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Holocaustgedenken im Comic: Komische Tragik

Die Israelin Rutu Modan ist eine der bedeutendsten Comiczeichnerinnen der Gegenwart. In ihrer neuen Graphic Novel „Das Erbe” schickt sie eine Holocaust-Überlebende nach Warschau. Dort sucht diese nach ihrer Vergangenheit – und findet eine absurde Erinnerungskultur an die Verbrechen der Nazis.
In der Graphic Novel "Das Erbe" befasst sich die Israelin Modan mit dem Gedenken an die Schoah.

Die junge Israelin Mika wandert durch die Straßen von Warschau, als sie plötzlich eine Gruppe junger Menschen sieht. Gelbe Sterne sind in Brusthöhe auf ihre Kleidung geklebt. „Jude” steht da in großen Lettern. Ein Lastwagen stoppt. Soldaten in Uniform mit Hakenkreuzbandagen um den Arm und mit Gewehren bewaffnet springen von der Ladefläche und drängen die Gruppe auf den Transporter. Als einer der Soldaten auch Mika mit der Waffe bedroht, ertönen Schreie auf Polnisch. Eine blonde Frau in rosa Bluse und Minirock tritt hinter einer Häuserwand hervor. Lautstark beschimpft sie den Soldaten und wendet sich schließlich an Mika: „Als Leiterin der Gesellschaft zur Erinnerung an die polnischen Juden bitte ich aus tiefstem Herzen um Entschuldigung”.
Leser von Rutu Modans Graphic Novel „Das Erbe” werden an dieser Stelle ihres neuesten Werks wohl nicht so recht wissen, ob sie nun lachen oder weinen sollen. Und das ist gewollt. Der Comic spielt im heutigen Warschau – eines seiner Themen ist die Frage, wann Erinnerungskultur zu weit geht. So erklärt die rosa gekleidete Frau der jungen Mika im Comic, dass es schwer sei, die heutige Jugend noch mit Ausstellungen zu erreichen. Erlebbar müsse die Vergangenheit werden. Deshalb spiele sie Szenen der Nazizeit mit Jugendlichen nach. „Ich träume davon, eine ganze Straße des Gettos wieder herzustellen”, lässt Modan sie sagen. Gemeint ist natürlich das Warschauer Getto, das größte Sammellager für polnische und deutsche Juden während der Nazizeit.
„Ich sehe einige Aspekte des Umgangs mit der Holocaust-Erinnerung kritisch. Deswegen diese ironischen Bezüge”, erklärte die Zeichnerin jüngst im Berliner „Tagesspiegel”. Die 1966 in Tel Aviv geborene Illustratorin wurde in Israel mehrfach als Kinderbuchautorin ausgezeichnet, bevor sie als Comiczeichnerin vor allem durch ihre 2006 erschienene Graphic Novel „Blutspuren“ (im Original: „Exit Wounds“) bekannt wurde.

„Majdanek steckt Auschwitz in die Tasche. Ist viel grausiger”

Modan hat bereits für die „New York Times”, den „New Yorker” und „Le Monde” gearbeitet und veröffentlicht ihre Werke weltweit. Die Fachpresse zählt sie schon jetzt zu den bedeutendsten Comicautorinnen der Gegenwart und vergleicht ihren Zeichenstil gerne mit dem des Tim und Struppi-Schöpfers Hergé. Dabei ist „Das Erbe“ erst die zweite Graphic Novel der Israelin. Sie erzählt von Regina Segal aus Israel, die gemeinsam mit ihrer Enkelin Mika nach Warschau reist, um dort das Haus zu suchen, in dem sie als Kind mit ihren Eltern lebte. Sie flüchtete einst vor den Nazis, seitdem weiß niemand genau, was mit ihrem Erbe geschehen ist. Doch kaum in Polen angekommen, holt die Erinnerung an das grausame Schicksal ihrer Familie die alte Dame ein. Mika hingegen findet in Warschau eine neue Liebe und begibt sich heimlich auf die Spuren des früheren Lebens ihrer Großmutter.
Damit erzählt Modan von einem Aspekt der Nazivergangenheit, den in Deutschland wenige kenne, der Juden aber nach wie vor beschäftigt: Viele Holocaustüberlebende hatten Besitztümer in Polen, wurden aber erst von den Nazis verjagt und dann später von den Kommunisten noch einmal enteignet. „Alles Tragische hat auch eine komische Seite”, stellte Modan gegenüber dem „Tagesspiegel” fest und zeigt das auch eindrücklich in „Das Erbe”, etwa als sie Regina und Mika nach Warschau fliegen lässt. Im Flugzeug teilen sie sich die Sitzreihe mit einem Lehrer auf Klassenausflug. „Okay, Montag Treblinka, Dienstag Majdanek, inklusive Gaskammern…”, fasst er die Reiseroute zusammen, während eine Schülerin das mit „Jippie” kommentiert. „Majdanek steckt Auschwitz in die Tasche. Ist viel grausiger”, kommentiert er. Dann wendet er sich Mika zu und zeigt auf das Essen ihrer Großmutter. Wenn sie es nicht mehr wolle, könne er dann ihr Brötchen bekommen? Der Holocaust und das Gedenken daran sind so normal geworden wie das tägliche Brot, stellt Modan damit fest. Doch sie erhebt dabei nicht den Zeigefinger. Im Gegenteil, sie lässt den Leser gar darüber schmunzeln.

Rutu Modan: „Das Erbe”, Carlsen, 240 Seiten, 24,90 Euro, ISBN 978-3-551-78576-3

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