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Islamischer Antisemitismus – Weshalb haben wir so lange weggesehen und weggehört?

Das Thema „Islamischer Antisemitismus in Nahost und Europa: Seine Auswirkungen auf alte und neue Konflikte“ ist ein sensibler Debattenaspekt, dem sich in Politik und Gesellschaft nicht jedermann gern stellt. Bernard Lewis hat in einem Werk der 80er Jahre als einer der ersten prominenten Islamwissenschaftler ausführlich und nachdrücklich den wachsenden Antisemitismus in arabischen sowie in weiteren islamischen Ländern und dabei auch den „neuen“ Antisemitismus, den antizionistischen Antisemitismus, beschrieben.

Wie die englische Buchtitelbotschaft „Semiten und Antisemiten“ andeutet, ging es dabei zunächst um arabisch-islamischen Antisemitismus, wie er etwa im Entebbe-Terrorakt sichtbar wurde. Damals hatten arabische und deutsche Terroristen gemeinsam unter den Passagieren eines entführten Flugzeugs jüdische Menschen mit israelischen und mit anderen Pässen ausgesondert, die später von israelischen Streitkräften befreit wurden. Das einzige Todesopfer unter den Passagieren war eine jüdische nicht-israelische Frau. Der Tod – wohl richtiger: der Terrormord – erfolgte nicht während der israelischen Befreiungsaktion. Die Ausdehnung der Angriffsrichtung von israelischen auf allgemein jüdische Terroropfer enthält eine antisemitische Komponente, was ich nicht ausführen muss.

Das Beispiel steht für komplizierte Zusammenhänge und problematische Entwicklungen. Einige Vorbemerkungen sind allerdings notwendig, auch mit Rücksicht auf die schon geführten Diskussionen und vor allem um Missverständnisse auszuschließen. Manche meinten und meinen, „islamischen“ Antisemitismus gebe es nicht, da der Islam als solcher nicht antisemitisch sei. Es geht hier – leider, muss man kommentierend sagen – nicht etwa nur um semantische Spitzfindigkeiten.

Das europäische Muster des in Deutschland erfundenen „Antisemitismus“-Begriffs sollte für die „aufgeklärten“ Zeitgenossen im 19. Jahrhundert das religiös definierte Wort „Judenhaß“ ersetzen. Diesen Antisemitismus gab es, selbstverständlich, ursprünglich im Islam nicht – trotz einiger judenfeindlicher Aussagen im Koran, die auch etwas mit den Vernichtungskämpfen Mohammeds gegen die jüdischen Stämme Medinas zu tun haben. Die antisemitischen Karikaturen aus der Christenwelt, aus dem Europa des 19. und des frühen 20. Jahrhunderts, wurden, wie das verschiedene Autoren schildern, in der islamischen Welt zunächst gar nicht verstanden. Das ist heute aber entschieden anders, wie Beispiele auch auf dieser Veranstaltung zeigen werden. Während der Dreyfus-Affäre stand die islamische Publizistik eher auf der Seite von Alfred Dreyfus, dem zu Unrecht wegen angeblicher Spionage für Deutschland verurteilten französischen Offizier. Das ist jedoch lange her.

Am Transfer des europäischen, in der Wurzel christlichen Antisemitismus in den Islam waren zunächst die orientalischen christlichen Minderheiten beteiligt. Später spielte – so etwa Bernard Lewis – die erstaunlich erfolgreiche antisemitische Propaganda Hitlerdeutschlands eine entscheidende Rolle. Wir kennen, in unserer Zeit, nicht nur durch das Middle East Media Research Institute (memri) die antijüdische Agitation in religiösen Ansprachen, in den Medien, in den Schulbüchern oder staatlichen Erklärungen in arabischen und weiteren islamischen Ländern sowie von Organisationen aus diesen Staaten. Zu nennen sind dabei etwa Ägypten, Syrien, Saudi-Arabien, das Gebiet der Palästinensischen Autonomiebehörde, die Islamische Republik Iran oder Hisbolla und Hamas.

Der Hisbolla-Fernsehsender vermittelt über Satellit die alte antisemitische Ritualmordlegende, die in Europa ohne Probleme empfangen werden kann. Die antisemitischen „Protokolle der Weisen von Zion“ werden in arabischer und in anderen Sprachen mit neuen Auflagen in der islamischen Welt verbreitet. Auch die ägyptische, in vielen Ländern ausgestrahlte Fernsehserie „Reiter ohne Pferd“ nimmt, unter Berufung auf die Pressefreiheit, dieses Thema auf.

Bernard Lewis hat in einem publizistischen Beitrag ein Problem mit der Frage beschrieben: „Islam: what went wrong?“ Etwas zu wörtlich und lax formuliert könnte man das mit „Was ging schief im Islam?“ übersetzen. Auch gegen diesen Islam-Bezug werden sich vielleicht einige wenden. Sollen wir in allen derartigen Fällen immer auf das Substantiv „Islam“ und auf das Adjektiv „islamisch“ verzichten und statt dessen etwa nur vom Antisemitismus von „Muslimen“ oder vom „muslimischen“ Antisemitismus sprechen, mit auf die Person und nicht auf den Glauben bezogenen Begriffen, die übrigens auf den gleichen Stamm wie das Wort „Islam“ zurückgehen?

Haben die religiösen Ansprachen, die Schulbücher und Fernsehserien mit antisemitischer Tendenz nichts mit dem „Islam“ zu tun – etwa deshalb, weil es dabei um verhältnismäßig neue, vor allem in der Zeit Hitlerdeutschlands verstärkte Phänomene geht? (…) Verbirgt sich hinter dem sprachpolitischen Engagement, den „Islam“ von allen negativen Vorgängen – von der Dschihad-Kriegskonzeption über Koranhinweise zur Hinrichtung von abgefallenen Muslimen bis hin zum neueren Antisemitismus – zu trennen, nicht doch etwas, was selbst ein Problem darstellen könnte? (…)

In der Bevölkerungsmehrheit sind der „Islam“, das „Christentum“, das „Abendland“ oder der „Westen“ – alles nicht im Sinne der geographischen Beschreibung gemeint – nicht antisemitischen Positionen zuzuordnen. Dennoch gibt die stehende Ovation für die antisemitische Rede des früheren malaysischen Ministerpräsidenten Mahathir vor der „Organisation der Islamischen Konferenz“ im letzten Jahr in diesem Punkt Anlass zum Nachdenken. Auf der Konferenz waren über fünfzig islamische Staaten vertreten. Problematische Entwicklungen gibt es aber ebenso in der europäischen Politik.

Auch die unterschiedlichen Formen von Israelfeindschaft sind gegenüber dem Antisemitismus abzugrenzen. Israelfeindschaft zeigt sich zum Beispiel in dem in Ägypten lange Zeit populären, über die staatlich kontrollierten Medien weit verbreiteten Song-Refrain „Ich hasse Israel“. (…) Viel spricht dafür, dass die Grenze zum Antisemitismus jedenfalls dann überschritten ist, wenn Israels Vernichtung – eine negative Aussonderung unter den Staaten und Völkern – als Ziel proklamiert wird, wie es etwa Hamas, Hisbolla oder die Islamische Republik Iran fordern, wenn, wie leider häufig auch in der europäischen Politik, Israel mit ungleichen, diskriminierenden Maßstäben gemessen oder wenn das Land mit Hitlerdeutschland verglichen wird – in Europa ein Entlastungsversuch gegenüber der eigenen Geschichte, dem in Deutschland ein viel zu hoher Prozentsatz der Jugendlichen zustimmt.

Vor kurzem hat in Deutschland ein Politiker erklärt, in Kontakten mit „Mittelmeer“-Ländern werde ihm immer wieder gesagt, 90 Prozent des Terrorismusproblems seien auf den arabisch-israelischen Konflikt zurückzuführen. Auch hinter derartigen Behauptungen steht, leicht erkennbar, eine negative Aussonderung Israels, das offenbar als Störenfried in der Region beschrieben werden soll. Ein Blick auf Algerien zeigt die Unhaltbarkeit der verdeckten Anklage. Im algerischen Bürgerkrieg, der zu einem großen Teil in Terrorform geführt wird, sind wahrscheinlich bereits mehr Menschen umgekommen als im Kampf um die algerische Unabhängigkeit. Der algerische Bürgerkrieg hat nichts, absolut nichts, mit dem arabisch-israelischen Konflikt zu tun. (…)

Man kann bei der Politik der Europäischen Union den Eindruck gewinnen, sie neige zu der Auffassung, Konflikt-, Antisemitismus- und Terrorprobleme seien im arabisch-israelischen Verhältnis im Wesentlichen durch einen Rückzug Israels auf die Waffenstillstandslinien vor dem Sechs-Tage-Krieg von 1967 zu lösen – ein Krieg, der mit der Schließung der Meerenge von Tiran durch ägyptische Artillerie begann. Auch Israelis, jüdische Israelis, vertreten diese Position, freilich nicht repräsentativ für die große Mehrheit in Israel. Der arabische Antisemitismus sei nicht so ernst zu nehmen; er werde nach dem Rückzug auf die Linien von 1967 wieder zurückgehen oder ganz verschwinden, so diese in Europa gern zitierte und gern gehörte Auffassung.

Sind das vor dem Hintergrund der antisemitischen Agitation in arabischen Medien und Schulbüchern und nach den Erfahrungen mit dem Friedensvertrag zwischen Ägypten und Israel wirklich realistische Analysen? Ist es nicht vielmehr umgekehrt so, dass es ohne die Überwindung des antisemitischen Israelhasses keinen dauerhaften Frieden zwischen Israel und den arabischen Ländern geben kann?

Das Bevölkerungsverhältnis zwischen Israel einerseits und den Mitgliedsstaaten der Arabischen Liga sowie der mit der Liga zumindest informell verbundenen Islamischen Republik Iran andererseits beträgt etwa 1:60. Bei den Raumrelationen liegt die Distanz bei ungefähr 1:750. Der Unterschied zwischen Bevölkerungs- und Raumvergleich (60:750) macht deutlich, daß es im Kern nicht um eine Territorialstreitigkeit gehen kann. An Geld fehlt es auf arabisch-iranischer Seite nicht, um aride Zonen zu kultivieren. Israel hat ungefähr den territorialen Umfang Sachsen-Anhalts, mit über sechs Millionen Einwohnern aber eine mehr als doppelt so große Bevölkerung.

Weit mehr als die Hälfte Israels in den Linien vor 1967 gehörte ursprünglich zu den Steppen- und Wüstenzonen. Am ursprünglich bebauten und besiedelten Land gemessen geht der Streit seit bald 60 Jahren also um eine Region von der Größe der Altmark und einiger angrenzender Gebiete. Noch einmal: Wäre der arabisch- israelische Streit im Wesentlichen ein Territorialkonflikt, hätte er nach dem Barak-Clinton-Vorschlag im Jahre 2000 gelöst werden können, als Israel, damals verbunden mit einem Angebot auf Gebietstausch, auf fast alle 1967 besetzten Gebiete in Gaza und im Westjordanland verzichten wollte. Ist nach alledem die Annahme nicht viel realistischer, dass es nicht in erster Linie um Territorialbesitz oder „Besatzung“, sondern um die Nichtakzeptanz des einzigen jüdischen Staates – also um eine im Kern antisemitische Verweigerung der Existenzberechtigung Israels – geht?

Wir müssen uns, als Europäer und als Menschen des „Westens“, in diesem Zusammenhang selbst kritischen Fragen und Anklagen stellen. Weshalb gibt es noch keine gemeinsame, von allen europäischen und darüber hinaus von den OSZE-Staaten getragene Initiative für einen UN-Vollversammlungsbeschluss gegen den Antisemitismus, ohne Vorbehalt und ohne relativierende Einschränkung? Es wäre sehr wichtig, zu sehen, wer in der UN-Vollversammlung einer derartigen Resolution nicht zustimmt. Weshalb gibt es noch keine gemeinsame EU- oder OSZE-Initiative, die antisemitische Äußerungen und antisemitische Organisationen, wie etwa die antisemitischen Terrororganisationen Hamas und Hisbolla, sowie ihre Hilfsorganisationen und -einrichtungen im Bereich dieser Staaten verbietet? Weshalb hat Frankreich noch nicht überall Unterstützung mit seiner Absicht gefunden, die Fernsehausstrahlung des Hisbolla-Senders „Al-Manar“ zu unterbinden? Weshalb werden Staaten, die den Antisemitismus fördern oder dulden, zumindest bei Militär-, Kultur- oder Entwicklungshilfebeziehungen mit OSZE-, also auch mit den EU-Staaten nicht mit der Auflage konfrontiert, die Förderung und Duldung der antisemitischen Agitation sofort zu unterbinden? Auf Länder wie Ägypten würde eine derartige Bedingung gewiss Eindruck machen. Weshalb werden solche Bedingungen nicht zumindest für die EU-Förderpolitik, zum Beispiel für die Palästinensische Autonomiebehörde von europäischen Regierungen öffentlich gefordert und dann auch durchgesetzt?

Ich zitiere am Ende einen Auszug aus einem Kommentar in der ägyptischen regierungseigenen Tageszeitung „Al-Achbar“, den ich einer Übersetzung von memri entnommen und auch in verschiedene Publikationen aufgenommen habe. Vor fast drei Jahren hatte ich zur Einleitung einer Podiumsdiskussion mit dem Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse, mit Julius Schoeps und mit dem Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Nadim Elyas, das gleiche Zitat vorgelesen. Nadim Elyas hat in der kommentierenden Reaktion damals den Antisemitismus auch unter deutschen Muslimen als ein ernst zu nehmendes Problem bezeichnet.

Der Kommentar in „Al-Achbar“ trägt den Titel „Verflucht sind sie in Ewigkeit“ und befasst sich auch mit Hitlers Verantwortung für den Holocaust.

„Hitler selbst,“ so der ägyptische Kommentar in „Al-Achbar“, „den sie des Nazismus beschuldigen, ist in meinen Augen nur ein bescheidener Schüler des Mordens und Blutvergießens. Er ist völlig unschuldig bezüglich des Vorwurfs, er hätte sie, die Juden, in der Hölle des angeblichen Holocaust verbrannt. Das gesamte Thema ist, wie viele französische und britische Forscher bestätigt haben, allein ein großer israelischer Betrug, um insbesondere die deutschen Regierungen, aber auch die europäischen Staaten im allgemeinen, zu erpressen. Ich persönlich aber mache Hitler – angesichts dieser phantasievollen Erzählung – große Vorwürfe. Ich sage ihm von ganzem Herzen: Bruder, hättest du es doch getan! Würde es doch tatsächlich passieren! Damit sich die Welt von seinem Übel und seinen Sünden erhole. Seit ihrem Entstehen hegen die Juden Feindseligkeiten und Hass gegen den Islam und die Muslime. Immer und ewig schmieden sie Pläne gegen sie, planen Verschwörungen gegen sie und Verbrechen, griffen Partei für ihre, der Muslime, Feinde und ihre Besetzer. … Sie versuchen fortwährend alles, was großartig und schön ist, zu beschmutzen und zu verunstalten. Im Grunde sind sie das Muster moralischer Schlechtigkeit, Gemeinheit und Niedertracht. Gott verfluche sie mehr und mehr bis in alle Ewigkeit. Amen.“

Diese Auszüge aus der ägyptischen Zeitung enthalten eine dehumanisierende, zum Mord aufrufende antisemitische und zugleich antiisraelische Agitation. Sie wäre in Deutschland strafbar und sollte in keinem Land, das den Menschenrechtskonventionen der Vereinten Nationen beigetreten ist, geduldet oder gar in einer regierungseigenen Zeitung veröffentlicht werden.

Können Sie sich an eine entschiedene und öffentliche Verurteilung der zitierten oder ähnlicher Erklärungen durch die europäischen Staats- und Regierungschefs erinnern? Nein, das können Sie nicht. Denn eine solche Verurteilung hat es bislang nicht gegeben. Daran liegt vielleicht ein wesentlicher Teil des Problems mit dem islamischen Antisemitismus in Europa, im Nahen Osten und in anderen Weltregionen. An uns richtet sich die Frage: Weshalb haben wir so lange weggesehen und weggehört?

Über den Autor: Klaus Faber, Staatssekretär a.D., Rechtsanwalt und Publizist in Potsdam; Geschäftführender Vorsitzender des Wissenschaftsforums der Sozialdemokratie in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern e. V., Mitgründer und Kuratoriumsmitglied des Berlin-Brandenburgischen Instituts für Deutsch-Französische Zusammenarbeit in Europa sowie des Moses-Mendelssohn-Zentrums für europäisch-jüdische Studien an der Universität Potsdam

Der Beitrag von Klaus Faber ist die leicht gekürzte Fassung seiner Rede auf dem Forum zum Thema „Islamischer Antisemitismus in Nahost und Europa“. Mitveranstalter war neben dem Wissenschaftsforum für Sozialdemokratie, dem der Autor vorsteht, unter anderen auch die Informationsgruppe Honestly Concerned.“

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