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„Hilf mir, es selbst zu tun“

Kfar Tikva heißt „Dorf der Hoffnung“ und ist „Ort und Zuhause für besondere Menschen“. So steht es auf dem Eingangsschild des kleinen Ortes, das den Besucher freundlich begrüßt. In malerischer Umgebung liegt das Dorf auf einem Hügel zwischen Haifa und Nazareth, am Fuße des Karmelgebirges, am Rande der weiten Jesre‘elebene.
Seit 50 Jahren hilft Kfar Tikva "besonderen Menschen" mit deutscher Unterstützung, Dinge selbst zu tun.

In Kfar Tikva leben zurzeit 203 Menschen „mit besonderen Bedürfnissen“. „Chaverim“, „Freunde“, pflegen die Sozialarbeiter ihre Schützlinge zu nennen.

Gegründet wurde das „Hoffnungsdorf“ Anfang der 1960er Jahre von Dr. Siegfried Hirsch, einem Juden aus Königsberg. Er hatte einen Ort gesucht, an dem seine geistig behinderte Tochter weitgehend selbständig leben könne. Andere Holocaustüberlebende schlossen sich dem Projekt an. Nach den traumatischen Erfahrungen des Holocaust sollten die eigenen Kinder nicht mit weißen Kitteln konfrontiert, sondern gefördert werden und entsprechend ihren Fähigkeiten leben können. Der von Christen gegründete deutsche Verein „Zedakah e.V.“ schickte in den Gründerjahren einige Dutzend Volontäre nach Israel, um das Dorf mit aufzubauen.

Ursprünglich war das Dorf für Nachkommen von Holocaustüberlebenden gegründet worden. Heute leben dort aber auch andere Menschen: Sie haben ganz unterschiedliche Hintergründe, physische und psychische Einschränkungen. Um in Kfar Tikva leben zu dürfen, müssen die Bewohner mindestens 18 Jahre alt sein.

Aufgrund der alternden Bevölkerung im Dorf gibt es inzwischen sogar einzelne Pflegeplätze. Trotzdem stehen seit der Gründerzeit bis heute alle Aktivitäten mit den Chaverim stets unter dem Motto: „Hilf mir, es selbst zu tun“.

50 Jahre deutsch-israelische Zusammenarbeit

Am zweiten Sonntag im Mai 2014 feierte Kfar Tikva sein 50-jähriges Bestehen. Die Feier erinnerte gleichzeitig an „50 Jahre deutsch-israelische Zusammenarbeit“. Es herrschte Aufregung, als die Chaverim sich im Speisesaal versammelten. Neben Sozialarbeitern, den aktuellen und einigen ehemaligen Volontären war eine Gruppe aus dem Heinrichhaus in Neuwied (Rheinland-Pfalz) gekommen, die mit ihren Bewohnern und manchen Chaverim eine Reise in Israel durchführte. An der Wand stand in großen Lettern auf Hebräisch und Englisch in den Farben der deutschen Flagge: „Herzlich willkommen“.

„Die Arbeit in Kfar Tikva ist ohne den Einsatz der vielen deutschen Volontäre nicht denkbar“, eröffnete Eran Natan den Festakt. Der israelische Sozialarbeiter ist seit 2012 für die Koordination der Volontärsstellen zuständig: „Was ist das Geheimnis, dass seit 50 Jahren Jahr für Jahr junge motivierte Deutsche herkommen und sich hier einbringen? Ich denke an die Volontäre, die das Dorf gegründet und über Jahre Krisen mit uns zusammen durchgestanden haben. Jeden Sommer leiden sie mit uns, obwohl sich das Klima so stark von dem ihrer Heimat unterscheidet.“

Moschik Groß, seit 2004 Leiter des Dorfes, erzählt: „Meine Eltern sind 1930 nach Israel eingewandert. Aber die Großeltern beider Seiten sind in Polen geblieben und in Auschwitz-Birkenau ums Leben gekommen. Vor 50 Jahren, zur Gründung des Dorfes, war ich gerade 16 Jahre. Damals hätte ich nicht im Traum daran gedacht, dass ich einmal so viel mit Deutschen zu tun haben würde. Deshalb ist es auch für mich persönlich ein besonderes Geschenk, dass ich täglich mit so talentierten Deutschen zusammenarbeiten darf.“

Die schätzungsweise 1.000 jungen Deutschen, die in den vergangenen 50 Jahren im Dorf gegen Unterkunft, Verpflegung und ein spärliches Taschengeld mitgearbeitet haben, haben auch in sprachlicher Hinsicht Spuren hinterlassen: Fast alle Dorfbewohner können mindestens einige Worte Deutsch. Viele sprechen Englisch, manche gar Jiddisch. Andere wiederum sprechen Französisch oder Spanisch, durch das muslimische Personal kommt noch Arabisch hinzu. Die Volontäre wiederum bemühen sich häufig, Hebräisch zu lernen. Und so finden die vielen Begegnungen untereinander im seltsamsten Sprachgemisch statt.

Dass sich in Kfar Tikva so verschiedene Kulturen begegnen, erklärt Theresia, eine Volontärin aus Süddeutschland, so: „Durch die Arbeit hier bekommen wir Einblick in ein anderes Land, in andere Religionen und in das Leben in einem Dorf, das von großen Unterschieden geprägt ist.“ Auf die Frage von Eran antwortet sie: „Das Geheimnis von Kfar Tikva, der Grund, warum immer wieder Volontäre hierher kommen, ist das Leben. Wenn ich im Dorf umher laufe, sprechen mich Chaverim an, nehmen Anteil an meinem Leben und ich an dem ihrigen. Sie fragen nach Aktivitäten und es gibt immer Leben und Gespräche.“

Die israelische Sozialarbeiterin Pnina schwärmt von den Volontären: „Sie tun eine so wichtige Arbeit im Dorf. Für uns Mitarbeiter und die Chaverim sind sie wie eine Familie.“ Es kommt auch vor, dass sich über die Arbeit hinaus Verbindungen ergeben: So laden manchmal die Sozialarbeiter zu jüdischen Festen oder das beduinische Küchenpersonal zu islamischen Feierlichkeiten in ihre Dörfer ein. „Wenn die Volontäre im Sommer wieder nach Deutschland gehen, ist das für uns alle schwer. Auf der anderen Seite freuen sich die Chaverim auch immer sehr, wenn dann die neue Gruppe endlich da ist. Und die Freude ist umso größer, wenn Volontäre nach Jahren oder Jahrzehnten zu Besuch ins Dorf zurückkommen.“

Das Leben im Dorf

In Kfar Tikva teilen sich die Chaverim meist zu zweit oder zu dritt eine kleine Wohnung. Jeder hat sein eigenes Schlafzimmer, zusätzlich gibt es ein Bad, eine Teeküche und eine Sitzecke. Wo nötig, übernehmen die Volontäre morgens leichte Pflegedienste wie duschen, rasieren oder Zähne putzen. Viele Chaverim sind aber weitgehend selbständig. Nach dem Frühstück im großen Speisesaal gehen die Chaverim ihrer Arbeit nach. Dabei gibt es verschiedene Arbeitsbereiche: So gibt es in Kfar Tikva ein Gartenteam, ein Weingut, eine Holz- und eine Keramikwerkstatt. Besonders beliebt sind die Arbeitsplätze in der Tierfarm und der Hundepension. Einzelne Chaverim arbeiten sogar außerhalb des Dorfes, doch auch das Dorf selbst muss in Stand gehalten werden: Während manche in der Küche arbeiten, helfen andere beim Wäschewaschen, Nähen oder dem Hausmeister. In vielen Bereichen stehen die Volontäre mit Rat und Tat zur Seite.

Bei der Gestaltung des Freizeitprogramms am späten Nachmittag sind die Volontäre aktiv: So können sich die Chaverim künstlerisch, musikalisch oder sportlich betätigen. Es gibt ein Kultur-Café, in dem man in gemütlicher Atmosphäre klönen, spielen oder ausruhen kann.

Dass „Liebe durch den Magen“ geht, ist auch in Kfar Tikva nicht anders: Unter Anleitung Salate, Waffeln oder Fladenbrot zu backen – dieses Angebot ist eine besonders beliebte Freizeitgestaltung.

Ein Säugling im Kibbutz

Zum Jubeljahr sind auch Christl und Hans Bayer aus dem nahe gelegenen Ma‘alot angereist. Sie gehörten zu den ersten Volontären von Zedakah. Der Verein sieht seine Aufgabe darin, Juden, die den Holocaust überlebt haben, zu dienen und betreibt heute zwei Häuser im Norden Israels. In Schavei Zion können Holocaustüberlebende Urlaub machen, in Ma‘alot gibt es ein Pflegeheim.

Hans Bayer erzählt von der Gründerperson Zedakahs: „Friedrich Nothacker war als Krankenwagenfahrer viel im Warschauer Ghetto unterwegs, und als Dr. Hirsch nach Hilfe aus dem Ausland fragte, sagte er sofort zu. Er war ein gläubiger Mann und hat die große Schuld gesehen, die Deutschland durch sein Verhalten an Israel auf sich geladen hat. Wir waren dankbar, dass wir helfen konnten.“

In ihrem ersten Ehejahr kamen die Bayers 1964 nach Kfar Tikva, um mitzuhelfen. „Damals waren einige Häuser noch gar nicht fertig, und es gab viel zu tun. Unter anderem haben wir begonnen, den Speisesaal zu bauen“, so der heute 74-Jährige. Bald kündigte sich bei dem jungen Ehepaar das erste Kind an. „Die Leitung des Dorfes war erst skeptisch, ob ein Kind in so einer besonderen Atmosphäre ‚normal‘ aufwachsen könne.“ Christl Bayer lacht, als sie an damals denkt: „Aber wir haben ihnen gesagt ‚Wenn wir als Eltern kein Problem damit haben, warum solltet ihr dann eins haben?!‘“

So wurde im November 1965 Schmuel geboren und verbrachte seine ersten beiden Lebensjahre im Hoffnungsdorf. Die kleine Familie war dann für einige Jahre in Deutschland, kehrte aber rechtzeitig zum Schulbeginn zurück nach Israel. Heute arbeitet Schmuel Bayer als Leiter in Schavei Zion für Zedakah. Er hat inzwischen vier erwachsene Kinder, doch immer noch fragen Chaverim die Großeltern Bayer: „Wo ist denn nur euer kleiner Schmuel?“ Offenbar hat das einzige Kleinkind im Dorf bleibenden Eindruck hinterlassen. (mh)

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