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„Hier muss man Taktgefühl haben“

Seit einem guten Jahr leitet der deutsche Dirigent Justus Frantz die Israel Sinfonietta Be’er Scheva. Mit Daniel Frick sprach er über große Traditionen, die Zukunft der israelischen Musik – und natürlich Richard Wagner.
Der erste nicht-jüdische Deutsche, der ein Dirigentenamt in Israel bekleidet: Justus Frantz

Herr Frantz, seit mehr als einem Jahr halten Sie sich regelmäßig in Israel auf. Wie gut ist Ihr Hebräisch?

Mein Hebräisch ist schlecht. Es wird immer besser, wenn ich länger hier bin. Aber wenn ich nichts dafür tue, wird es wieder schlechter. Ich muss mir mal den Ruck geben, das Alephbet zu lernen, und dann geht es sofort. Aber nur vom Hören eine Sprache zu lernen – dazu bin ich nicht musikalisch genug.

Wie viel Zeit verbringen Sie in Israel?

Ich arbeite mit dem Orchester etwa 15 Wochen im Jahr. Das ist sehr viel, um sich mit den musikalischen Notwendigkeiten zu beschäftigen. Kein einziger Chefdirigent verbringt so viel Zeit mit seinem Orchester – normalerweise ist es etwa die Hälfte dieser Zeit.

Welchen Eindruck haben Sie in dieser Zeit von ihrem Arbeitsort Be’er Scheva gewonnen?

Be’er Scheva ist eine aufstrebende Stadt. Hier wird weniger gefeiert, dafür sehr viel gearbeitet. Sie ist auch sehr jugendlich – aber auf eine andere Weise als Tel Aviv, die eine der fröhlichsten Städte Israels ist. Be’er Scheva ist sehr puritanisch. Ab und zu muss ich daher einen Ausflug nach Tel Aviv machen – ans Meer, in ein gutes Restaurant. Wer nach Be‘er Scheva geht, tut das nicht, weil er jeden Abend Party haben will, sondern weil er ein Unternehmen hat, mit dem er etwas Neues machen will. Das ist toll.

Sie sind der erste Deutsche, der ein Dirigentenamt in Israel bekleidet. Wie wurden Sie im Land aufgenommen?

Das Orchester und die Stadt wollten mich unbedingt als Chef haben. Be’er Scheva soll zu einem Technologiestandort ausgebaut, und die Universität zur modernsten Bildungseinrichtung entwickelt werden – eine Art Harvard des Nahen Ostens. Da spielte sicherlich die Überlegung eine Rolle, Wissenschaftler und Künstler anzuziehen, auf die man stolz sein kann. Es gab auch kritische Stimmen: Müssen wir denn ausgerechnet einen Deutschen holen? Aber das waren so wenige, und auf der anderen Seite war die Begeisterung groß. Die neue Brücke, die wir hier gebaut haben, hat die Menschen mitgerissen – und mich auch.

Was wollen Sie mit Ihrem Engagement in Israel erreichen?

Ich bin hier hergekommen, weil das Unglück, das die Deutschen über dieses Volk gebracht haben, in meinem Leben immer eine große Rolle gespielt hat. Für mich war es eigentlich undenkbar, dass ich als Deutscher hier Chefdirigent sein könnte. Und das, obwohl ich jüdische Verwandte habe. Ich finde, das ist so ein Zugehen auf uns, das hat mich so berührt, dass ich es deswegen mache. Was ich hier bewirken kann, weiß ich nicht. Aber ich weiß, dass ich die Art, wie ich Musik mache, gerne weitergeben würde.

Wie steht es um das Ansehen deutscher Komponisten, sagen wir Richard Wagner …

Wagner wird hier immer noch nicht aufgeführt. Richard Strauss hat man in Israel ebenfalls kritisch gesehen – zu Unrecht, auch wenn er mal Präsident der Reichsmusikkammer war. Das war eine kurzfristige Nähe zum Nazismus, aber er hat sich davon auch wieder gelöst. Sein wichtigster Librettist war ja Hugo von Hoffmansthal, ein Jude. Wagner war als Mensch eine fragwürdige Gestalt, in jeder Hinsicht. Das hat aber wenig zu tun mit seiner herrlichen Kunst. Ich sage immer: Es müssen irgendwelche Engel gewesen sein, die der Welt in diesem fragwürdigen Menschen eine so herrliche Musik geschenkt haben.

Können Sie in Ihrer Position den Israelis Wagner nahebringen?

Für eine neue Lesart von Wagner ist Daniel Barenboim zuständig. Als Deutscher kann man hier nicht alles machen. Das muss man auch nicht. Man muss hier Taktgefühl haben. Ich kann nur darauf hinweisen, dass Deutsche und Juden viel mehr verbindet als nur die Nazi-Vergangenheit. Denken Sie nur an die Mendelssohns im 19. Jahrhundert, jeden Sonntag hatten sie einen Jour fixe, an dem sie musizierten. Und es kam, was in Deutschland Rang und Namen hatte, unter anderem Goethe, weil er sagte: Das musst du erleben, diesen Zauber der Jugend, den es nur bei den Mendelssohns gibt. Eine ganz große deutsch-jüdische Tradition war es auch, Geige zu spielen. Diese Tradition ist durch die Nazis vollkommen zerstört worden.

Welche Traditionen leben heute in Israel fort?

Unsere Traditionen sind im Grunde auch die Traditionen der Israelis. Es gibt ja kaum „echte Israelis“ – die meisten kommen entweder aus Deutschland, Russland, Spanien, oder vom Balkan. Und sie alle sind aufgewachsen mit europäischen Traditionen. Wenn sie Tschaikowski spielen in Be‘er Scheva, dann können sie den ganzen Abend russisch sprechen, weil dann nur Russen da sind. Und wenn Beethoven dran ist, ist es eher gemischt russisch-deutsch.

Gibt es so etwas wie eine israelische Nationalmusik im Klassik-Bereich?

Ich denke, dass jede Musik durch Einflüsse von außen inspiriert ist. Das gilt für deutsche Musik genauso. Ein Teil unserer Musik kommt aus der Kirchenmusik Orlando di Lassos. Dann gibt es Schütz und Bach, die aus der protestantischen Tradition kommen. Die Chance für Israel sind diese unglaublich vielen Einflüsse. Da ist einmal der orientalische Einfluss, dann der balkanische, dann gibt es viel deutschen Einfluss und jetzt vor allem den russischen Einfluss. Das wird alles irgendwann einmal zusammenschmelzen – dann entsteht daraus auch etwas Eigenes.

In Ihrer Position sorgen Sie für den deutschen Einfluss in Israel. Wie lässt sich Israel den Deutschen näher bringen?

Man könnte mit der Berichterstattung anfangen. Wenn ich so sehe, was in Deutschland über Israel manchmal geschrieben wird, dann ist das ja überhaupt nicht mehr mit der Wirklichkeit zu vereinbaren. Die denken alle, die Hamas bestehe aus unschuldigen Palästinensern. Aber das sind üble Terroristen. Und anstatt das Geld, das ihnen die Welt gegeben hat, für eine vernünftige Infrastruktur, für gute Schulen und Krankenhäuser zu verwenden, nutzen sie es für Tunnelsysteme, um den Staat Israel zu vernichten. Und das wird meines Erachtens nicht richtig dargestellt.

Wie erklären Sie sich das?

Darüber möchte ich lieber keine Ursachenforschung betreiben. Meine Aufgabe liegt im musikalischen Bereich. In diesem Jahr, in dem Deutschland und Israel die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen vor 50 Jahren feiern, wollen wir uns darum bemühen, ständige Ensembles zu bilden: ein deutsch-israelisches Orchester, ein Chor oder ein Streichquartett, das dann in der ganzen Welt auftritt. Das alles soll dazu dienen, einander kennenzulernen, einander zu befreunden, die Kultur der anderen gemeinsam zu spielen. Mir ist wichtig, dass das keine Eintagsfliegen werden. Aber wir sind ganz am Anfang.

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