„Ich habe die Hamas gehasst, und ich hasse sie weiter“

Im Scheba-Krankenhaus in Ramat Gan bei Tel Aviv werden auf einer speziellen Station auch Soldaten behandelt, die beim Einsatz gegen die Hamas im Gazastreifen schwer verletzt und traumatisiert worden sind. Eine Begegnung mit einem Kriegsopfer.
Von Israelnetz

„Returning to Life“ steht auf dem Schild am Eingang der Station. 50 israelische Soldaten aus dem Gazakrieg befinden sich hier derzeit in der Rehabilitation, um ins Leben zurückkehren zu können. Manche bleiben bis zu einem Jahr in der Klinik. Schahar ist einer von ihnen. Der Major der Reserve ist 38 Jahre alt und wirkt zehn Jahre älter. Kein Wunder. „Ich war in einem schlechten Zustand, das Blut kam von überall. Es ist ein Wunder, dass ich hier sitze“, sagt er.

Hier, das ist die Scheba-Großklinik in Ramat Gan bei Tel Aviv. Das Areal umfasst 80 Hektar, in sechs Krankenhäusern sind in 120 Abteilungen 11.000 Leute beschäftigt, davon 3.000 Krankenschwestern. Im Ranking des US-Nachrichtenmagazins „Newsweek“ hat es Scheba auf Platz acht der weltweit besten Kliniken geschafft.

Unter Schahars Kommando standen 100 Soldaten einer Infiltrationseinheit. Einmal im Jahr trafen sich die Reservisten zu einer Übung. Bis zum 7. Oktober 2023. Dem Tag des Hamas-Massakers, der alles verändert hat. „Wir waren nicht überrascht, dass sie es versuchen. Wir waren überrascht, dass es passiert“, sagt er.

Seitdem war er insgesamt 230 Tage in Gaza im Einsatz. Bis zum 10. Oktober 2024. „Im Norden Gazas waren wir in einem Militärfahrzeug unterwegs, als uns eine Rakete der Hamas-Terroristen traf. Mein Kamerad Daniel war sofort tot“, berichtet Schahar. Als der Wagen auf eine Landmine stieß und explodierte, wurden der Maschinengewehrschütze getötet und Schahar lebensgefährlich verletzt.

Foto: Carl Brunke
Vor dem Eingang der Rehaklinik im Sheba-Komplex erinnern Dutzende Aufkleber an gefallene Soldaten und entführte Zivilisten

„Ich war in einem schlechten Zustand. Das Blut kam von überall. Ich war allein und hilflos.“ Schahar hatte Glück. In der Nähe befand sich eine israelische Einheit und holte ihn aus der Gefahrenzone. Per Helikopter wurde er in ein Krankenhaus nach Jerusalem transportiert und dort sofort operiert.

Seit gut einem halben Jahr ist der Soldatenflur im Scheba-Krankenhaus so etwas wie sein Zuhause. In den Chill-out-Ecken stehen Sofas und Sessel, die schon bessere Tage gesehen haben. Wie die Soldaten, die sich dort ausruhen. Wer Israel kennt, der staunt nicht über die von Gebrauchsspuren gezeichneten Möbel. An vielen Stellen hat sich das Land das Provisorische und den Kibbuz-Geist bewahrt.

Doch dieser oberflächliche Retro-Eindruck täuscht natürlich. Scheba hat ein unterirdisches, fünfstöckiges Hospital für den Kriegsfall und treibt mit „Sheba Beyond“ die Digitalisierung in der Medizin voran. „Im Negev planen wir eine rein auf Künstlicher Intelligenz basierende Klinik“, sagt Scheba-Sprecher Steve Walz und betont den Zusammenhalt zwischen jüdischem und arabischem (25 Prozent) Personal: „Der Krieg bleibt draußen, in Scheba arbeiten alle Hand in Hand und Seite an Seite.“

Auch palästinensische Patienten willkommen

Der PR-Profi aus New York versteht sein Geschäft. Auch Patienten aus dem Westjordanland würden in Ramat Gan behandelt, bezahlt von der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) oder von Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Dagegen dürften die Patienten der königlichen Familien aus arabischen Staaten, die keine diplomatischen Beziehungen zu Israel unterhalten, ihre Rechnungen in Scheba wohl selbst bezahlen können.

Mitten in einem großen Gemeinschaftsraum arbeiten Therapeutinnen mit den versehrten Männern. Ein höchstens 25-Jähriger sitzt an einem kleinen Küchentisch und lernt, wieder mit Messer und Gabel essen zu können. Bei den ersten Versuchen gelingt es ihm noch nicht, ein Stück Hühnchenfleisch aufzuspießen. Scham und Scheu hat hier niemand. Das gemeinsame Schicksal verbindet.

Foto: Carl Brunke
Im „Immersive Room” wird mit virtueller Realität jede denkbare Umgebung geschaffen, die den Kriegsopfern dabei hilft, in ihren Alltag zurückzukehren

Schahar ist einigermaßen wiederhergestellt. Sein rechtes Bein macht noch Probleme. „Das wird. Wenn ich wieder ganz gesund bin, will ich zurück zur Armee.“ Und zurück in seinen Job bei einem Start-up in Tel Aviv. „Als Reservist muss ich nicht zurück in die Armee. Aber ich habe eine Mission, und ich werde sie erfüllen“, sagt er voller Überzeugung. Shahar will sein Land, den jüdischen Staat Israel, verteidigen. Auch für seine Freunde in der Kompanie, die er in Gaza verloren hat. „Ich denke, dass ich eines Tages zurück nach Gaza gehen werde.“

Diese Einstellung teilten viele der verletzten Soldaten in den Scheba-Kliniken, bestätigt Steve Walz. Schahars Frau habe keine Einwände: „Sie ist auch in der Armee und weiß, mit wem sie verheiratet ist. Außerdem bin ich jetzt noch erfahrener. Ich habe die Hamas gehasst, und ich hasse sie weiter.“ Wenn Schahar so spricht, wird ein Unterschied zwischen Deutschen und Israelis besonders deutlich: Die einen wollen nie wieder Täter sein, und die anderen wollen nie wieder Opfer sein.

Hinweis: Zum Schutz seiner Identität veröffentlichen wir nur den Vornamen des israelischen Soldaten und zeigen kein Foto von ihm.

Von Carl Brunke, Ramat Gan

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