastreifen deportierten Freiheitskämpfern, sondern auch jenen, die sich auf der Flucht vor den Israelis in den Bergen verstecken müssen.

Der Sprecher des Palästinenserpräsidenten, Nabil Abu Rudeina, lobt die Freilassung als positives Ergebnis des Gipfels von Scharm el-Scheich, auf dem der israelische Regierungschef Ariel Scharon und der Vorsitzende der Palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmud Abbas, einen Waffenstillstand nach vier Jahren blutiger Al-Aksa-Intifada vereinbart hatten. Allerdings sei dieses Ereignis lediglich ein Schritt in Richtung Friedensprozess, „der dazu dient, das Vertrauen zwischen Israelis und Palästinensern wieder aufzubauen, das in den vergangenen Jahren zerstört wurde“.

„Wir fordern eine Freilassung aller Gefangenen, einen Rückzug Israels aus allen besetzten Gebieten und echte Verhandlungen über einen Endstatus,“ wiederholt Abu Rudeina die alten palästinensischen Forderungen, die er schon seinem alten Chef Jasser Arafat vor den Kameras der Weltöffentlichkeit immer wieder ins Ohr geflüstert hat. Auf was es jetzt ankomme, so der altneue Präsidentenberater, seien konkrete Schritte, ein Stopp des israelischen Siedlungs- und Mauerbaus.

Die Freilassung der 500 Häftlinge ist aus israelischer Sicht eine Geste des guten Willens im Rahmen einer ganzen Reihe von vertrauensbildenden Maßnahmen. Gleichzeitig wurde arabischen Arbeitern aus dem Gazastreifen die Einreise nach Israel erleichtert. Die israelische Armee hat beschlossen, künftig die Häuser von Terroristen nicht mehr zu zerstören. In der vorangegangenen Woche lieferte Israel die Leichen von 15 Palästinensern, die im Einsatz gegen Israel ums Leben gekommen waren – darunter einige Selbstmordattentäter –, an die Palästinensische Autonomiebehörde aus. 16 militante Aktivisten durften aus dem Exil im Gazastreifen in ihre Häuser in Judäa und Samaria zurückkehren. Und schließlich hat die israelische Regierung entschieden, 20 der 39 Terroristen, die 2002 im Gerangel um die Geburtskirche in Bethlehem ins europäische Ausland ausgewiesen wurden, nach Bethlehem zurückkehren zu lassen, sobald die Stadt palästinensischer Sicherheitskontrolle unterstellt ist. Außerdem sollen in den kommenden drei Monaten weitere 400 Gefangene entlassen werden.

Die Hamasbewegung hat mittlerweile im Gazastreifen angekündigt, sie werde einen Waffenstillstand nicht in Erwägung ziehen, wenn nicht alle palästinensischen Gefangenen aus israelischen Gefängnissen entlassen werden.

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